Worte in die Wunde

Auf die alles leitende Frage, ob Indien eine Kultur der Vergewaltigung habe, hatte mich der Fall von Jyoti Singh Pandey, 23 †, gebracht, die im Dezember 2012 von sechs Männern in einem Kleinbus brutal vergewaltigt und während der Fahrt auf die Straße hinaus geworfen worden war.

Seitdem sind selbst in deutschen Medien in schockierend regelmäßigen Abständen Fälle von brutalen Vergewaltigungen und Morden nach Sexualdelikten aus Indien aufgetaucht. Seit dieser zeit lese ich regelmäßig auch die Indian Times, aus der ein Artikel dieser Woche mir in einer Art die Sprache verschlagen hat, wie ich es bislang nicht erlebt habe. Im Zuge der Recherchen zu einer großen Dokumentation über diesen Missbrauchsfall, die am Weltfrauentag, dem 8. März ausgestrahlt werden soll, war es einem BBC-Team gelungen, im Gefängnis mit einem der Täter, dem Fahrer des Kleinbusses, Mukesh Singh, zu sprechen.

Auf seine Exekution wartend, spricht er mit einer Kälte und Uneinsichtigkeit über das von ihm begangene Verbrechen, die jeden Versuch einer Erklärung seiner Motive im Keim erstickt. Frauen, so gibt Singh in dem vorab veröffentlichten Gespräch zu Protokoll, die sich nachts auf der Straße herumtrieben und damit Vergewaltiger anzögen, dürften niemandem als sich selbst die Schuld geben.

Und Singh gibt noch tiefere Einblicke in seine geistige Konstitution: „Ein anständiges Mädchen treibt sich nicht um neun Uhr Abends herum. Ein Mädchen ist außerdem viel eher für eine Vergewaltigung verantwortlich als ein Junge. Frauen und Männer sind nicht gleich. Hausarbeit ist etwas für Mädchen, nicht sich nachts in Discos oder Bars herumzutreiben und falsche Kleidung zu tragen.“

Singh, der der Mittelschicht von Neu Delhi angehört, macht mit der Umdeutung des Urteils gegen ihn weiter: „Die Verurteilung wird alles nur noch gefährlicher machen für Frauen. Wenn Männer das nächste Mal vergewaltigen, werden sie die Frauen nicht so zurücklassen, wie wir. Sie werden sie danach töten.“
Singh und seine Mittäter hatten Jyoti Singh Pandey brutal mit einer Eisenstange penetriert, dabei ihre Gedärme verletzt und sie bewusstlos aus dem fahrenden Kleinbus geworfen.

Mehr als zwei Jahre nach der Tat zeigen die jüngsten Aussagen von einem der Täter, dass die Gefahr nicht von einzelnen Tätern ausgeht. Es ist ein Denkmuster, eine tief verwurzelte Geschichte der angeblichen Minderwertigkeit von Frauen. Schockierend waren für mich deshalb nicht die Worte eines unbelehrbaren Halbstarken. Es war die Einsicht, dass die nötige, die von so vielen Menschen herbeigesehnte Veränderung in diesem Land, ein Lernprozess ist, der noch Jahre andauern wird.