Zwei „deutsche Kenianerinnen“ – Teil zwei

Vor etwa 18 Jahren hat auch Inge Langefeld ihr Herz für Kenia entdeckt. Nur ein paar Kilometer entfernt von Gudrun Dürrs Kinderdorf, im Örtchen Mwabungo ist ihr Lebenswerk entstanden. „Ich habe gemerkt, dass in Kenia speziell die Förderung von Mädchen notwendig ist und dass es gerade im Schulbereich hier Schwierigkeiten gibt, also dachte ich, ich sollte hier konkret was tun.“ Das hat sie. 2003 kam sie endgültig nach Kenia, 2004 eröffnete die Diani Maendeleo Acadamy, eine High School speziell für Mädchen. Der neue Präsident Kibaki hatte gerade sein Wahlversprechen „ Freie Grundschulerziehung für alle“ eingelöst, also entschied sich Inge Langefeld für eine Secondary School. „Ich habe das ein Stück weit unterschätzt damals“, sagt sie heute. So zum Beispiel die schwierige Suche nach Sponsoren, auf die natürlich auch ihr Projekt angewiesen ist. „Ich sage das mal provokativ, nehmen sie das mal in Anführungsstrichen: ‚Viele Leute sind gewillt, nette kleine Negerkinder mit großen braunen Augen zu unterstützen.‘ Wir haben hier aber Jugendliche, die passen nicht mehr in das Bild.“

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Hinzu komme noch ein ganz anderes Problem:  Einigen Institutionen, die der Schule früher geholfen haben, sei es inzwischen vorgegeben, nur noch die Grundschulerziehung zu unterstützen. Für Inge Langefeld ein Rückschritt in Sachen Entwicklungshilfe: „Denn wenn ich hier nur Grundschule fördere, dann heißt dass, das die Mädchen nach Abschluss der Grundschule im Prinzip nichts anderes tun können als putzen zu gehen oder vielleicht, wenn Sie Glück haben, können Sie KFZ-Mechaniker werden oder Friseurin oder Näherin.“

Fast alle anderen Berufe setzen einen Secondary Abschluss voraus. Doch den können sich viele der kinderreichen Familien hier in der Gegend schlicht nicht leisten. 18.000 KES (rund 150 Euro) kostet das Schuljahr an der Diani Maendeleo Academy pro Schülerin. Im Vergleich zu den meisten anderen privaten und auch öffentlichen Schulen ist das zwar günstig, dennoch sind fast alle Schülerinnen hier auf die Hilfe von Sponsoren angewiesen. Unter den 35, die in diesem Jahr in der Eingangsklasse aufgenommen wurden, seien vielleicht fünf Mädchen, deren Familien die Ausbildung selber zahlen, erzählt Langefeld.

Zum finanziellen Problem gesellt sich das sozialgesellschaftliche. Noch immer kommen gerade in den ärmeren ländlichen Regionen die Mädchen erst an zweiter Stelle. In manchen Familien fehlt nicht nur das Geld, sondern auch der Wille, den Töchtern eine weiterführende Schulausbildung zu ermöglichen. „Es ist ganz oft so, dass nur die Hälfte der Familie daran interessiert ist, die Mädchen zur Schule zu schicken. Manchmal sind die Väter daran interessiert,  die Mütter hingegen haben kein Interesse, da eine Schulausbildung für die Mädchen im Umkehrschluss bedeutet, dass die Tochter zuhause im Haushalt nicht hilft.“

Dennoch: Die vielen Jahre der Überzeugungsarbeit und auch der Erfolg der Schule tragen allmählich Früchte. Langsam zwar, aber immerhin. Rashid zum Beispiel arbeitet seit drei Jahren an der Maendeleo-Schule. Er selbst hat keinen Secondary-Abschluss, spricht auch kein Englisch. Irgendwann brachte er plötzlich seine Schwester, wollte unbedingt, dass sie zur Schule geht. Eigentlich reichten Bintis Leistungen für die Aufnahme nicht aus, allein das große Interesse, ihr unbedingter Wille zu lernen, überzeugte Inge Langefeld, dem Mädchen eine Chance an ihrer Schule zu geben.

Rashid setzt sich inzwischen auch für die Bildung seiner eigenen Kinder ein. Als Moslem hat er mehrere Frauen und nun hat er sogar vor Gericht erstritten, dass er auch die Kinder seiner Ex-Frauen unter seine Obhut nehmen kann, um sie zur Schule zu schicken. „Das zeigt mir, dass etwas ankommt bei der Bevölkerung“, sagt Langefeld. „Die Dinge bewegen sich aus meiner  Sicht allerdings auf einem sehr niedrigen bzw. auch auf einem seltsamen Niveau. lch  glaube im Endeffekt nicht, dass Raschid wusste, was er da tat, da er sich in einer Lebenssituation befindet, in der ihm sowieso keine großen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen und ihn die Kosten für Schulbildung seiner Kinder weiter belasten werden, aber nun gut.“

Ähnliche Geschichten, wie die von Rashid gibt es einige. Einmal, so erzählt die Schulleiterin, waren sie kurz davor, ein Mädchen von der Schule zu schicken. Die Leistungen waren einfach zu schlecht und die Schuldgeldrückstände wurden immer größer. Aber das Mädchen hat gekämpft; so lange, bis es eigenständig genug Geld zusammengesammelt hatte und mit Ach und Krach die Schule schaffte. „Es ist mir immer noch Rätsel, wie das Mädchen das gemacht hat, aber im Endeffekt hat sie die Schule mit einer „4-„ abgeschlossen.“ Auch, wenn die junge Frau mit dieser Note nicht viel wird anfangen können, Inge Langefeld denkt langfristiger: „Irgendwann hat sie selbst einmal Kinder und diese junge Frau hat begriffen, wie wichtig Schulbildung ist. Auf diese Art und Weise wird die Frau, denke ich, dazu beitragen, dass ihre eigenen Kinder eine andere Startmöglichkeit vorfinden.“

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Aber ein bisschen paradox ist es schon: So sehr sich manche Mädchen dafür einsetzen, diese Schule besuchen zu dürfen, so wenig ist davon im Schulalltag manchmal noch zu spüren. „Das sind alles Mädchen, die man sehr pushen muss. Wenn Sie zum Beispiel nach Mombasa gehen in die Aga Khan High School  dann haben sie da ein ganz anderes Klientel. Die, die da zur Schule gehen, die sind sehr viel mehr self-motivated. Hier ist es so: Ich komm hier hin, ich will unbedingt lernen, ich falle halb auf die Knie, dass die mich aufnehmen und mich sponsern, und wenn ich dann einmal da bin, dann vergess ich alles, was ich vorher versprochen habe. Ja.“

Auch die Abbrecher-Quote ist nach wie vor problematisch, womit allerdings auch andere Schulen in der Region zu kämpfen haben; besonders, was die Mädchen betrifft. Ein Grund: Die Schülerinnen in dieser Region sind meist schon relativ alt, das erschwert bisweilen die Bereitschaft, sich wie normale Schulmädchen behandeln zu lassen und gewisse Regeln einzuhalten. Auf die aber legt Die Inge Langefeld in ihrer Schule besonders großen Wert. Die ein oder andere versucht deshalb ihr Glück lieber an einer weniger strengen Schule. Andere machen es sich – vermeintlich – noch leichter: „Wir verlieren Schülerinnen an ihre Freunde weil das natürlich auch viel einfacher ist in dem Moment zu sagen ‚Och ich heirate, was soll ich mich hier rumstreiten?‘“

Andererseits sähe es ohne die Diani Maendeleo Academy vermutlich sogar schlimmer aus, was die verfrühten Hochzeiten betrifft. Ohne die Schule, glaubt Frau Langefeld, wären die meisten ihrer Mädchen wohl jetzt schon Ehefrauen.

Ob es denn möglich ist, die Community mit ihren Traditionen bei der Arbeit einzubinden, frage ich. Das, habe sie schnell aufgegeben lautet die Antwort der Schulleiterin. „Wenn ich die Community offiziell einbinde, dann resultiert daraus, dass diese versucht, verstärkt auf Entscheidungen der Schule Einfluss zu nehmen, das finde ich sehr unglücklich.  Was noch viel wichtiger ist, dass, wenn sie sich einbringt, dass sie als  Gegenleistung irgendwelche „Sitting allowances“ (mit anderen Worten: Kohle! Anmerkung von mirJ) erhalten. Wenn man das erlaubt, hat man im Endeffekt keine Schule mehr.“

So geschehen im Falle einer geplanten Schule, die die japanische Regierung  finanzieren wollte. Der District Commissioner hatte die fünf Millionen Shiliing an das Dorf-Komitee weitergeleitet. Das Ende vom Lied… Frau Langefeld, übernehmen Sie: „Das Dorf Komitee hat in Mombasa im so genannten „Blue Room“ eines indischen Restaurants ein Meeting abgehalten. Das Essen war ungewohnt, ist den Mitgliedern nicht bekommen. Im Endeffekt haben die Teilnehmer das Lokal vollgekotzt und am Ende waren die fünf Millionen ausgegeben und es stand kein Stein auf dem anderen.“ Noch Fragen?

Die Diani Maendeleo Academy dagegen steht nicht nur, sie soll sogar noch erweitert werden. Geplant ist,  in diesem Jahr ein richtiges Internat zu bauen, das 100 Schülerinnen aufnehmen kann. Die Mittel sind bereits bewilligt. Die Schule könnte somit endlich mehr Schüler aus entfernteren Gegenden aufnehmen. Und damit wohl auch dem Ziel ein Stück näher kommen, bessere Abschlüsse zu erreichen. Denn wer nach einem 11-Stunden-Schultag – plus die Zeit für den langen Schulweg – abends nach Hause kommt, zu den vielen anderen Familienmitgliedern in eine kleine Hütte ohne Strom, der hat wohl kaum die optimalen Bedingungen, um für die Schule zu  lernen.

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