Power to the People oder doch Bürgerkrieg – Wohin steuern die Philippinen?

Ausblick auf die Plattenbauten von Manila. tagsüber verblassen die Häuser hinter dem Smog

Ausblick auf die Plattenbauten von Manila. Tagsüber verblassen die Häuser hinter dem Smog

Auf nach Makati, die Region in Metro Manila, die als am sichersten gilt für Ausländer. Hier sitzt Manilas Wall Street, viele Organisationen haben sich daneben angesiedelt, auch deutsche. Die Hotels hier umgibt ein Rotlichtbezirk. Es ist fast Nacht, als ich in Manila lande, meine ersten Blicke als Beifahrer aus dem Fenster gelten Menschen, die auf der Hauptstraße zwischen Pöllern schlafen, die die Fahrbahnen trennen. Eine Frau in zerfetzten Lumpen versucht, am Betonfuß einer Ampel hinaufzuklettern. „Shabu“, sagt mein Fahrer und grinst mich wissend an. Er meint jene Droge, Methamphetamin, um das sich in den vergangenen Monaten viel gedreht hat in Manila – und von dem diese Frau offenbar abhängig ist.

„Shabu“ – Methamphetamin!

Der Präsident der Philippinen, Rodrigo Duterte, hat den Drogen den Krieg erklärt. Er will so die Kriminalität eindämmen. Abhängige hat er für vogelfrei erklärt, er lässt unter anderem die Polizei nachts auf Junkie-Jagd gehen. Er hat sich noch so einiges vorgenommen: Zum Beispiel Frieden im Süden schaffen. Auf der Insel Mindanao, wo Kommunisten, Islamisten, indigene Völker und Regierung um Ressourcen und Land streiten. Auch außenpolitisch, wirtschaftlich und in Sachen Straßenverkehr richtet er die Philippinen neu aus.

Das Problem: Er spaltet das Land dabei wie einen Baumstamm mit der Axt. Auf der einen Seite hat er wenige Kritiker, die die Drogenmorde als Verstöße gegen die Menschlichkeit werten. Die bemängeln, dass auf Mindanao mittlerweile Kriegsrecht anstatt Frieden herrscht. Auf der anderen Seite genießt Duterte großen Rückhalt in der Bevölkerung, die ihn wie einen Messias aus den eigenen Reihen feiert.

Ich gehe in den kommenden Wochen der Frage nach, wohin die Philippinen eigentlich gerade steuern und was deutsche Organisationen vor Ort leisten.

Die Gerüchte über Kriminalität und Prostitution in Manila erweisen sich als leider wahr: In meinen ersten Tagen laufen mir halbnackte Kinder entgegen, die „Boss“ zu mir schreien, und die Hand aufhalten. Ich sehe einen älteren Herren, bei dem sich gleich zwei junge Damen eingehakt haben. Ich sehe einen weißen Opa, in der einen Hand Chips, an der anderen ein Straßenkind. Hoffentlich will er keine Gegenleistung für seine Süßigkeiten. Eine Frau (oder doch ein Mann?) bietet mir für 350 Pesos – sieben Euro – ihre Dienste an. Meine Güte, ich suche doch nur etwas vernünftiges zu essen. Habe ich etwas gefunden, verfolgen mich Straßenhunde, die sich irgendwo losgerissen haben.

Bombe unter dem Auto?

Und Manila ist unsicher: Jeder Laden, der etwas auf sich hält, hat einen bewaffneten Wachmann davor stehen. Manchmal tragen die Wachmänner Pumpguns, so groß, als sollten sie damit einen Zuchtbullen abschießen. Wenn ein Auto vor einem Hotel vorfährt, tritt ein Wächter mit einem Besenstiel heran, an dessen unterem Ende ein Spiegel befestigt ist. Damit kann er unter dem Auto nach Bomben suchen, ohne sich dabei auf den Asphalt legen zu müssen. Überhaupt höre ich in den ersten Tagen immer wieder: „Geh hier nicht hin, spricht dort niemanden an. Sei vorsichtig.“ In der Bahn würde man im Gedränge bestohlen, der Taxifahrer würde das Wechselgeld ungern herausgeben. Es scheint, als hätten die Menschen das Vertrauen in einander verloren.

Straßenkinder planschen in der Kloake von Manila Bay. Eine Frau sucht im stinkenden Müll etwas wertvolles. Viele Bewohner leben in Slums oder auf der Straße.

Straßenkinder planschen in der Kloake von Manila Bay. Eine Frau sucht im stinkenden Müll etwas wertvolles. Viele Bewohner leben in Slums oder auf der Straße.

Armut, Kriminalität, Unsicherheit. Die Philippinen sind das größte Land Südostasiens mit dem zweitgrößten Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren. Doch bei den meisten Menschen ist davon so gut wie nichts angekommen, sie sind abgehängt. Sicher, ein Teil der Filipinos spricht jetzt vornehm miteinander Englisch und hat ein eigenes Auto, mit dem man zur Shopping-Mall fährt. Aber der andere Teil lebt immer noch in Bretterbuden in den Slums oft in Küstennähe, und spricht auf Tagalog miteinander.

Gangster-Rap im Supermarkt

Die Jahrhunderte der Besetzung durch Spanier, Japaner und Amerikaner haben ihre Spuren hinterlassen. Die Filipinos sind ein genuin asiatisches Land, aber schnell wird klar, die Menschen blicken zu uns hinauf. Sie wollen sein wie wir, sie nennen uns „Sir und Ma‘am“ oder eben Boss. Hier hängen Kreuze an den Rückspiegeln im Auto anstatt dass Buddha auf dem Ladentresen sitzt. Sonntags läuten die Glocken und selbst im dicksten Smog mitten in der Rush Hour ist noch Zeit für eine kleine Prozession, bei der die heilige Maria zwischen den Jeepneys durch die Gegend getragen wird. Ich empfehle zum Verkehr den Artikel meines stipendiatischen Vorfahren, dazu nur so viel: Die Filipinos nehmen keine Fahrstunden.

Basketball verwandelt Manilas Slums in die Bronx Asiens. Der kulturelle Einfluss ihrer Besatzer auf die Filipinos ist häufig sichtbar.

Basketball verwandelt Manilas Slums in die Bronx Asiens. Der kulturelle Einfluss ihrer Besatzer auf die Filipinos ist häufig sichtbar.

Die Jeepneys sind auch nicht mehr, was sie wohl einmal waren: Die bunten Graffitis und klangvollen Namen wie „Malate Pride“ aber auch „Makati Cancer“ mussten Fast Food Werbung weichen. Basketballduelle werden auf der Straße ausgetragen und wenn die Sonne untergegangen ist, krächzt schon der erste schiefe Ton aus der Karaoke-Bar um die Ecke. Im Supermarkt läuft die ganze Zeit Gangster-Rap. Es hat bei mir schon ein bisschen gedauert, bis ich angekommen bin, hier in dieser Bronx Asiens. Besonders weil ich aus dem hypersterilen und superreichen Singapur angeflogen kam, das im Vergleich zu Manila wie eine Simulation der Zukunft wirkt.

Durst nach Sicherheit

Jahrelang haben die korrupten Clans der Arroyos und Aquinos das Land regiert, die sich und ihre Gefolgschaft schamhaft persönlich am Aufschwung bereicherten. Groß muss also der Durst gewesen sein nach einem Präsidenten, der Sicherheit, Ordnung und Arbeit verspricht, und dafür Frieden und Menschlichkeit opfert. Am 25. Juli will Duterte das erste Jahr resümieren. Auch ich will wissen: Was also ist von seinen Versprechungen geblieben? Warum genießt er solchen Rückhalt? Hat er vielleicht doch etwas erreicht? Haben wir eine verzerrte Wahrnehmung von den Philippinen?

Im zweiten Schritt gehe ich der Frage nach, was deutsche Organisationen in Sachen Menschenrechte und Frieden leisten. Was sind unsere Positionen gegenüber den Philippinen? Was leisten deutsche Organisationen vor Ort und was verändert sich für sie seit vergangenem Sommer? Ich bin jetzt seit zehn Tagen da, habe bisher in Manila mit deutschen und philippinischen Organisationen gesprochen. Habe Quellen unter den Bewohnern aufgetan. Jetzt bin ich in Mindanao, werde auch hier mit Organisationen sprechen, aber auch mit Kommunisten und Indigenen. Dann noch einmal zum Endspurt auf nach Manila.

An dieser Stelle danke für die Förderung durch die Heinz-Kühn-Stiftung, die es mir möglich macht, das Land genau zu verstehen, um später von hier genau berichten zu können.