Ein halbes Recht auf Wasser

Ressourcenknappheit ist ein schönes Wort. Es klingt intelligent. Und es passt eigentlich immer. Völlig egal, wo oder wann eine Ressource zur Neige geht – das Wort lässt sich einfach mal gemütlich aus dem Sessel heraus gebrauchen. So rein theoretisch. Was es praktisch bedeutet, zeigt sich in Sacaba.

Sacaba ist ein Bezirk in der Nähe von Cochabamba, der drittgrößten Stadt Boliviens. Sie liegt auf gut 2500 Metern über dem Meeresspiegel und damit in einem klimatisch recht angenehmen Bereich. Zum Wohnen. Für die Landwirtschaft gibt es hier viel zu wenig Regen. Nicht erst durch den Klimawandel, sondern eigentlich schon immer. Die einzige Möglichkeit, in den Bergen von Sacaba etwas anzubauen, liefert die Cuenca Kuyoj Qhocha. Cuencas sind Wassereinzugsgebiete, in denen sich das Regenwasser aus den Bergen sammelt. Schon die Inkas haben diese Cuencas genutzt, um das Wasser auf ihre Felder zu leiten. Ein kluges System, das auch heute noch verwendet wird.

Foto: Leonard Goebel

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In der Cuenca Kuyoj Qhocha gibt es zwei Stauseen. Von ihnen hängt alles ab. Sind sie voll, können die Bauern auf eine gute Produktion hoffen. Sind sie es nicht, haben die Landwirte ein Problem. Da in Sacaba nichts so wichtig ist wie das Wasser der Cuenca, ist auch die Lokalpolitik ganz darauf ausgerichtet: mit einem Präsidenten des Komitees der Cuenca, einem Präsidenten des Stausees und regelmäßigen Beratungen. Dreimal pro Jahr treffen sich die Verantwortlichen aus den sechs Comunidades der Region, um über die Verteilung des Wassers zu sprechen. Das wichtigste Treffen findet am Ende der Regenzeit statt. Dort wird festgestellt, wie viel Wasser für die anstehende Trockenzeit zur Verfügung steht – und wer wie viel davon bekommt.

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Im letzten Jahr lief das Treffen erfreulich ab. Es gab es genügend Wasser, die Ernte war gut. Dieses Jahr hingegen wird die rund 600 Familien, die an der Cuenca leben, auf die Probe stellen. Die Regenzeit ist fast vorbei und der Pegel der Stauseen liegt nur bei etwa 40 Prozent. Also müssen die Wasserrechte der Bauern rationiert werden. Je nachdem, wie viel ein Bauer zum Bau des Stausees beigetragen hat, besitzt er ein volles, halbes oder viertel Wasserrecht. Ein volles Wasserrecht bedeutet normalerweise, dass er zehn Tage pro Jahr bewässern darf. Bei einem halben stehen ihm fünf Tage zu. „Da der Pegel dieses Jahr so niedrig ist, müssen wir das Wasser entsprechend einteilen. Statt zehn Tagen Bewässerung wird es nur vier geben, statt fünf Tagen zwei und so weiter“, sagt Zenobio Olivera, der Präsident des Stausees. Die Trockenzeit geht etwa von März bis Oktober. In schlechten Jahren – das heißt: immer häufiger – auch schon mal bis November. Und hier im Hochland um Cochabamba ist das Wort Trockenzeit tatsächlich wörtlich zu nehmen. Mit Regen ist nicht zu rechnen. In dieser Zeit mit vier Bewässerungstagen auszukommen, ist keine leichte Aufgabe für die Bauern und ihre Pflanzen. Von zwei oder weniger Tagen ganz zu schweigen. Ressourcenknappheit.

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Zenobio Olivera. Foto: Leonard Goebel

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Sie bedeutet hier, dass die Bauern die Anbauflächen verkleinern müssen, um wenigstens einen kleinen Teil ihrer Felder genügend bewässern zu können und so eine Ernte zu garantieren. Man könnte auch sagen: Sie müssen ihre Anbauflächen minimieren. Denn die Bauern in Sacaba besitzen in der Regel irgendetwas zwischen einem halben Hektar und einem Hektar Land. Es braucht keine komplizierte Rechnung, um festzustellen, wie viel davon noch bleibt, wenn man nur einen kleineren Teil bepflanzen kann: fast nichts. „Dieses Jahr ist es sehr traurig. Wir müssen so stark reduzieren, dass die Ernte kaum reichen wird, um unsere Familien zu ernähren“, sagt Zenobio. Und Prudencio Luisaga, Präsident des Cuenca-Komitees, fügt hinzu: „Wenn die Stauseen nicht voll sind, dann ist hier kein Überleben möglich. Denn jede Familie weiß, was von der Ernte übrig bleibt. Wenn der Spiegel der Stauseen niedrig ist, zwingt sie das zur Abwanderung.“

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Es wäre nicht das erste Mal, dass sich Familien verabschieden. In den letzten Jahren häufen sich die Probleme der Bauern. Es gebe deutlich mehr Schädlinge als früher, sagen sie. Und außerdem eine zunehmende Unsicherheit über die Niederschläge. Die Trockenphasen haben sich tendenziell verlängert, der Regen fällt unregelmäßiger. Jahre wie diese, in denen der Wasserstand des Stausees noch nicht einmal die Hälfte des Normalniveaus erreicht, habe es früher nur selten gegeben, sagt Prudencio. In den letzten zwei Jahrzehnten dafür umso häufiger.

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Prudencio Luisaga. Foto: Leonard Goebel

Die einzige Hoffnung ist das neue Bewässerungssystem. Durch staatliche Gelder und mit technischer Unterstützung der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) wurde das gesamte Netz der Kanäle erneuert. Statt wie zuvor das Wasser einfach über Rinnen im Boden zu leiten, läuft es jetzt durch Rohre vom Stausee zu den Feldern. Der Wasserverlust wird dadurch deutlich verringert. Während früher teilweise nur 30 Prozent des abgeleiteten Wassers auf den Feldern ankamen, sollen es jetzt 75 Prozent sein. Außerdem wurde eine neue Bewässerungstechnik eingeführt: Es stehen nun Sprenger auf den Feldern, die das Wasser effizienter verteilen und den Bauern gleichzeitig Zeit sparen. „Mehr Wasser, das zur Verfügung steht, leichtere Arbeit, effizientere Nutzung des Wassers – das alles verbessert ihre Resilienz gegenüber dem Klimawandel“, sagt Hernán Montaño, der die Maßnahmen als technischer Berater der GIZ begleitet.

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Die neue Beregnungsanlage. Foto: Leonard Goebel

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Hernán Montaño und Prudencio Luisaga. Foto: Leonard Goebel

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Wie geht man mit knappen Ressourcen um? Diese Frage stellt sich auch hinsichtlich der kleinen Felder: Was wird angebaut? Die Sache war mal einfach: „Früher wurde in den Tälern bei Cochabamba Mais angebaut. Und in den Hochlagen Kartoffeln. Die Anbaunischen waren klar definiert“, sagt Hernán. Durch die gestiegenen Temperaturen hat sich die Lage verändert. Plötzlich ist der Anbau von Pflanzen möglich, die früher nur in den Tälern wuchsen. Victor Balderama hat sich das zunutze gemacht: Wo sonst Kartoffeln und dicke Bohnen wuchsen, baut er jetzt Erdbeeren, Blumen, Quinoa, Zwiebeln und Mais an. „Früher sind diese Pflanzen hier nicht gewachsen. Mit dem Klimawandel kann man sie jetzt anbauen. So kann ich jede Woche Geld verdienen. In der einen Woche verkaufe ich Blumen, in der nächsten Erdbeeren. Diese kleinen Felder hier produzieren sehr gut, also werde ich sie vergrößern.“ Viel Platz bleibt ihm dafür nicht. Sein Landbesitz ist klein und das Wasser wird dieses Jahr ohnehin nur für wenig Fläche reichen. Die Ressourcen sind eben knapp. Aber mit diesem Wissen lebten hier schon die Inkas.

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Victor Balderama. Foto: Leonard Goebel