Einen Morgen nimmt Katharina sich Zeit und begleitet mich zur Schule des Camps, die nur wenige Meter entfernt von ihrem Haus liegt. Jedes Camp in Shipyard hat eine Schule. Die Mädchen besuchen sie im Alter von sechs bis zwölf, die Jungs von sechs bis dreizehn. Dabei geht die Schule nur sechs Monate im Jahr, meist von November bis März und im Sommer im Juli und August, da es dann wegen der Regenzeit eh nur wenig auf den Höfen zu tun gibt. Die Kinder werden von früh an in Haus- und Hofarbeit eingespannt. Die Jungen füttern die Tiere und lernen schon früh das Reiten und mit dem Traktor umzugehen. Die Mädchen helfen den Müttern im Haushalt beim Waschen, Putzen und Kochen.
In der Schule lernen die Kinder dann Schreiben, Lesen und Rechnen. Die einzigen Bücher, die dabei benutzt werden sind eine Lesefibel, der Katechismus und die Bibel. Wenn sie die Fibel gelesen haben, starten sie mit dem Katechismus, danach kommt das Alte Testament und zum Schluss das Neue Testament. Die Unterrichtssprache ist Hochdeutsch. Somit lernen alle Kinder Hochdeutsch, doch wirklich gut sprechen weder Erwachsene noch Kinder die Sprache. Für mich war es teilweise sehr schwierig ihr Hochdeutsch zu verstehen. Biologie, Geografie oder Englisch werden nicht unterrichtet. Viele Männer sprechen jedoch Englisch oder auch Spanisch. Sie benötigen es, um Geschäfte außerhalb der Kolonie zu machen. Sie lernen die Sprachen aber nie in der Schule, es ist ein Learning by Doing.
Die Schule in Camp 2 ist ein kleines Holzhaus. Vor dem Unterricht spielen die Kinder – nach Geschlechtern getrennt – Fangen. Mein Besuch erzeugt viel Aufmerksamkeit. Der Lehrer, ein Mann um die Vierzig, erlaubt mir Fotos zu machen. Als die Kinder meine Kamera entdecken posieren sie für mich.
Die Schule besteht aus einem einzigen Klassenzimmer mit Reihen mit langen Bänken. Die Kinder kommen durch zwei Türen in den Raum, die Mädchen links, die Jungen rechts. Sie deponieren ihre Hüte in Fächern neben den Türen. Links sitzen die Mädchen, die Jungen rechts. Die jüngsten Schüler sitzen in den vorderen Reihen, die Älteren in den hinteren. Der Lehrer hat ein Pult auf einem kleinen Podest vor drei Tafeln. Derzeit gehen 30 Kinder im Camp 2 zur Schule.
Der Unterricht startet mit dem typischen Gesang der Altkolonier. Er ist schwer zu beschreiben (siehe Video). Dabei werden die Noten lange gehalten und Wörter extrem gezogen. Das Ganze hat keine Melodie oder Rhythmus, kein Instrument unterstützt die Sänger. Das angestimmte Lied war auf Hochdeutsch – ich habe trotzdem kein einziges Wort verstanden. Durch die Aussprache, aber vor allem durch diese Form des Gesangs ist es auch für Muttersprachler unmöglich etwas zu verstehen.
Danach gibt es eine Leseübung. Dabei stehen die Kinder reihum auf und lesen laut eine Textstelle vor. Abhängig von ihrem Alter beziehungsweise Fortschritt lesen sie aus dem Katechismus oder aus der Bibel. Währenddessen geht der Lehrer durch die Reihen oder setzt sich zu den Schülern und verbessert sie. Er hat dabei kein Buch dabei, sondern scheint die Texte auswendig zu kennen. Auch beim Vorlesen verstehe ich wieder wenig – obwohl auch der Katechismus und die Bibel auf Hochdeutsch sind.
Als ich den Lehrer frage, ob ich auch im Unterricht Fotos machen darf, bittet er mich einen Moment zu warten. Er geht an sein Pult, setzt sich und schaut ernst seine Schüler an. Dann darf ich Fotos machen.
Der Unterricht ist allgemein gehalten und der Lehrer geht nicht speziell auf einzelne Schüler ein. Der Unterricht ist für mich sehr ungewohnt und das laute Vorlesen der Texte trotz mangelnder Sprachkenntnisse scheint mir etwas unsinnig, doch die Kinder wissen genau was sie tun. Verstehen tun sie vermutlich aber nicht, was sie dort lesen.