Auf einem Lärm-Teppich ins Nirwana

Ich habe im „Kölner Stadt-Anzeiger“ mal ein Porträt über die Straße geschrieben, in der ich wohne: die kleine Reinoldstraße – ein unscheinbarer Zentimeter auf dem Kölner Stadtplan, aber an günstig gelegener Stelle in der Innenstadt.

„Wenn diese Straße eine Kontaktanzeige schalten würde – zugegeben, das ist unter Straßen nicht üblich, aber doch ein schönes Gedankenexperiment – dann könnte sie es sich aufgrund ihrer zentralen Lage leisten, ehrlich zu sein“, schrieb ich. Und weiter: „Ich bin keine Schönheit und auch ein bisschen langweilig, wäre dort zu lesen. Aber dafür lasse ich Dich nachts gut schlafen. Bei mir herrscht Ruhe im Beton.“

In Monrovia lebe ich in einem Apartment an der Warner Avenue, an der Ecke zur 14. Straße – nur zwei Blocks vom Meer entfernt und in einer der besseren Gegenden der liberianischen Hauptstadt. Hier würde es in einer ehrlichen Kontaktanzeige vermutlich heißen: „Ich bin so laut, dass Du nicht schlafen kannst? Dein Problem, gewöhn Dich dran! Es gibt eh keine bessere Möglichkeit für Dich.“

In Monrovia ist es immer irgendwie laut. Tagsüber ohnehin. Da drücken die Autofahrer an jeder Kreuzung die Hupe, um zu signalisieren: „Hier komme ich – und geh mal lieber nicht davon aus, dass ich bremse. Das könntest stattdessen ja auch einfach Du tun.“ Wenn man aus dem Supermarkt kommt, rufen einem schon zwei Bettler hinterher. Oder drei. Und – mag es noch so morbide klingen – man hört, je nach Material, auch häufig mal die Krücken der einbeinigen Kriegsversehrten auf der Straße oder auf einem der wenigen Gehwege aufschlagen.

Nachts konkurriert das Sirren der Moskitos bei mir im Garten mit dem Knattern der Diesel-Generatoren, die für eine sichere Stromversorgung sorgen sollen. Läuft der eigene Generator gerade nicht, dringt auf jeden Fall der entsprechende Lärm vom Nachbarn herüber. Auf der wenige Blocks entfernten Hauptstraße dröhnt noch immer der Verkehr. Und irgendwo um die Ecke gibt es Geschrei. Könnte ein Streit unter Prostituierten sein (die um zahlungskräftige Kundschaft natürlich gern auch gerade in einem besseren Wohnviertel wie diesem werben).

Es ist ja jetzt auch nicht so, als könnte irgendjemand die Polizei anrufen und sagen: „Hier ist es laut, jetzt sorgen Sie bitte mal für Ordnung.“ Da müssten die liberianischen Polizisten wohl sehr lachen. Zum einen, weil Lärm hier so normal ist. Zum anderen aber auch, weil die liberianischen Polizisten ja auch bei einem Anruf wegen Einbruchs schon mal sagen: „Interessant. Aber: kein Auto, kein Benzin oder kein beides. Wie sollen wir da denn jetzt allen Ernstes am Tatort vorbeischauen?“

Wer schlafen will, wer auch mal Ruhe haben will, der muss sich angewöhnen, die Geräusche hier nachts einfach als großes Nichts wahrzunehmen. So wie ja auch Fahrstuhlmusik in der Regel erst dadurch bekömmlich wird, dass man sie einfach mal ausblendet. Aber ich gebe zu: Es ist für meine europäischen Ohren nicht ganz einfach, tagsüber in den Lärm einzutauchen, diese Welt mit all ihren Geräuschfacetten wahrzunehmen, das Leben zu spüren – und dann nachts das eigene Hörvermögen abzuschalten wie ein Radio, bei dem man auf den Aus-Knopf drückt.

Da ich hier keinen Fernseher habe, aber wegen meiner begrenzten Internetkapazität auch das Schauen meiner deutschen Lieblingssendungen im Netz keine Option ist, habe ich übrigens einen USB-Stick mit Musik wiederentdeckt, den mir ein Verwandter – den ich aus Gründen des Anonym-Schutzes nicht namentlich nennen werde – einmal zu Weihnachten geschenkt hat. Dabei habe ich festgestellt, dass auf dort Hits der 90er unverschämter Weise im Ordner Oldies abgelegt sind.

Gefunden habe ich auf dem Stick zudem ein Livealbum des Kabarettisten Michael Krebs, der darauf Lieder wie diese singt:

„Das Mädchen von der Jungen Union / Macht Sex mit mir in jeder Position. / Unter dem Bild von Angela / Reitet sie mich ins Nirwana.“

Papa, das hätt‘ ich echt nicht von Dir gedacht.