Kicken gegen die Seuche

Stefan Kunze bildet die Trainer Francis und Lydia aus

Stefan Kunze bildet die Trainer Francis und Lydia aus

Francis geht auf den Fussballplatz, um Leben zu retten. Er laesst suedafrikanische Schulkinder laufen, spielen, kicken. Er will sie nicht zu besseren Fussballern machen, sondern zu besseren Menschen. Francis ist einer der Trainer des ambitionierten Projektes Whizzkids United, das den Fussball nutzt, um Kindern wichtige Lebensregeln zu vermitteln. Vor allem geht es um ein Thema, das die Zukunft einer ganzen Generation bedroht – Aids.

„Viele meiner Freunde und Verwandten würden heute noch leben, wenn sie frueher gewusst hätten, was wir jetzt den Kindern vermitteln.“ Mit seinen 26 Jahren hat Francis schon oft mit ansehen müssen, wie der HI-Virus Leben zerstört. Oft waren es Menschen, die ihm sehr nahe gestanden haben. „Jeder hier in meinem Alter kennt mindestens ein Aids-Opfer in seinem naeheren Umfeld.“

Francis lebt in Kwazulu Natal, Südafrikas HIV-Hochburg. Landesweit ist jeder zehnte Südafrikaner infiziert. Unter den 15- bis 24-jährigen Menschen in Kwazulu Natal liegt die Quote dagegen bei 16 Prozent – Tendenz stark steigend. In der Provinz an der Pazifikküste sind nach Angaben des Whizzkids-United-Projekts 40 Prozent der schwangeren Frauen HIV-positiv. Bei entsprechender Behandlung geben zwar nur etwa vier Prozent der Mütter das Virus an ihre Kinder weiter. Aber um die Erziehung werden sie sich nicht lange kümmern können. Hochrechnungen zufolge wird sich Südafrika im Jahr 2015 um fünf Millionen Aidswaisen kümmern müssen.

Dass sich das HI-Virus in Südafrika derart verbreiten konnte, hat viele Gründe. Einer davon ist der Mangel an  kompetenter Führung. Nelson Mandela hat Mitte der 90er-Jahre die Gefahr nicht erkannt. Sein Nachfolger im Präsidentenamt, Tabo Mbeki, ignorierte die explodierenden Fallzahlen. Der amtierende Staatschef, Jacob Zuma, unternimmt zwar erste Schritte in die richtige Richtung, ist jedoch auch fuer seine Polygamie bekannt. Mit seinen seinen Ehefrauen, fuenf an der Zahl, und Verlobten hat er 19 Kinder gezeugt. Erst kuerzlich ist die Zahl seiner Sproesslinge auf 20 gestiegen – Zuma hatte die Tochter eines guten Freundes geschwaengert. Der erste Mann im Staat kann also schlecht darauf hinweisen, dass seine Landsleute ausserehelich niemals ungeschuetzten Geschlechtsverkehr haben sollten.

Auch die geistliche Führung versagt beim Thema Aids. Der Papst hat den Afrikanern unlängst ins Gewissen geredet, dass Kondome keine Lösung seien. Stattdessen riet er zur Enthaltsamkeit. Und einige schwarze Schafe unter den immer noch sehr einflussreichen traditionellen Heilern versprechen den Suedafrikanern, die Krankheit mit Wundermitteln heilen zu koennen.

Es waren vor allem internationale Hilfsorganisationen, die in der Vergangenheit Aidsaufklärung betrieben und Kondome kostenlos bereitgestellt haben. Die Zahl der Neuinfektionen steigt jedoch weiterhin, auch weil die sozialen und kulturellen Umstände in Südafrika idealen Naehrboden fuer das Virus bieten. Die Polygamie ist in vielen Staemmen, unter anderem den Zulu, zu denen auch Jacob Zuma gehoert, tief verwurzelt. Weitere beschleunigende Faktoren sind fruehe erste sexuelle Kontakte, erschreckend viele Vergewaltigungen und das Treiben von einigen älteren reichen Männern, die mit materiellen Versprechungen junge Mädchen verfuehren.

Genau bei diesen Faktoren setzt das Projekt Whizzkids United an. Einheimische Trainer gehen in Schulklassen und führen mit den 11- bis 16-jährigen Kindern in acht Einzelstunden ein spezielles Programm durch. Es enthält  Übungsformen, die der Projektgründer Marcus McGilvray, ein auf HIV spezialisierter britischer Krankenpfleger, gemeinsam mit einem Fußballtrainer und Sportwissenschaftler entwickelt hat. Jede Uebung vermittelt eine Botschaft. „Wir lassen die Kinder zum Beispiel spielen, ohne dass es Tore gibt“, erklaert Stefan Kunze. Er stammt aus Radebeul bei Dresden und arbeitet freiwillig als Programmkoordinator bei Whizzkids United. „Beim Spiel ohne Tore verlieren die Kinder schnell die Lust. Es fehlt das Ziel, der Sinn. Das laesst sich leicht auf das Leben uebertragen. Wer sich keine Ziele setzt, hat auch keinen Spass am Leben.“

Mit eigenen Studien versucht Whizzkids United, den Erfolg des Programms zu messen. Die Kinder fuellen vor und nach den Einheiten den gleichen Fragebogen aus. Den Auswertungen zufolge verbessert sich ihre Einstellung bei 20 von 40 Fragen signifikant, bei keiner Frage gibt es Verschlechterungen. Die Ausgangslage ist dabei teilweise schockierend. Jeder zweite Junge findet demnach vor dem Programm, dass es in Ordnung sei, eine Frau zu schlagen. Jeder dritte behauptet gar, dass eine Frau selbst Schuld sei, wenn sie vergewaltigt werde.

Die wissenschaftliche Auswertung des Projekts steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. Es gibt weder Vergleiche mit anderen Projekten, die ohne Fussballuebungen arbeiten, noch Langzeitstudien, die die Einstellung der Teilnehmer einige Wochen oder Monate nach dem Projekt ueberpruefen. Es ist jedoch allgemein bekannt, dass sich erlebte Erfahrungen nachhaltiger ins Gedaechtnis einbrennen als per Frontalunterricht vermittelte Fakten.

Erst kuerzlich hat sich Whizzkids United deutlich vergroessert und schleust nun 10.000 Kinder pro Jahr durch sein Programm. Das Buero befindet sich in Durban, der Millionen-Urlaubsmetropole in Kwazulu Natal. Mit Hilfe von Partnerprogrammen erreicht Whizzkids United aber auch Schulen im xxx Kilometer entfernten Westkap. Die finanziellen Mittel stammen allesamt aus Spendengeldern. Langfristiges Ziel sei es, sagt Stefan Kunze, das Projekt komplett in suedafrikanische Haende zu uebergeben. Derzeit erledigen noch Freiwillige aus Europa sowie Projektgruender Marcus McGilvray die organisatorische Arbeit. Immerhin gibt es eine einheimische Buerokraft, und fuenf weitere Suedafrikaner haben als Trainer einen Vollzeitjob gefunden.

Einer von ihnen ist Francis, eine andere Lydia (Name geaendert). Die 26-Jaehrige sieht ihren Job, genauso wie Francis, als sinnvolle Aufgabe. Kennengelernt hat sie Whizzkids United durch ihre Schwester, die frueher einmal als Trainerin fuer das Projekt gearbeitet hat. Sie musste allerdings aufhoeren, derzeit geht es ihr nicht gut. Sie hat sich mit dem HI-Virus angesteckt.