Der Tourismus wäre eine Chance. Doch sie bleibt ungenutzt.

Das Zementwerk mitten in einem der schönsten Nationalparks des Landes, Mochima.

Auf der Isla de la Plata ist der Strand so wie man ihn sich vorstellt: weisser Sand, dazu ein paar Kokospalmen, das knallblaue Meer schwappt in kleinen Wellen vor sich hin. Doch wer den Kopf hebt, schaut auf ein grosses, ziemlich graues, ziemlich hässliches Zementwerk. Mitten in einem der schönsten Nationalparks des Landes, in Mochima.

Venezuela ist nicht nur an Öl ein sehr reiches Land. Es gibt jede Menge andere Bodenschätze, das Klima liesse zweimal im Jahr eine Ernte zu – die Landwirtschaft könnte einer der stärksten Industriezweige sein. Und dank der unglaublich abwechslungsreichen Natur wäre auch der Tourismus ein Standbein, das den grossen Druck auf die Ölindustrie mindern und die Wirtschaft diversifizieren könnte.

Doch eigentlich ist es nur die Isla Margarita, auf der die Tourismusindustrie funktioniert. Dort gibt es die Infrastruktur, dort sind die grossen Reiseveranstalter präsent, dort sitzen grossen Hotels. Doch auch auf dieser Insel vor der venezolanischen Küste hat die Kriminalität zugenommen.

Und das ist das grösste Hemmnis für die Touristen im ganzen Land: Viele wissen um die schwierige Sicherheitslage und überlegen es sich schon vor ihrem Urlaub anders. Andere sind hier und fühlen sich nicht wohl, komme deswegen nicht mehr wieder oder brechen ihren Aufenthalt ab. In allen Landesteilen sind die Betreiber von Hostels und Posadas betroffen, alle sprechen von stetig abnehmenden Besucherzahlen in den letzten Jahren.

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In den Barrios

Die Vorbilder der Revolution als Graffiti an den Fenstern des Jugendministeriums.

Im Ministerium für Jugend arbeitet der 28-Jährige Fernando. Er ist überzeugter Chavez-Anhänger und arbeitet hier, um auch die Jugendlichen von der Revolution zu überzeugen. Denn er ist sich sicher, dass das der beste Weg für Venezuela und die Menschen ist. Er selbst lebt weiterhin mit seiner Familie in einfachen Verhältnissen in einem der vielen Barrios, den Armenvierteln der Stadt. Er nimmt mich mit, dorthin, wo Chavez seine Missiones gebaut hat, zum Beispiel Krankenstationen für die Versorgung der Menschen, die vorher in ihrem Leben noch nie einen Arzt gesehen hatten, weil sie es sich nicht leisten konnten.

Chavez verschenkt viel Öl an das befreundete Kuba, dafür schicken die Castro-Brüder Ärzte und Lehrer nach Venezuela. Und die arbeiten zum Beispiel in solchen Krankenstationen, die besser ausgestattet sind als manch öffentliche Klinik. Hier gibt es sogar ein Bewegungsbad, einen Gymnastikraum für Physiotherapie und eine Intensivstation, auf der die Patienten allerdings auch nur durch Vorhänge voneinander abgetrennt liegen.

Fernando vor seinem Barrio in Caracas

Den jungen Mann kennt hier jeder, deswegen ist es auch sicher, sich mit ihm in diesem Teil der Stadt zu bewegen. Viele bitten ihn in ihre Wohnungen und kleinen Zimmer, er ist willkommen, weil er sich als Beauftragter der sozialistischen Partei hier um die Sozialarbeit im Viertel kümmert. Er setzt sich in einer Schule an einen Tisch und füllt gemeinsam mit anderen Beauftragten Anträge für die Partei aus, wie die schlimmsten Probleme ihrer Viertel beseitigt und abgemildert werden könnten.

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Enteignet, konfesziert, verstaatlicht

Luis Martinez, spricht für die enteigneten Privatunternehmer

Von Maracaibo aus fährt man über die Brücke, die die beiden Küsten des Sees verbindet und folgt einer Strasse, die nur eine Richtung kennt: geradeaus. Immer weiter ins Landesinnere, rechts und links ist alles grün und wild bewuchert, ab und zu geben die Bäume und Sträucher den Blick auf eine Hütte frei. Das ist die Ostküste des Maracaibo-Sees, Costa Oriental del Lago, auch CoL genannt. Hier wurden 1914 die ersten Ölquellen entdeckt, seit fast 100 Jahren sprudelt es nun aus der Erde.

In Lagunillas, etwa 50 Kilometer vom Ufer des Sees entfernt, hat sich eine ganze Zulieferindustrie über die Jahrzehnte entwickelt, sind viele komplett von der Ölförderung abhängig. Einige Firmen hatten zum Beispiel kleine Boote und grössere Schiffe, mit denen sie auf die Plattformen fuhren, wenn Ersatzteile benötigt wurden, Menschen hin und her transportiert werden mussten oder es einen Notfall gab.

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Wo das Oel das Land regiert

Die Petroleros de Venezuela (PdV S.A.) sind das wichtigste Unternehmen des Landes, denn in ihren Topf fliessen die meisten Oeleinnahmen, aus diesem Topf finanziert die Regierung ihre Sozialprogramme, hier laeuft alles zusammen. Hinter Gitterzaeunen (natuerlich roten) liegen riesige Firmenareale, die immer groesser werden, je mehr Zuliefererfirmen verstaatlicht und in den Koloss einverleibt werden.

Edgar Cardenas ist selbststaendiger Oekonom und Wirtschaftsberater, hat frueher selbst fuer die Zentralbank gearbeitet und steckt sehr tief drin in den Komplikationen, die das Oel fuer dieses Land bedeutet. Eine seine Erklaerungen lautet so: Normalerweise muessen Staaten, damit sie ihre Ausgaben finanzieren koennen, Steuern einnehmen und diese vor dem Parlament rechtfertigen.

Das ist hier aber nicht noetig, da so viel Geld ohne jegliche Anstrengung der Regierung oder der Arbeitsbevoelkerung ins Land fliesst. Bis 1920 war die Volkswirschaft von Landwirtschaft gepraegt. Doch heute kommen mehr als 90 Prozent der Einnahmen des Landes aus der Oelindustrie, die Abhaengigkeit wird nicht geringer. Denn niemand hat ein Interesse daran, die Abhaengigkeit zu reduzieren, so lange das Oel noch fliesst. Was danach passiert, weiss keiner so genau.

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Wohnung ohne Wasser

Das Barbie-Bett mit Abendessen

Was genau die Mittelschicht ist, wird wohl eine Definitionsfrage bleiben. Über die man sich streiten muss. Fakt ist, dass sie Mittelschicht in Venezuela anders lebt als die deutsche. Und ich nun mit ihr lebe.

Sandra, ihr Mann Yorbis, und die kleine Mariel wohnen im Stadtteil La Limpia von Maracaibo. Limpia heißt sauber, was für die Wohnung zutrifft, auf den Stadtteil aber nicht.

Neonröhren beleuchten das Wohnzimmer, in dem man steht, sobald man die Wohnung betritt. Genutzt wird es nicht, denn die drei verbringen ihre Abende auf dem Bett vor den jeweiligen Fernsehern. Mariel muss am kleinen Tisch in der Küche zu Abend essen, Papa Yorbis ist Taxifahrer und bekommt das Abendessen von seiner Frau ans Bett gebracht.

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Tief im Westen

Die Sonne verstaubt hier auch, denn es ist heiß. So heiß, wie sonst nirgendwo im ganzen Land. Und trotzdem ist Maracaibo besser als man glaubt, denn es ist die Hauptstadt des reichsten Staates des Landes, Zulia.

Hier wurde 1914 zum ersten Mal Öl entdeckt und kurze Zeit später stürzte die ganze Welt auf Venezuela ein, um daran mitzuverdienen. Gefördert wird aus dem Lago Maracaibo, einem der größten Seen des Kontinents.

Der Maracaibo-See von oben

Dass ihm das nicht gut getan hat, kann man schon vom Flugzeug aus erkennen. Grüne Dreck- und Ölschlieren ziehen sich durchs Wasser. Umweltverschmutzung ist eines der Probleme, die meist einhergehen mit der massiven Ausbeutung von Bodenschätzen. Weil bisher das meisten Öl des Landes hier gefördert wurde, haben die Menschen in Zulia das Gefühl, sie würden das Geld verdienen, das in der Hauptstadt von der Regierung ausgegeben wird. Das mag auch tatsächlich so sein. Denn der informelle Sektor der Wirtschaft ist hier sehr klein im Vergleich zum Rest des Landes. In Caracas stehen an jeder Ecke Bananen- und Melonenverkäufer, sie weder irgendwo registriert sind, geschweige denn Steuern zahlen. Es gibt Frauen, die mit Telefonen auf dem Schoß nebeneinander an der Straße sitzen und einzelne Zigaretten verkaufen, wenn gerade niemand telefonieren will. In Zulia dagegen werden die großen Geschäfte gemacht. Man trifft sich im Yacht-Club am See, in klimaanlagengekühlten Räumen und spricht über das große Geld und wie man es vor dem Staat in Sicherheit bringen könnte. Man lebt hinter hohen Mauern mit Stacheldraht und erzählt sich, wer in den letzten Tagen wieder an welcher Ecke überfallen wurde. Weiterlesen

Langsam auf der Spur

In Venezuela verursacht das ganze Öl eine ganze Menge Probleme. Hinzu kommen Auswirkungen des politischen Programms: der Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Der hat zum einen viele Menschen aus der absoluten Armut in die relative Armut aufsteigen lassen und vielen Menschen zum ersten Mal einen Arztbesuch und eine höhere Schulbildung ermöglicht. Auf der anderen Seite stehen aber solche sozialistischen Platten, ist die Kriminalität sehr viel schlimmer geworden und das Währungssystem ein einziges Chaos.

Aber langsam komme ich ihr auf die Spur, der holländischen Krankheit. Sie heißt so, weil vor der holländischen Küste in den siebziger Jahren Erdgas gefunden und gefördert wurde, darunter aber alle anderen Industriezweige leiden mussten. Weil auf einmal durch den Verkauf des Erdgases ins Ausland sehr viele Devisen ins Land kamen, aber nicht mehr Güter produziert worden, entstand ein Ungleichgewicht. Holland  hat darauf schnell und gut reagiert, Venezuela hingegen hat mit diesem Problem schon lange zu tun. Eigentlich seit fast 100 Jahren, seit hier das Öl gefunden und gefördert wurde.

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Das schwarze Geld

Venezuela hat unglaublich grosse Oelvorkommen. Das schwarze Gold hat dem Land aber nicht nur Reichtum, sondern auch viel Armut gebracht. So paradox es klingt, dies ist ein Aspekt der hollaendischen Krankheit, auf deren Spuren ich mich die naechsten Wochen durch das Land bewegen werde.

Doch zunaechst soll es hier um den sehr viel praktischeren Fall gehen: Das schwarze Geld. Praesident Hugo Chavez hat den Bolivar Fuerte eingefuehrt, der Staerke markieren sollte, aber allein 2009 eine Inflation von 30 Prozent hingelegt hat. Also versuchen sich viele Venezolaner auslaendische Waehrungen wie Euro und Dollar zu sichern, der Schwarzmarkt blueht.

Denn der offizielle Wechselkurs (man kann auch nur im Land tauschen) ist so schlecht, dass Caracas eine der teuersten Staedte der Welt waere, wuerden sich alle Auslaender an den offiziellen Kurs halten und ihr Geld von der Bank abheben. Ein Mittagessen kostet zwischen zehn und dreissig Euro, je nachdem welchen Kurs man zugrunde legt. Ein Cheeseburger (ja, McDonald`s gibt es noch) zwischen 50  Cent und drei Euro.

Noch ist nicht alles verstaatlicht

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Aló Venezuela

Der Flughafen von Caracas ist naeher am Meer als an der Haupstadt selbst. Also habe ich die ersten Tage am Meer gewohnt und bin wieder unter die Pendler gegangen. Dauerte auch nicht laenger als von Bonn nach Frankfurt, dafuer fuhr aber ein Rumpelbus und kein ICE. Den man an der Strassenecke anhalten muss, wenn man mitfahren will. Buscards 100 gibt es auch nicht, dafuer kostet die einstuendige Reise etwas weniger als einen Euro.

Hinter diesem Berg liegt die Hauptstadt

Die Hauptstadt ist ein Moloch, ein einziger Auspuff mit Hupe. Kein Ort, wo man lange bleiben moechte, doch hier sitzen alle, die wichtig sind, und die ich jetzt nach und nach aufsuchen werde.

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