Pakistan und die Blasphemie

„Du recherchierst zu den Blasphemie-Gesetzen?“ Ein pakistanischer Kollege schüttelt den Kopf, nein, das solle man besser nicht so offen sagen. Besser: Interreligiösen Dialog., Völkerverständigung, „irgend so etwas“, positiv halt. Aber Blasphemie, da sollte ich besser vorsichtig sein, besser offen reden bei Leuten, denen ich vertrauen könne.

Etwa den Freunden von Bekannten. Auf dem Tisch im großen Wohnzimmer, an dessen Wände riesige Fotografien hängen,  stehen mehrere Flaschen Alkohol, der Hausherr rollt Haschisch-Zigaretten. Blasphemie? Seine Frau lehnt sich vor, schüttelt wütend den Kopf, knallt ihr halbleeres Glas auf den Tisch: Eines Tages sei ihre kleine Tochter weinend von der Schule zurückgekommen. Sie hatte ein Bild gemalt, mit bunten Tieren und Menschen. „Die anderen Kinder haben ihr gesagt, dass sie in die Hölle kommt.“ Ihre Tochter, sagt sie, habe geweint, aus Angst vor der Hölle.

„Ich habe sie sofort bei einer anderen Schule angemeldet.“ Trotzdem: Sie zuckt die Schultern. Es mache ihr Sorgen: Was, wenn die Tochter sagt, dass ihre Eltern nicht religiös seien, nicht an Gott, Himmel und Hölle glaubten. Ihr Mann lehnt sich vor: Beim Einzug habe er ein paar Seiten von einem Koran gefunden. Er habe überlegt, sagt er und rollt weiter an der Zigarette, ob er sie einfach wegschmeißen sollte. Aber das habe er sich nicht getraut. „Was wenn sie jemand gefunden hätte?“

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Dann, vielleicht, hätte es ihm wie der kleinen Rimshah gehen können. Ein kleines Mädchen in Islamabad, das, so erzählt es ihr Onkel, leise, immer mit einem Blick zur Tür, ein Feuer gemacht habe, um das Wasser zu wärmen. Dann, plötzlich, habe die Nachbarin geschrien: „Sie verbrennt den Koran. Blasphemie!“ Wenig später habe sich eine Menschenmenge vor dem kleinen Haus versammelt, hätten Jagd auf das kleine Mädchen gemacht, die Tür zur Toilette aufgebrochen, auf der sich sie verstärkt hätte. Das erzählt der Besitzer eines kleines Kiosks, unweit der Moschee. Er habe sich auch der Menschenmenge angeschlossen, sei wütend gewesen. Dann aber sei er gegangen: „Das war falsch, was die gemacht haben.“ Aber die Leute seien aufgebracht gewesen, angestachelt vom Imam der kleinen Moschee, vor der heute Kinder spielen und eine kleine Ziege durch den Staub und Müll stolziert.

Wenn die Polizei nicht gekommen wäre, sagt der Onkel, und Rimsah in Sicherheit gebracht hätte, dann „hätten die Leute sie getötet.“  Alle Christen flüchteten aus der Gemeinde, in der sie vorher friedlich zusammen gelebt hatten. Wenige sind heute zurückgekehrt, leben, das erzählt eine Frau in ihrem düsteren Zimmer, ständig in Angst. Wenn sie mit den Muslimen rede, sagt sie, überlege sie vorher ganz genau, was sie sage. An der Wand hängt ein großes Kreuz, daneben ein kleiner rosa Plüsch-Dinosaurier: Das Haus ist die ehemalige Kirche der Gemeinde, sie sei nach dem Vorfall geschlossen worden, sagt die Christin.

Heute lebt Rimshah mit ihren Eltern in Kanada: Ein Gericht sprach sie zwar von den Vorwürfen frei – in der Asche konnten keinerlei Koran-Reste nachgewiesen werden – andere aber haben weniger Glück: Das Justizsystem, so erzählt es ein Richter des Supreme Court, sei völlig korrupt. Er zuckt die Schultern: „Jeder weiß doch, dass hier Falschaussagen an der Tagesordnung sind.“ Trotzdem: Abschaffen möchte er die Gesetze nicht, nur reformieren, damit es zu einem fairen Prozess komme. Es ist schwer jemand zu finden, der offen gegen die Gesetze spricht, ihre Abschaffung fordert – wohl auch aus Angst: Ein Gouverneur etwa, der sich für eine Angeklagt einsetzte, wurde von seinem eigenen Bodyguard erschossen.

Doch selbst wer vom Blasphemie-Vorwurf freigesprochen wird, verlässt meist das Land, erzählt ein junger Priester in seinem dunklen, etwas moderigen Büro in Rawalpindi, hinter ihm hängt ein Bild von Papst Franziskus, daneben verblasste Fotos der pakistanischen Bischöfe. Zu bleiben, sei viel zu gefährlich: Immer wieder werden Menschen ermordet, auch nachdem sie aus dem Gefängnis freikommen. Aber das gelte, sagt er, natürlich auch für andere Minderheiten, Schiiten etwa, oder auch Hindus.

Eine Lynch-Justiz, die selbst radikale Prediger, wie Abdul Aziz, der Imam der Roten Moschee, den ich in der Osama Bin Laden Bücherei treffe, aufs Schärfste verurteilen und die Polizei verfolgt. Nur: Wenn es sich tatsächlich um Blasphemie handele, dann dürfe ein aufgebrachter Muslim, geblendet von seiner Wut, den Täter ermorden. Aziz lächelt sanft: Besser sei aber natürlich immer die staatliche Justiz.  Vor der Tür wachen zwei Männer in schwarzen Tuniken, ihre Kalaschnikows im Anschlag, im Hof spielen Kinder mit einer Schubkarre.

Nicht weit davon entfernt, wohnte die kleine Rimshah mit ihren Eltern. Heute lebt eine muslimische Familie in dem kleinen Haus. Eine junge Frau öffnet das Eisentor. Ja, sie habe von den Vormietern gehört, das, was passiert sei, sei grausam. „Egal, was sie gemacht hat, so darf man niemanden behandeln!“  Sie schüttelt den Kopf.