1000 Hügel und kein Organspendeausweis

 

Grüne Hügel und rote Erde: Ein Wohngebiet in Kigali, Ruanda

Grüne Hügel und rote Erde: Ein Wohngebiet in Kigali, Ruanda

Ich bin in Ruanda! Das Wort Kulturschock trifft es wohl am besten. Es ist eine Sache, Dinge im Fernsehen zu sehen, und eine ganz andere, diese Dinge zum Anfassen vor sich zu haben.

Beim Anflug auf Kigali habe ich mir ein Bild von Ruanda aus der Luft machen können. Ruanda wird nicht ohne Grund „Land der 1000 Hügel“ genannt. Endlose grüne Hänge und Berge, die meisten gerodet und mit Feldern übersät; dazwischen Hütten, in denen die Menschen leben, die hier Ackerbau betreiben. Das Land ist überbevölkert und der Boden kann die 11 Millionen Einwohner nicht ernähren.

Am Flughafen hat mich Domy abgeholt. Domy arbeitet als Journalist und für ein Jugendprojekt in Kigali und war bis November mit einem Stipendium der Heinz-Kühn-Stiftung in Deutschland. Er hat sich sehr über mein 750-Gramm-Glas Nutella gefreut. Denn das ist hier teuer wie Gold und natürlich Mangelware.

Wohnviertel in Kigali

Wohnviertel in Kigali

Die Fahrt vom Flughafen zum Hotel verlief einmal quer durch die Stadt. Man fährt ständig bergauf und bergab, von einem Hügel zum nächsten. An den afrikanischen Verkehr muss ich mich noch gewöhnen. Unserer Fahrer nahm Todesopfer billigend in Kauf, aber irgendwie ging alles gut. In Ruanda gilt Rechtsverkehr wie in Deutschland, doch unser „Taxi“ war ein uralter Rechtslenker. Willkommen in Afrika! Hauptsache es funktioniert!

Es wird viel gebaut in Kigali. Offenbar gibt es einen Masterplan für das Jahr 2020, der die Stadt voranbringen soll. Viele Straßenbaustellen, viel Staub, viel rote Erde. Die Arbeiter auf den Straßenbaustellen arbeiten wie die Ameisen – ohne Maschinen, nur mit einer Schaufel. Der helle Wahnsinn. Aber wie immer in Ruanda: Hauptsache es funktioniert.

Für den ersten Abend hatte ich mich mit Domy für abends um halb sieben verabredet. Als ich wie verabredet in der Lobby erschien, war es draußen bereits stockdunkel. Die Sonne scheint hier am Äquator pünktlich von sechs bis sechs. Meine erste Fahrt in die Stadt – Gott sei dank zusammen mit Domy – wurde so zum unvergesslichen Erlebnis.

Strom ist in Ruanda absolute Mangelware. Und weil Straßenlaternen Strom brauchen, gibt es praktisch keine. Es ist also nicht dunkel wie in Deutschland, sondern es ist richtig dunkel auf den Straßen. Auf dem kurzen Fußweg zum Bus kamen uns ein paar Menschengrüppchen entgegen. Im Dunkeln beschleicht da den weißen Europäer, der auch gut als solcher zu erkennen ist, ein wirklich ungutes Gefühl. Aber Domy war die Ruhe in Person. Der Stadtteil sei sehr sicher, weil hier viele reiche Regierungsbeamte wohnten, hat er gesagt. Das muss man dann als deutscher Tourist auch erst einmal verstehen: Nicht überall, wo es dunkel ist, ist es auch gefährlich. Hoffentlich.

Minibus-Station in Kigali

Minibus-Station in Kigali

Ich war wirklich froh, dass ich bei meiner ersten Fahrt im Minibus Domy dabei hatte. Eine Bushaltestelle ist in Ruanda durch nichts zu erkennen. Man kennt sie eben. Es gibt keine Schilder – übrigens auch keine, die Hinweise auf Stadtteile, andere Ortschaften, Landstraßen oder ähnliches geben, wie man das aus Deutschland kennt. Es gibt schlicht überhaupt keine Straßenschilder in der Stadt. So hält also wie zufällig ein Minibus an einer Kreuzung, an dem von außen nicht zu erkennen ist, woher er kommt oder gar wohin er fährt. In den steigt man ein. Und hofft, dass das beim nächsten Mal genauso klappt, wenn man es dann einmal alleine probiert…

Durch die dunkle Stadt brachte uns der vollgestopfte Bus tatsächlich in die Innenstadt. Zwei Sachen fallen auf: Nach Sonnenuntergang strömen die Menschenmassen auf die Straßen. Und viele schwerbewaffnete Soldaten prägen das Stadtbild. Die Soldaten stehen vor jeder Bank, jedem Supermarkt, an jeder Kreuzung, jedem öffentlichen Gebäude. Domy hat mir seelenruhig erklärt, dass das wegen der Handgranatenanschläge (!?!) sei, die seit den Präsidentenwahlen im August ab und zu vorkommen. Da schmeißt die Opposition dann einfach mal eine Handgranate in die Menschenmassen vor einer Minibus-Station, weil ihr der Wahlausgang nicht gepasst hat. Die letzte sei aber schon vor vier Wochen gefolgen, hat Domy versucht mich zu beruhigen, „but not many people died“. Aha. Seitdem sei es ruhig. Na dann…

Die Innenstadt war fast genauso dunkel wie die Vororte. Ich hatte richtig Angst, Domy im Gewühl zu verlieren. Das passiert relativ leicht, denn als Europäer bin ich es absolut nicht gewöhnt, im Dunkeln Menschen zu unterscheiden, die allesamt im Gesicht rabenschwarz sind. Klingt vielleicht albern, ist aber tatsächlich ein Problem: Ohne Licht bei Nacht sehen aus einem Meter Entfernung für mich alle Ruandesen gleich aus. Ich frage mich, wie die Leute sich gegenseitig erkennen, denn Domy traf zufällig mehrere Leute, die er kannte. Ich dagegen konnte schon Domy, der immer einen halben Meter von mir entfernt war, kaum erkennen.

Türtransport in Ruanda

Türtransport in Ruanda

Der wichtigste Einkauf des Tages: Eine Handy-Karte für mein Telefon. Die gibt es hier an jeder Ecke zum Spottpreis von etwa 75 Eurocent. SMS kosten 1 Eurocent, Gespräche sind ähnlich „teuer“. Aber das Beste ist: Das bettelarme Ruanda verfügt über eines der besten Handy-Netze in Afrika mit Hochgeschwindigkeits-Datenverbindungen, wie es sie teilweise nicht einmal in Deutschland gibt! Mein Handy ist jetzt mit meinem Laptop gekoppelt und damit verfüge ich einen sehr soliden Internetanschluss, mit dem man im Netz surfen und sogar skypen kann. Außerdem gibt es ein flächendeckendes WLAN-Netzwerk in der gesamten Stadt! Das kenne ich so bisher nur aus extrem reichen Weltstädten wie Singapur. Die Internetsituation ist ein Indiz, wie ehrgeizig Ruanda an seiner digitalen Zukunft arbeitet. Genau deswegen bin ich hier: Ich werde mir das Projekt „One Laptop Per Child (OLPC)“ ansehen. OLPC hat sich zum Ziel gesetzt, jedem der 2,1 Millionen Kinder in Ruanda einen eigenen Laptop zur Verfügung zu stellen. Wie das gehen soll in einem Land, in dem 90 – 95 Prozent der Menschen keinen Strom (geschweige denn Trinkwasser) in ihren Hütten haben, davon werde ich in den kommenden Tagen berichten.

Blick vom Motorradtaxi - Adrenalin pur

Blick vom Motorradtaxi - Adrenalin pur

Zuerst galt es an diesem Abend jedoch, lebend nach Hause zu kommen. Denn der Rückweg ins Hotel war wieder Nevenkitzel pur: Taxi-Moto, Motorradtaxi. Das ist mit etwa 80 Eurocent viel teurer als der Bus (der kostet 15 Eurocent), ist aber auch viel schneller. In Kigali ist es die schnellste und eine sehr gebräuchliche Fortbewegungsmethode. Im Verkehrschaos des Abends ist es auch das einzige Fortkommen. Überall in Kigali stehen Motorradfahrer mit zwei grünen Helmen. Einen davon bekommt man, und dann geht’s los. Meinen Organspenderausweis habe ich übrigens zu Hause gelassen, weil ich dachte, dass ich ihn in Ruanda wahrscheinlich nicht brauche. So kann man sich irren…