So gut bewacht bin ich noch nie zu einem Termin gefahren. Schon Kilometer vor meinem Ziel stehen alle 20 Meter schwer bewaffnete Soldaten am Straßenrand Spalier. Die Wachen wurden allerdings nicht für mich platziert – direkt hinter mir fährt die lange Eskorte des Ministerpräsidenten Indiens, Manmohan Singh.
Wir beiden wollen zu gleichen Veranstaltung: Dem Delhi Sustainable Developement Summit (DSDS) 2012, eine der weltweit wichtigsten Veranstaltungen zu den Themen Klimawandel und nachhaltige Entwicklung. Während ich vor dem noblen Taj Palace Hotel aus meiner klapprigen Rikscha aussteige,donnert der Premierminister an mir vorbei und das Sicherheitspersonal flippt komplett aus. Erst nach ein paar Minuten wage ich mich langsam vor. Wie ich schon befürchtet hatte, stehe ich trotz Anmeldung auf keiner Liste. Überzeugt von der immensen Wichtigkeit meiner Person sind die Wachen erst, als ich ihnen eine leicht zerknüllte E-Mail des Pressesprechers zeige, in denen er kurz uns knapp schreibt „you are registered“. Die erste Hürde ist geschafft. Danach muss ich nur noch durch zirka fünf Metalldetektoren und werde ständig mit weißen Handschuhen abgesucht. Meine Kamera muss ich leider abgeben. Langsam bahne ich mir den Weg in eine neue Welt: Ein kleiner Mikrokosmos, in dem es auf den Toiletten Stoffhandtücher gibt, während man jenseits der Hotelmauern noch nicht einmal Papierklopapier findet.
Organisiert wird der DSDS vom Team rund um Rajendra Pachauri. Pachauri ist der höchst umstrittene Vorsitzende des UN-Klimarates und Chef des berühmten TERI (The Energy and Resources Institute) in Delhi. 2008 bekam er gemeinsam mit Al Gore den Friedensnobelpreis für sein Engagement gegen den Klimawandel. Auch wenn der Mann mit seine alarmistischen Prognosen die Szene spaltet, so hat er doch viele große Namen nach Delhi gelockt: Arnold Schwarzenegger ist da, der zu seiner Zeit als Gouverneur von Kalifornien die erneuerbaren Energien stark ausgebaut hat. Die finnische Ministerpräsidentin Tarja Halonen holt sich einen Preis ab. Und der Präsident der Seychellen, James Alix Michel, versucht seine Kollegen davon zu überzeugen, seinen Inselstaat aufgrund des ansteigenden Meeresspiegels nicht im Ozean versinken zu lassen.
Diese Größen sind natürlich gut abgeschirmt. Ständig werde ich von irgendeinem Security-Gorilla weggestoßen. Aber es gibt auch viele Wissenschaftler, Diplomaten und NGO-Mitarbeiter, mit denen man sich in der Pause ein bisschen unterhalten kann. Genau das habe ich vor. Ein paar Kontakte knüpfen und Ideen für mein Thema sammeln: Den immer schneller wachsenden Energieverbrauch des Landes und dessen Folgen. Denn das Land steckt in einem teuflischen Dilemma: Einerseits braucht Indien dringend Energie, um seine Armut zu bekämpfen. Andererseits ist die günstigste Energie auch die schmutzigste. Die Folge sind Smog und ein steigender CO²-Ausstoß, der Indien vermutlich besonders stark treffen könnte. Indien ist vermutlich das Land, das am heftigsten unter einem Klimawandel zu leiden hätte.
Singh ist natürlich Ehrengast. Die Veranstalter feiern ihn wie einen Popstar. Wenn man mit Pathos die Energieprobleme der Erde lösen könnte, dann würde die Moderatorin des Treffens, ich vermute ein Bollywood-Sternchen, ganz alleine die Welt retten. In ihrer Ankündigung stellt sie ihren Ministerpräsidenten vor als „nicht nur unseren politischer Führer, sondern auch der Führer der Umweltbewegungen dieser Welt.“
Das ist maßlos übertrieben. Und eigentlich verlangt das auch niemand von dem indischen Regierungschef. Vermutlich würde sogar er selbst sich nicht so bezeichnen. Denn Singh hat an mehreren Fronten zu kämpfen, allen voran die Armutsbekämpfung. Der Umweltschutz oder die Verringerung des CO²-Ausstoßes hat in dem Land kaum Priorität. Viel wichtiger ist die Energieversorgung des Landes erst einmal zu sichern. Tobias Engelmeyer, ein deutscher Unternehmensberater für die Energiebranche, sagt mir: „Indien will möglichst schnell, möglichst billige Energie. Und das ist auch verständlich“. Etwa 400 Millionen sind noch überhaupt nicht an das Stromnetz angeschlossen. Dann kommt ein großer Teil, der angeschlossen ist, jedoch nur zu gewissen Tageszeiten auch wirkilch Strom geliefert bekommt. Nur eine Minderheit hat den Luxus, ständig versorgt zu sein.
In seiner Rede spricht Singh nicht nur von „Energy Security“, sondern auch von noch einen viel grundlegenderen Bedürfnis des Menschen: „Food Security“. Singh fordert: „Wir müssen einen Weg finden, der es erlaubt, dass der Klimaschutz die Entwicklungsländer nicht daran hindert, sich zu entwickeln.“ Das zeigt sich auch in den Zielen, die sich Indien gesetzt hat. Das Land möchte die CO²-Intensität seines Wirtschaftswachstums um 20 bis 25 Prozent reduzieren. Es will sich aber nicht auf CO²-Obergrenzen festlegen lassen. Wachstum hat klar Vorrang.
Es ist eine merkwürdige Veranstaltung: Man trifft sich in höchst exklusivem Ambiente, speist gemeinsam an runden Tischen im Garten des Hotels und klopft sich vor allem gegenseitig auf die Schultern. Wenn es so etwas wie eine Klimalobby gibt, dann ist sie hier. Man kennt sich von unzähligen vorherigen Konferenzen und Veranstaltungen. : NGOs buhlen um Aufträge und Kooperationen mit Politkern, Forschungsinstitute suchen nach Partnerschaften mit Entwicklungshelfern und Firmenvertretern. Kontroversen über die besten Ideen gibt es nicht.
Es sind die Pausen, die diese Konferenzen so wichtig machen. Denn die Reden auf der Bühne sind größtenteils inhaltsleer. Immer wieder heißt es: Wir wollen, wir können, wir müssen. Die Voträge, vor allen die der Politiker, sind gespickt mit Allgemeinplätzen: Bildung ist wichtig, Technologie auch, und langsam wird es Zeit zu handeln. Einer macht wenigstens Stimmung: Arnold Schwarzenegger ruft “ We gotta pump it up“ in das müde gewordene Publikum. Und verspricht, dass er die Windenergie genauso populär machen will, wie er einst das Body Building aus dem kleinen Österreich hinaus in die Welt getragen hat.
Eine Vermutung hat sich langsam in Gewissheit verwandelt: Die interessantesten und aufschlussreichsten Gespräche führt man abends an der Bar. Das war dieses Mal keine Ausnahme. Abends treffe ich mich mit einem jungen indischen Wissenschaftler des TERI. Der junge Forscher ist zuständig für die ökonomischen Analysen und Modellierung der indischen Energiewirtschaft. Sein Arbeitgeber, also Pachaurit, wirbt immer und überall für erneuerbare Energien. Pachauri sagt: „Indien steht jetzt vor der Entscheidung, jetzt den Weg der Industrieländer zu gehen, der auf Ressourcenausbeutung und Umweltverschmutzung – oder einen neuen Weg mit erneuerbaren Energien.“ Für Pachauri ist klar, dass nur der zweite Weg der richtige sein kann.
Doch was der junge Wissenschaftler mir sagt, überrascht mich. Denn es entspricht der Meinung seines Chefs ganz und gar nicht. Die erneuerbaren Energien, sagt er, könnten das Energieproblem nicht lösen. „Das ist alles totaler Bullshit“, sagt er. Die einzige Möglichkeit Indien vollständig und günstig mit Strom zu versorgen, wäre über Atomenergie und Kohle. Die erneuerbaren Energien seien viel zu teuer. „In Deutschland geht es vielleicht darum, saubere Energie zu bekommen. Ihr habt das Geld dafür. In Indien geht es darum, überhaupt Strom zu erzeugen.“ Die Prognosen und Vorstellungen, die sein Institut veröffentlichen, wären oft viel zu optimistisch. Es werde herrumgerechnet, bis die Analyse der offiziellen Meinung des Instituts entsprechen würden. Doch so lange die erneuerbaren Energien bis zu dreimal teurer wären, würden sie keine große Rolle für Indien spielen.
Ein paar Tage später treffe ich Chandra Bhushan, er leitet das Centre for Science and Environment in Delhi. Als ich ihm erzähle, das ich den DSDS besucht habe, lacht er nur. Von solchen Treffen hält er nichts: Viel geredet werde da, aber weiter nichts. Vor allem sagt er: „Wenn wir das Klima- und Energieproblem in der Welt lösen wollen, dann brauchen wir vor allem eins: mehr Ehrlichkeit.“