„Wenn du meinen Namen veröffentlichst, das wäre nicht gut für mich“

Tagesziel für heute: Einen Ort besuchen, an dem es ein vergleichbares Landgewinnungs-Projekt, wie dem geplanten in der Benoa Bucht, schon gegeben hat. Die Serangan Insel.

Ein Speedboot, das es nicht geschafft hat

Ein Ort mit einer traurigen Geschichte und vielen Gerüchten – wie ich immer von Einheimischen erfahre. „Verflucht durch die Götter“, „zwielichtig“, „Drogen und Prostitution“. Unter Touristen auch schlichtweg als Turtle Island bekannt, die teils von wütenden Online-Rezensionen als unethische Zuchtstätte für Schildkröten und überteuerte Touristenfalle enttarnt wird. Die lange, breite Straße wird ab Ortseingang plötzlich schmaler, kurviger, chaotischer. Lange keine Spur von Tourismus. Am Straßenrand Abfall, Erdhaufen und unfertige Gebäude. In regelmäßige Abständen warnt ein rotes Schild vor Tsunamis. Je weiter ich in den Ort hineinfahre und dem Strand näher komme, desto mehr Restaurants, Bars und Wassersport-Anbieter tauchen auf. Leere Stühle, leere Theken, leere Kanus. Mag an der Mittagszeit liegen. Entlang der Küste sehe ich tiefe Risse in trockenem Boden. Mag an den Gezeiten liegen. In einer Straßenkurve liegt ein verwittertes Speedboot. Alles scheint hier in die Jahre gekommen und unfertig. Ein Unort. Als hätte man sich vor langer Zeit auf Touristen eingestellt, die nie gekommen sind. Bloß im „Turtle Conservation and Education Center“ scheint Betrieb. Ab und an kommt ein Taxi vorgefahren, setzt Touristen ab oder sammelt welche ein.

1994. Die vorgelagerte Insel an der Ostküste Balis wird auf das dreifache ihrer ursprünglichen Größe erweitert. 380 Hektar Fläche werden im südlichen Teil mit Sand aufgeschüttet, der vor der Küste abgebaggert wurde. Das Projekt leitet Tommy Suharto, Sohn des damaligen Präsidenten Suharto, im Jahr 2000 verurteilt wegen Mordes an einem Richter, der ihn wegen Korruption verurteilt hatte. Aber das nur am Rande. Die künstliche Insel soll ein luxuriöses Urlaubsparadies für Touristen werden. 24 Jahre später steht kein einziges Hotelgebäude. Stattdessen bedecken Sedimentschichten inselnahe Riffe, der Wachstum von Meeresalgen ist zurückgegangen und die Wellenmuster haben sich verändert. Laut der Nicht-Regierungsorganisation Conservation International (CI) sind die Folgen der Landgewinnung außerdem in einem Radius von 3 Kilometer sichtbar. Zum Beispiel in Sanur, nordöstlich von Serangan. Wochen später unterhalte ich mich mit einem älteren Herren, der sein Leben lang in Sanur gelebt hat. „Unsere Strände sind längst nicht mehr das, was sie mal waren“, beschreibt er die Erosion. 

Mit Karten-App, Roller und Lichtschutzfaktor 50 versuche ich auf den künstlichen Teil der Insel zu kommen. Stattdessen fahre ich eine gute halbe Stunde entlang eines blickdichten Bauzauns, an einer Stelle unterbrochen von riesigen Erdhaufen mit einer lieblosen Bambus-Absperrung davor, bis ich ein Häuschen mit Schranke erreiche. Daneben drei Herren in Uniform. „Can I enter here?“ Das No Entry-Schild will ich nicht gesehen haben. Die drei Herren schütteln die Köpfe. „Can I pay to enter?“ Wieder Kopfschütteln. Fünf Minuten später klettere ich über die Erdhaufen mit der Bambus-Absperrung. Dahinter ist es dicht bewachsen. Beim Rumlaufen finde ich ein verwittertes Häuschen mit unlesbaren Aufzeichnungen und viel Dreck auf dem Boden, dahinter eine wild bewachsene Verkehrsinsel und aufgespießte Buchstaben aus Blättern: „Kura Kura Bali“. Als plötzlich ein Hund hinter den Buchstaben hervor rennt, durch aggressives Bellen und Zähnefletschen unmissverständlich klarmacht, dass ich hier nichts zu suchen habe, eile ich zurück. Ein bisschen gestresst. Was ist das hier für ein merkwürdiger Ort? „Ein Traum von nachhaltigem Leben, eine Insel der Glückseligkeit, Kura Kura Bali Island“ lese ich später im Netz auf einer offiziellen Webseite. Kein Hinweis auf ein Datum, außer „Kura Kura Bali entsteht gerade“. Eine 500 Hektar große Öko-Insel, „entwickelt auf Basis eines grünen Masterplans.“ Nach allem, was ich über diesen Ort bisher weiß, stinkt das nach Greenwashing. 

Vier leere Bintang-Flaschen und ein voller Aschenbecher stehen auf dem Tisch. Ich komme schnell mit den beiden Männern vom Nachbartisch in der Warung ins Gespräch. Beide tragen zeremonielle Kleidung, ganz in weiß, jeweils ein zusammengeknotetes Tuch auf dem Kopf. Wir sind die einzigen Gäste. Als ich erzähle, dass mich meine Recherche nach Serangan führt, seufzt Ketut (Name geändert). „Hoffentlich wird das Hotel doch noch irgendwann gebaut!“ Der 42-Jährige mit dem kleinen Bauch und dem großen Goldring am Finger ist heute für die Zeremonie zurück in seinen Heimatort gekommen. Weil die Jobsituation im touristischen Nusa Dua wesentlich besser sei, lebt er dort und verdient sein Geld bei einem der zahlreichen Wassersport-Verleihe am Strand. „Sobald das Hotel steht, ziehe ich wieder nach Serangan und eröffne meine eigene Warung und verkaufe Bintang!“ Sein Bauch wackelt vor Lachen. 

Die Veränderung seiner Heimatinsel hat Ketut am eigenen Leib miterlebt. „Kleines, schönes Fischerörtchen.“ „Und jetzt?“ Er macht eine abfällige Geste mit der Hand Richtung Hafen. „Guck doch selbst!“ Die Intransparenz von Seiten der Politik und der Investoren frustriert ihn besonders. Korrupte Strukturen hätten die Landgewinnung erst möglich gemacht, gedeckt vom  Militär aus Jakarta. „Keiner weiß, warum das Projekt nicht zu Stande kam und ob es jemals zu Stande kommen wird.“ Ab und gäbe es Besichtigungen des künstlichen Inselteils. „Investoren“ vermutet Ketut. Ich frage nach Kura Kura Bali. „Das soll es auch schon lange geben.“ Er greift nach einer weiteren Zigarette. „Aber keiner will hier investieren. Viele glaube, der Ort ist verflucht.“ Für die Erweiterung der Insel hätten einige Inselbewohner ihr Land verloren. „Wieso haben sie es denn hergegeben?“ Seine freundliche Mimik verändert sich. „Wenn jemand an deiner Tür klopft und in dein Gesicht fragt, ob du dein Land hergibst, sagst du ‚Nein‘, wenn er dabei eine Waffe in den Händen hält?“ Ich frage vorsichtig nach. „Hast du davon gehört?“ „Ich habe es gesehen.“

Während unseres Gesprächs hatte mir Ketut die Erlaubnis gegeben, ein gemeinsames Foto, seinen Namen und auch unser Gespräch für meinen Bericht zu verwenden. Eine Weile nach unserem Gespräch steht Ketut auf und kommt rüber zu meinen Tisch. Er lächelt und sagt mit ruhiger Stimme, dass ich weder das gemeinsame Foto, noch seinen Namen veröffentlichen solle. „Das wäre nicht gut für mich“ lächelt er.