Ein Hauch von Nordkorea

An meinem letzten Tag in Harare habe ich endlich umgesetzt, was ich schon seit Wochen vorhatte: Ich bin zum National Heroes Acre gefahren, dem Ehrenfriedhof für die Helden des Unabhängigkeitskrieges. Dort sind so einige Kämpfer bestattet, die mir schon zuvor in Texten und Dokumentationen begegnet sind, und auch Robert Mugabes erste Frau Sally liegt dort begraben. Beinahe hätte auch der im September verstorbene Mugabe selbst auf Heroes Acre beigesetzt werden sollen, nach drei Wochen hin und her zwischen Regierung und Familie wurde der Sarg dann aber in Zvimba heruntergelassen, dem Geburtsort des früheren Präsidenten. (Ich war der einzige nicht-afrikanische Journalist bei der Beisetzung, aber das mal nur am Rande.)

National Heroes Acre liegt eine kurze Kombi-Fahrt westlich vom Stadtzentrum, auf einer Anhöhe direkt an der Ausfallstraße, die Harare mit der zweitgrößten Stadt Bulawayo im Südwesten Simbabwes verbindet. Der schwarze Obelisk mit der elektrischen Fackel auf der Spitze (die ich freilich nie leuchten gesehen habe) ist schon von weitem zu sehen. Von einem Tor, das aussieht wie eine kleinere Version dieses Obelisken auf vier Stützen, geht es zu Fuß den Berg hoch. Ich bin weit und breit der einzige Besucher an diesem Oktobertag, die paar Blesshühner, die am Hang picken, nicht mitgezählt.

Nach knapp zehnminütigem Anstieg bin ich oben – und plötzlich doch nicht mehr alleine: Gerade, als ich die Kamera ausgepackt habe, kommt ein weißer Pickup angefahren, die Ladefläche voller Soldaten. Der Wagen hält, die Soldaten steigen ab. Ich fühle mich etwas unbehaglich, bis ich merke, dass sie sich einfach nur die Gedenkstätte erklären lassen.

Schwer bewaffnet: das zentrale Bronzedenkmal auf National Heroes Acre
Schwer bewaffnet: das zentrale Bronzedenkmal auf National Heroes Acre

Den Erläuterungen in Shona könnte ich eh nicht folgen, und so erkunde ich das Terrain auf eigene Faust. Der Obelisk thront auf einem Berg von schwarzem Granit, im Halbkreis sind Terrassen abgestuft, auf denen sich die rund 50 Gräber befinden. Zuerst fällt jedoch die zentrale Statue ins Auge: In gleißender Bronze stehen ein Hauptmann mit Flagge, Ärmel hochgekrempelt, das Gewehr auf dem Rücken, ein Kämpfer mit Panzerfaust und eine Kriegerin mit einem Maschinengewehr.

Etwas abseits, links und rechts, flankieren große Wandbilder die Anlage, die Szenen aus dem ersten beziehungsweise zweiten Chimurenga zeigen, also den beiden Aufständen, die in simbabwischer Geschichtsschreibung auf eine Stufe gestellt werden: Ende des 19. Jahrhunderts lehnten sich die Matabele gegen die weißen Besatzer auf; in europäischer Geschichtsschreibung ist auch vom Zweiten Matabele-Krieg die Rede. Der zweite Chimurenga in den 1970ern beendete die Kolonialherrschaft der damaligen britischen Kolonie Rhodesien und führte Simbabwe 1980 in die Unabhängigkeit. Auf dem Wandbild ist deshalb auch Robert Mugabe zu sehen, der aus dem Exil Aktionen der ZANU (später mit ZAPU fusioniert zur ZANU-PF) koordinierte.

Das Wandrelief zeigt den zweiten Chimurenga – mit Robert Mugabe als Anführer
Das Wandrelief zeigt den zweiten Chimurenga – mit Robert Mugabe als Anführer

Das alles ist gehalten im Stil des Sozialistischen Realismus, wie man ihn sonst in Maos China oder der Sowjetunion verorten würde – oder eben in Nordkorea. Das ist kein Zufall, schließlich war die nordkoreanische Mansudae Overseas ganz maßgeblich an den Bauarbeiten Anfang der 1980er-Jahre beteiligt. Zu Beginn seiner Ägide unterhielt Robert Mugabe gute Verbindungen nach Nordkorea, so wurde auch die berüchtigte Fünfte Brigade dort ausgebildet, die Mitte der 80er das „Gukurahundi“-Massaker mit Tausenden Toten in der südwestlichen Region Matabeleland verübte. Historiker sind sich uneins, ob man die Aktion gar als Genozid an der Minderheit der Ndebele sehen kann – es überwiegt jedoch die Einschätzung, Mugabe hätte mit „Gukurahundi“ zuallererst seinen Machtanspruch zementieren wollen, indem er die neben seiner ZANU stärkste Gruppe, die ZAPU unter Joshua Nkomo, gewaltsam verdrängte. Die Gewalt endete, als Nkomo der Fusion seiner Partei mit der Regierungspartei zur dann allein herrschenden ZANU-PF zustimmte.

Als Nkomo 1999 starb, wurde er auf dem National Heroes Acre bestattet – angeblich gegen seinen Willen, den er zu Lebzeiten geäußert haben soll. Das wäre fast auch im Fall von Robert Mugabe selbst so passiert: Als der Langzeit-Präsident Anfang September starb, ging es mehrmals zwischen Regierung und Familie hin und her. Anders als zu Nkomos Zeiten behielt diesmal die Familie des Verstorbenen die Oberhand – oder, man könnte sagen: Beide Male setzte sich Mugabe durch.

Überblick über die Anlage – der Obelisk ist von weitem zu sehen
Überblick über die Anlage – der Obelisk ist von weitem zu sehen

National Heroes Acre ist ein guter Ort, um sich vor Augen zu führen, wie stark Simbabwe in den ersten Jahren seiner Unabhängigkeit von sozialistischen Ideologien beeinflusst wurde. Noch heute steht auf der Webseite der Simbabischen Tourismusbehörde über den Heldenfriedhof: „Simbabwes Befreiungskrieg ist das Epos des revolutionären Geists, der moderne Simbabwer charakterisiert. Wir sind Kämpfer, genau wie unsere Befreier – in jeder Hinsicht, politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich.“ Dieser Klappentext passt sehr gut zur monumentalen Architektur, die ich mir an meinem letzten Tag in Harare angesehen habe.

Als ich mich auf den Rückweg in die Stadt mache, sind auch die Soldaten mit ihrer Führung fertig. Der Pickup überholt mich, zögerlich hebe ich die Hand zum Gruß. Die Soldaten winken freundlich zurück.