Busreisen durch die Eigenarten der Pino-Kultur: „This is why it‘s more fun in the Philippines“

„It‘s More Fun In The Philippines“, heißt es in Werbeslogans der Tourismusbranche hier. Der Spruch wurde zum Sprichwort. Mit schelmischem Grinsen warten die Filipinos dann auf ein Lachen, wenn sie das sagen. Anfangs, noch in Manila, mochte ich den Spruch nicht so sehr. Wuchtig gab das Land mir eine schallernde, faulig riechende Backpfeife. Aufwachen Junge. Die haben Hunger hier. Und du jammerst, weil dein Computer kaputt ist. Aber jetzt, am Ende, sage ich doch auch: It‘s more fun…

Ich saß viel im Reisebus und habe nachgedacht. Besonders beeindruckt hat mich, wie offen und  unkompliziert die Filipinos Geschlechterrollen ausleben. Es gibt so einige Frauen, die im männlichen Körper geboren wurden, ähnlich wie in Thailand. Sie gehören überall zum Familien- und Stadtbild, scheinen vollends akzeptiert. Es gibt einige, offensichtlich schwule Männer, die plötzlich doch mit Ate anstatt Kuya, also mit Schwester anstatt Bruder angesprochen werden wollen. Und heterosexuelle Männer stärken sich die Fingernägel mit Lack oder tragen auch schon einmal eine pinke Zahnkrone. Irgendwie verschwimmen die Grenzen hier. Es fühlt sich verwirrend, aber erfrischend frei an.

Die Filipinos geben gerne Komplimente. Oft haben Männer wie Frauen im Vorbeigehen zu mir gesagt: „You look handsome.“ Oder: „Gwapo“, schön. Wegen der blauen Augen, glaube ich. Manchmal habe ich auf das Kompliment mit „You can kiss me now“ geantwortet. Mein persönliches Highlight zu dem Thema war ein vielleicht 18-jähriger Kellner in einem Local Food Store, hier Eatery genannt. Er schmetterte lautlos, nur mit den Lippen, einen Song in sein Handy, wahrscheinlich Backstreet Boys. Dann sah er mich: „Oh. Oh my God, are you Superman?“ Ich musste so breit grinsen. Doch als er feststellen musste, dass ich mehr wollte, nämlich einfach ein Gespräch mit ihm führen, trieb es ihm die Röte ins Gesicht. Er traute sich nicht. Am nächsten Tag war es ihm zu viel mit mir. Jetzt sah er mich und hielt sich kopfschüttelnd die Hände vor‘s Gesicht. Wie ein Fußballer, der gerade ein Eigentor geschossen hat.

In dieser wunderschönen Landschaft fallen ab und zu Bomben. Durch Mindanao mit dem Bus

Der Grund, warum dieser Junge so reagiert hat, ist: Im Moment fährt niemand in seine Heimat, nach Mindanao, in den Süden. Wegen dem Kriegsrecht, das dort herrscht. Ich war der einzige westliche Mann weit und breit. Folglich hatte ich tausende Augenpaare auf mir, dutzende kleine Gespräche. Trotzdem habe ich mich noch nie so einsam gefühlt. Immerhin: Isolation macht produktiv und kreativ.

Im Bus sitzend fallen mir die unzähligen Waffen auf, die Soldaten, Sicherheitsleute und auch Zivilisten tragen. Dazu die folgende  Anekdote aus der Kategorie „Alle tragen Waffen“: Eine kleine Filipina süppelt einen Instant-Kaffe im Mini-Markt um die Ecke. Wir reden:

So, what‘s your job?“
Sie: „I‘m a guard.“
Es klingelt bei mir. Alle Sicherheitsleute haben diese Permission, einen Waffenschein, den man genau wie den Führerschein kaufen kann.
So, you got a gun?“
Sie: „Of course.“
Ich überlege kurz: „You got your gun on you right now?“
Sie: „Sure.
Ich: „Really?
Und sie zog eine geladene Waffe aus ihrer Handtasche.

Ach ja, das Mädchen mit dem Colt. Eigentlich nicht lustig, aber irgendwie auch aufregend. More fun in the Philippines. Auch der junge Filipino, der hinter mir im Bus mit seiner Freundin kuschelt, trägt ein bisschen sichtbar seine Pistole in der Brusttasche. Er sei Polizist in Manila. Warum man da seine Waffe mit zum Insel-Hopping in den Urlaub nehmen muss? Es sei „High Alert“ in den Philippinen. Na gut.

Mit der Waffengewalt im Drogenkrieg gehen manche Filipinos kunstvoll um

Dazu muss man wissen: Die Pinos sind genau wie die Amerikaner närrisch nach Waffen. Für Familien im Süden gehört es zum guten Ton, bewaffnet zu sein, während das liberale Waffenrecht es bestimmten, gefährdeten Berufsgruppen – wie zum Beispiel Schauspielern – erlaubt, Waffen in der Öffentlichkeit zu tragen. Was sie in Manila dann auch tun. Dass die Geschichte immer wieder gezeigt hat, dass die Waffendichte eines Landes mit seiner Mordrate korreliert, interessiert hier niemanden.

Die Philippinen sind ein Land der Extreme und der Gegensätze. Trotz der Waffen und der Gewalt im Land, habe ich selten so freundliche Menschen erlebt. Herzallerliebst und hilfsbereit waren alle zu mir. Aber nicht aus Profitinteresse, sondern aus purer Freude an der Menschlichkeit. Die Taxifahrer haben eher für meine sichere Weiterfahrt gebetet und sich bekreuzigt. Anstatt das Wechselgeld zu behalten, wie mir zuerst eingetrichtert wurde.

Das Land ist schwierig zu bereisen, aber irgendwann weiß man, wo das Paradies liegt

Diese Freude und Liebe kann in Grausamkeit und Gewalt umschlagen. Kämpfe sind für Filipinos ein kulturelles Elexier: Sie lassen alle und alles gegeneinander kämpfen: Spinnen, Hunde, Kleinwüchsige im Ölbecken (so gesehen in Manila). Und es gibt natürlich – Klassiker – den Hahnenkampf, ein Sinnbild für die kampfeslustige und kampferprobte Pino-Kultur. Sonntags nach der Kirche geht es gegen zwei zur Arena, zum „Cock Pit“. Fast ausschließlich Männer kommen, so mancher hat die Kirche ausfallen lassen und stattdessen schon um Viertel vor Elf die erste Flasche Gin platt gemacht. Offener Hosenstall, blanke Arschritze, lallen.

Zuerst hocken ein paar Männer im Kreis, Zigarette im Mundwinkel. Die Menge tummelt sich drum herum. Ihre Hähne halten die Männer im Arm. Wenn zwei Hähne unruhig werden, dann werden sie zu Kontrahenten. Jetzt wird die gebogene Klinge um den linken Hähnchenfuß gebunden, danach wandert die Meute zum Ring. Das Wetten geht los. Die Buchmacher im Ring schreien ihre Einsätze in die Menge, man kann aber auch außerhalb, privat und schwarz gegeneinander wetten. Das sei gefährlich, erklärt mit mein Sitznachbar. Wer weiß ob du deinen Einsatz oder ein Messer bekommst.

Die Filipinos mögen Kämpfe

„Cockfights“ sind ein erträgliches Geschäft: Es gibt den Ringrichter, den Züchter, den Trainer, den Eigentümer. Und alle verdienen mit. Am lautesten jolt der Polizist dort vorne, der gleichzeitig auch Immobilienhändler ist. Er setzt bis zu 300.000 Pesos auf einen Hahn. 7500 Euro. Beim Hahnenkampf ist die offene und freie Gesellschaft dann doch wieder Macho-, Gewalt- und Geldorientiert. Aber gut, es ist ihre Kultur. Und ehrlich gesagt war der Hahnenkampf ziemlich schlimm blutig, aber fast auch wieder: Fun. (Außer, dass die geschundenen Vögel natürlich feierlich auf dem Grill landeten und das schmeckte gar nicht lecker)

Zurück in den Bus. Dort hatte ich viel Zeit zum Zuschauen. Kleinigkeiten sind mir aufgefallen – Folklore von der Landstraße: Die Filipinos sehen schon so aus wie richtige Gangster: Sie krempeln das Shirt hoch über den dicken Bauch, tragen stets Sonnenbrillen, Halsketten, oder Baskettballtrikots und weite Hosen. Und auch Opa trägt die Basekapp falsch herum, trotz Gehstock. Im Verkehr tragen Männer häufig ein Handtuch um den Hals oder den Kopf gewickelt, Frauen halten sich ein Taschentuch vor die Nase. Oft ersetzen Porzellanzähne die vorderen Zahnreihen, oder sie tragen Zahnspangen. Das gilt für beide Geschlechter.

Wer Pech hat, wird zusammengeflickt. Und muss nächsten Sonntag wieder in den Ring

Warum wippen eigentlich so viele Filipinos mit dem Knie, nicht nur wenn sie im Bus sitzen, überall? Ein Schulkind-Symptom eigentlich, oder? Herausfinden konnte ich es nicht, offenbar bin ich der Einzige, dem es überhaupt auffällt. Wahrscheinlich hat es mit Reizüberflutung bei gleichzeitiger Unterforderung zu tun. Denn Filipinos sind unentwegt online, lesen aber wenig Bücher. Zumindest habe ich, glaube ich, fast niemanden jemals ein Buch lesen sehen. Studien zufolge verbringen Filipinos hingegen die meiste Zeit weltweit in sozialen Medien. Drei Handys, vier Sim-Karten – sind hier ganz normal.

Wer einen neuen Freund in sozialen Medien hinzufügt, kann sich auf was gefasst machen: Ich habe es ausprobiert und jemandem vom Personal hinzugefügt. Plötzlich sagt das ganze Hotel: „Good evening, Sir.“ „Sweet dreams, Sir.“

Fake-News und schlechte Bildung sind hier ein Problem. Aber meine Reisebusse fahren an unzähligen, hübsch bunt angemalten Schulen mit grünen Dächern vorbei, die Besserung versprechen. Vor den Schulen gibt es Zebrastreifen und Schilder: „This school is a peace zone.“ Oft werden die Schulen mit Remittances aufgebaut, mit dem Geld der zehn Millionen Filipinos im Ausland, die sich im Nahen Osten, Europa oder Amerika verdingen. Noch gehen an vielen Orten die Kinder in Schichten zur Schule, die einen früh, die anderen mittags, es ist nicht überall genug Platz.

Alle sind happy auf den Philippinen. More fun

Doch die Kinder setzen sich gerne neben mich in den Bus, der Reisebus und Schulbus zugleich ist, der für jeden Passagier eine individuelle Haltestelle findet, der keine Fenster hat, aber dafür zehn Pakete Reis auf dem Dach und dazu dort drei Jungen, die für ein paar Pesos mithelfen und mitreisen. Die Jungen und die Schulkinder sind anders manche Eltern. Sie wollen Englisch mit mir sprechen.

Also: Die Philippinen sind kein Kindergeburtstag. Its more fun, aber auch more sadness and more violence. Hier gibt es einiges zu tun. Deswegen: Bis bald, Pilippinas.