Die Bombe – „Die Franzosen haben uns belogen.“

T’es français?

Schwierige Frage für die Polynesier. Auf der einen Seite sind sie natürlich Franzosen, einige auch aus tiefster Überzeugung – das haben die französischen Kolonialisten erreicht. Auf der anderen Seite gibt es nach wie vor eine starke Unabhängigkeitsbewegung der Indépendantisten. Da darf man sich auch nicht wundern, dass sich die Begeisterung am französischen Nationalfeiertag in Grenzen hält. Gefeiert wird schon am 14. Juli, mit einer Militärparade und Marschmusik.

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Dabei wird alles aufgefahren, was die Inseln an Transportmitteln zu bieten haben: Polizei- und Feuerwehrfahrzeuge, Militärautos, Motorräder, zwei gepanzerte Wagen (die hier wohl eher selten aus der Garage kommen), ein Schlauchboot und sogar ein Bagger. Viele Plätze auf der eigens aufgebauten Tribüne bleiben aber leer.

Der Mythos der ‚Sauberen Bombe‘

Das französische Nationalgefühl der Polynesier hat vor allem unter einem gelitten: den Atomtests, die zuerst Charles de Gaulle hier angeordnet hat. 193 Tests auf den Atollen Moruroa und Fangataufa, auf Flößen, an Ballons, abgeworfen von Flugzeugen und in unterirdischen Schächten. In den 60ern wurden die Tests als großes Wirtschaftsinvestitionsprogramm für die Inseln angepriesen. Das war es auch: Flughäfen, Straßen, Krankenhäuser und Schulen wurden gebaut. Und natürlich die Militärbasen für die Tests. Über 100.000 Polynesier fanden einen Job bei ‚les militaires‘, wie es hier heißt. Und das bei heute etwa 280.000 Einwohnern insgesamt. Dass fast 200 Atombomben der Gesundheit und Umwelt eher nicht zuträglich sind, darüber hat man sich kaum Gedanken gemacht – trotz Hiroshima und Nagasaki. Auch, warum die Franzosen ihre Tests denn nicht in den Pyrenäen oder vor der Bretagne-Küste machen, wenn sie so ‚propres‘, so sauber sind, wie es damals hieß.

Nicht alle sind mit dem Text auf dem Denkmal in Pape'ete einverstanden.

Nicht alle sind mit dem Text auf dem Denkmal in Pape’ete einverstanden.

Bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Das alles kam erst nach und nach zum Vorschein, unter anderem durch einige sehr hartnäckige Polynesier, die bereit waren, bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu gehen, um an die geheimen Dokumente der französischen Armee zu kommen. Ein paar von ihnen treffe ich, etwa Michel Arakino. Der stattliche Mann mit dem über und über tätowierten Oberkörper war früher enthusiastischer Vertreter der Tests und hat selbst aus Taucher bei den unterirdischen Versuchen gearbeitet. Er war der erste, der nach einer Explosion in einem der hunderte Meter tiefen Schächte hineintauchte, um Proben zu holen. Mit einem ganz gewöhnlichen Taucheranzug. Schutzkleidung gab es erst später, nachdem in seinem Speichel und Blut erhöhte Strahlenwerte gemessen worden waren. Bis heute wurden ihm in mehreren Operationen Stücke des Darms entfernt. Er sagt, natürlich hat er beim Tauchen ein paar Tropfen Wasser in den Mund bekommen. Auch seine fünf Kinder haben alle gesundheitliche Probleme. Ob die radioaktive Strahlung der Grund dafür ist? Das lässt sich kaum belegen.

Vom überzeugten Atomtest-Befürworter zum Gegner: Michel Arakino.

Vom überzeugten Atomtest-Befürworter zum Gegner: Michel Arakino.

Inzwischen hat Michel seine Meinung über die Bombe geändert: Man hat uns belogen, die Bombe war nicht sauber. Das höre ich immer wieder. Und es stimmt. Was der französische Staat in den 60ern, 70ern und 80ern öffentlich erklärt hat, will so gar nicht passen zu dem, was er, wie inzwischen freigegebene Dokumente belegen, wirklich wusste. T’es français? Eine schwierige Frage. Als am frühen Nachmittag die Nachricht vom Attentat in Nizza mit über 80 Toten Tahiti erreicht, heißt es zuerst, alle weiteren Feiern werden abgesagt. Sie finden aber trotzdem statt, so zum Beispiel das Rennen der Obstträger mit Bananenstauden.

Beim Wettbewerb der 'Porteurs des fruits' muss man 30 bis 50 Kilo Obst schleppen.

Beim Wettbewerb der ‚Porteurs des fruits‘ muss man 30 bis 50 Kilo Obst schleppen.

Ein früherer Polizist, der während der Tests auf dem Atoll Moruroa gearbeitet hat, sagt mir: Wir sollen eine Schweigeminute für die Opfer von Nizza einlegen? Wer hat in Frankreich für unsere Opfer der Bombe geschwiegen?