Der Adam’s Peak ist für alle da, oder?

Eigentlich ist der Sri Pada, oder Adam‘s Peak, wie er auf Englisch genannt wird, ein gutes Beispiel dafür, wie gut die vielen Religion in Sri Lanka nebeneinander existieren. Denn der Berg ist allen Religionen heilig. Jeden Tag pilgern hunderte, am Wochenende auch gerne mal zehntausende Gläubige Mitten in der Nacht den 2234 Meter hohen Berg im zentralen Hochland Sri Lankas hinauf. Über 5000 Stufen erklimmen sie dafür bei starkem Wind und extrem kühlen Temperaturen. Und das alles nur für einen goldenen Fußabdruck. Der Fußabdruck auf dem Gipfel stammt laut den Buddhisten von Buddha, für die Muslime und die Christen ist klar, dass Adam ihn hinterließ, für die Hindus ist es eindeutig der Fußabdruck des Gottes Shiva. Neben den Pilgern gesellen sich auch noch einige tausend Touristen wie ich dazu, denen es mehr um den spektakulären Sonnenaufgang und das Erlebnis an sich, als um den heiligen Fußabdruck geht.

1:45 Uhr, der Wecker klingelt. „Warum tue ich mir das überhaupt an?“ frage ich mich. Ich quäle mich aus dem Bett. Dann ist ganz schnell die Aufregung da. „Was, wenn ich nicht fit genug bin?“ Ich ziehe mir mehrere Schichten über plus eine Regenjacke. Es soll kalt werden. Dann schwinge ich mich auf die Straße. Es ist gerade mal 2.15 Uhr, doch alleine bin ich nicht. Vor mir hat sich eine Traube Touristen versammelt. Praktisch, denn so muss ich mich nicht um die Navigation kümmern, ich trotte einfach dem Pulk hinterher. Plötzlich stockt die Karawane. Ein Mönch in orangener Kutte und mit Tommy Hilfiger Mütze hält die Wanderer auf und segnet Pilger um Pilger, bevor es mit den 5000 Stufen losgeht. Segnen im Akkord, besinnlich geht anders. Er legt mir ein Bändchen aus weißem Garn ums Handgelenk. Beim Aufstieg soll jeder zumindest etwas weißes am Leibe tragen, es drückt Respekt aus und soll  Glück bringen, wird mir erklärt. Spenden ist im Anschluss erwünscht.

 

Dann geht es los. Schon nach wenigen Stufen schnaube ich wie ein Walross. Es ist 2.30 Uhr. Der Wind ist bitter kalt. Ich bin müde und ich schwitze. Aufs Klo müsste ich eigentlich auch. Eine sri-lankische Oma in Flip-Flops überholt mich. „Reiß‘ dich zusammen“, sage ich zu mir selbst. Jeder gute Buddhist sollte nach buddhistisch-singhalesischem Glauben den heiligen Berg zumindest einmal im Leben bestiegen haben. „Viele besteigen ihn aber auch mehrere Male, vor allem wenn sie ein Problem haben und sich davon dann erhoffen, dass es besser wird“, erklärte mir zuvor der Besitzer des Hotels, in dem ich übernachtet hatte. Das sehe ich: Ich gehe an Männern mit nur einem Bein und Krückstock vorbei. Eine Familie trägt ihren kranken Opa Stufe für Stufe den steilen Berg hinauf. Viele Menschen laufen den Adam’s Peak auch barfuß empor, haben sich Plastik-Fleece-Decken um den Hals gewickelt. Eine Mutter schleppt ein schreiendes Baby vor der Brust. Plötzlich komme ich mir wegen meines Selbstmitleids schäbig vor.

Eine singende in weiß gekleidete Gruppe kommt mir entgegen. Sie scheinen den Berg schon erklommen zu haben und befinden sich auf dem Rückweg. Ein Vorsänger brüllt etwas auf singhalesisch in die Nacht, die anderen hinter ihm wiederholen seinen Singsang, laufen wie Soldaten im Takt dazu Stufe für Stufe ab. Es erinnert mich etwas an meinen ersten Ausflug mit der 5 c ins Landschulheim, nur dass die Wanderung da nicht mitten in der Nacht stattgefunden hat. Es hatte schon etwas Bizarres. Überall am Wegesrand campieren die Menschen. Sie schlafen, fest in Decken gehüllt, nur ihre nackten Füße schauen heraus.

Laternen und der Mond leuchten uns den Weg. Mehr als die Stufen sieht man aber nicht, und das ist auch gut so. Hätte ich gewusst, wie viel ich um 3.30 Uhr noch vor mir habe, ich wäre in einer der vielen Buden am Wegesrand mit viel süßem Milchtee versackt. So ließ ich mich einfach vom Strom mitziehen.

 

Ich passiere Buddhastatue um Buddhastatue. Von ihnen gibt es fast so viele wie Stufen zum Adam’s Peak. Weiße Bindfäden sind am Wegesrand gespannt. Sie schimmern wie Spinnennetze im Mondschein. Der Pilgerweg zum Gipfel ist mit buddhistischen Flaggen und Statuen dekoriert. Der Berg, der doch für alle Religionen da ist, scheint offensichtlich von einer einzigen dominiert zu sein. Schnell wird klar, wer hier das Sagen hat. Die Schilder sind fast ausschließlich auf Singhalesisch. Nur die ‚ganz wichtigen‘ Dinge wie „Schuhe im Tempel ausziehen“ sind auch auf Tamilisch und Englisch übersetzt.

Drei Stunden später erreiche ich völlig durchschwitzt den Gipfel. Oben weht ein kühler Wind. Gut, dass ich Wechselklamotten dabeihabe. Eine riesige Menschen-Schlange macht die letzten Meter bis in die Tempelanlage zum nervenzehrenden Kraftakt. So ganz ohne Bewegung mitten im Windkanal beginne ich zu schlottern. Doch die Aufpasser am Eingang des Tempels haben keine Gnade mit den Pilgern. In Socken müssen wir den eiskalten Steinboden betreten. Alles quetscht sich auf die wenige Quadratmeter kleine Plattform, die von einem goldenen Zaun umgeben wird. Ich stehe für den Fußabdruck an. Gerade mal fünf Sekunden darf ich einen Blick auf das goldenen Abbild in einem gläsernen Bilderrahmen werfen. Es reicht nur für eine blasse Erinnerung. Dann werde ich von den Aufpassern weitergetrieben. Schließlich bin ich nicht die einzige, die den heiligen Fußabdruck sehen will.

Gerade noch rechtzeitig kann ich mir zwischen den Menschenmengen einen Platz für den Sonnenaufgang sichern. Es herrscht große Aufregung. Dann bleibt einfach jeder dort stehen, wo er sich gerade befindet. Für die nächsten zwanzig Minuten bewegt sich keiner mehr vom Fleck. Einfach deshalb, weil es gar nicht anders geht.

Es ist der einzige Moment, bei dem egal ist, von wem der Fußabdruck tatsächlich stammt, wer welche Religion hat. Wir alle- Christen, Hindus, Buddhisten, Muslime und Atheisten verstummen und bestaunen das Wunder, das sich da gerade vor unseren müden Augen abspielt.
Der Horizont ist in dramatisches Rot getränkt. Weiße Nebelschleier legen sich elegant um die Berggipfel darunter. Alle scheinen den Atem für diesen einen Augenblich anzuhalten, als es dann plötzlich passiert: Ein orangener Strahl blitzt hinter einem Berg hervor. Glocken läuten: „Hallo Sonne, schön, dass du da bist“, scheinen sie sagen zu wollen. Ich atme die kühle Luft ein. Stück für Stück schiebt sich der orangene Ball hinter den Bergen hervor, bis er schließlich ganz zu sehen ist. Endlich sehe ich den Weg, den ich in dieser Nacht auf mich genommen habe und den es jetzt mit müden Füßen wieder zurück gehen soll. Die buddhistischen Flaggen flattern friedlich im Wind. Schön sehen sie aus, als wären sie für alle da.