„Essequibo Is We Own“-Sticker kleben an Autos, in Büros und Schulen – überall in Guyana, dem Land in Südamerika, in welchem ich mit dem Stipendium der Heinz-Kühn-Stiftung sechs Wochen verbringen darf und das bis vor kurzem kaum jemand kannte in Deutschland. Bis Venezuelas Machthaber Maduro den schwelenden Grenzkonflikt mit seinem Nachbarland wieder aufflammen ließ und wahlberechtigte Venezolaner*innen am 3. Dezember 2023 in einem Referendum über die Annexion des Essequibo-Gebiets abstimmen sollten.
„Essequibo Is We Own“
„Essequibo Is We Own“ ist kreolisches Englisch und heißt so viel wie „Essequibo ist unser Gebiet“ oder „Essequibo gehört uns“. Essequibo ist der Name des mehr als 1.000 Kilometer langen Flusses, der einmal durch Guyana führt. Würde es nach Maduro gehen, wäre dieser bald die Grenze zwischen den beiden südamerikanischen Ländern. Für alle Guyaner*innen, mit denen ich gesprochen habe, ist klar: Dies ist für sie nicht vorstellbar. Die Essequibo-Region, also das Gebiet westlich des Flusses gehöre genauso zum Land, wie das Gebiet östlich des Flusses.
Das rohstoffreiche Gebiet ist keine kleine Grenzregion, sondern macht zwei Drittel der Fläche Guyanas aus. Es besteht vor allem aus Regenwald und Savanne – mit riesigen Ölreserven vor der Küste.
Circa die Hälfte meiner Zeit habe ich in Orten verbracht, die zum Essequibo-Gebiet gehören und habe die unterschiedlichsten Stimmen gehört. Viele Menschen waren vor allem vor dem Referendum sehr besorgt. Andere sagen, dass sei ein altes Spiel von Venezuela, schon immer würde es Guyanas Gebiet eingliedern wollen – aber ernst gemacht wurde nie.
Die indigene Bevölkerung in dem Essequibo-Gebiet
In Essequibo leben vor allem Guyanas neun indigene Bevölkerungsgruppen. „We are Guyanese and we cannot give that identity up for nothing“, hat mir Joshua erklärt. Der Anfang-20-Jährige lebt in der indigenen Community Shulinab im Süden der Rupununi-Savanne. Und seine Meinung teilen alle, mit denen ich im Essequibo-Gebiet gesprochen habe. Die indigene Bevölkerung Guyanas lebt hier länger als jeder Grenzstreit, bevor Südamerika kolonialisiert und Grenzen überhaupt gezogen wurden und sieht sich heute entschieden Guyana zugehörig. Die Menschen haben Sorge, dass ihre indigene Kultur bei einer Annexion durch Venezuela verloren gehen könnte. Und dass die venezolanische Regierung die facettenreiche Natur zerstören könnte.
Es ist spannend, genau zu dieser Zeit rund um das Referendum im Land zu sein. Ein Ereignis, das weder ich noch irgendjemand anders bei meiner Bewerbung für das Stipendium vor einem Jahr hätte ahnen können.
Meine eigentlichen Recherchethemen sind: Eco-Tourismus als nachhaltige Einnahmequelle für die indigene Bevölkerung und wie die Ölvorkommen Guyana verändern.
Ölreserven größer als Kuwait
Das Land hat – gemessen an dem Wachstum des Bruttoinlandprodukts durch den Internationalen Währungsfond – die am schnellsten wachsende Wirtschaft der Welt. 2015 hat das US-Unternehmen Exxon Mobil hier Öl gefunden, welches seit 2018 gefördert wird. Und inzwischen ist klar: Die Vorkommen in Guyana sind riesig, das Land hat größere Ölreserven als Kuwait. Und genau das hat auch Venezuelas Interesse an dem Essequibo-Gebiet erneut geweckt.
In meinen sechs Wochen war es mir möglich, meinen eigentlichen Recherchethemen wie geplant nachzugehen. Die letzten zweieinhalb Wochen sind dann überwiegend durch den Grenzkonflikt geprägt gewesen. Auf einmal war das Interesse da in Deutschland: Zu verstehen, was dort gerade in Südamerika passiert und wie es den betroffenen Menschen in der Essequibo-Region geht. Ich sehe es als großes Glück, genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Und nun ungeplanterweise hier unmittelbar von vor Ort berichten zu können: für die tagesthemen, den öffentlich-rechtlichen Hörfunk und den Zeit-Online-Podcast „Was jetzt?“.
Hinweis: Dieser Beitrag wurde am 17.12.2023 verfasst.