Von Samarinda nach Balikpapan
Fragt man willkürlich einen Besucher des Mulawarman Museums in Tenggarong, was seiner Meinung nach heute das Spektakulärste in den Ausstellungsräumen sei, so wird dieser sicherlich wie aus der Pistole geschossen mit den Worten „Orang Jerman“ antworten: die Deutsche! Von keinem Kopfschmuck, Vase oder Schrumpelfisch wurden hier heute so viele Fotos geschossen, wie von mir. Oft heimlich aus der Hüfte mit der Handykamera, von den mutigeren Vertretern dann aber auch ganz direkt. Das läuft so ab, dass urplötzlich jemand den Arm um meine Hüfte legt, freudenstrahlend „foto silakan“ ruft, und bevor man weiß zu welcher Kamera man sich drehen soll, geht auch schon ein wildes Geknipse los. Wichtig ist offensichtlich dabei auch, die Hand meiner Fotopartner zu halten – alle sind verzückt und bedanken sich überschwänglich und ich frage mich, in wie viele indonesische Haushalte die Orang Jerman wohl demnächst gerahmt an der Wand Einzug halten wird. Mein Fremdenführer Fidi hat seine Freude an dem Spektakel und ist sichtlich stolz, mich vor den Blicken der Menge wieder in sein Auto verfrachten zu können. „Nun zeige ich dir mein Samarinda!“
Anderthalb Stunden später kommen wir in der 26 Kilometer entfernten Hauptstadt der Provinz Kalimantan Timurs an. Das Schönste an Samarinda ist ihr wohlklingender Name – optisch macht die Kohlemetropole an der Ostküste Borneos leider nicht viel her. Ein schmuddeliger und trister Ort mit heillos verstopften Straßen, unzähligen streunenden Hunden und armselig zusammengeschusterten Bretterbuden. Fidi steuert auf eine Mall zu. Ich bin überrascht. Irgendwie hatte ich ein kulturell wertvolleres Ausflugsziel vor Augen. Aus Ermangelung eben dieses geht es aber nun mit meinem fröhlichen Wirtschaftsprofessor in das wohlklimatisierte Shoppingcenter, wo wir – ganz nach indonesischem Brauch – flanieren. Nach einem Eis und einer Cola habe ich somit also das Highlight Samarindas kennen gelernt – und Fidi und ich treten die Rückfahrt nach Balikpapan an. Mittlerweile senkt sich die Dämmerung über die wuselige Kohlestadt und wir schlängeln uns durch das Gewirr der Straßen.
Ganze Familien sind auf nur einem Mofa unterwegs, vier Personen sind Standard, fünf keine Seltenheit. Dabei werden die schlafenden Babies einfach über die Schulter der Mutter gelegt, die größeren Kinder stehen im Fußraum zwischen Lenker und Vater. Mit meiner Familie ginge das nicht, denke ich neidisch. Besonders interessant ist aber die Vielfalt an Signalen, mit denen die Verkehrsteilnehmer kommunizieren. Die genauere Bedeutung entzieht sich größtenteils meiner Erkenntnis. Es wird geblinkt, gewinkt, mit Fernlicht geblitzt und natürlich gehupt, wobei die Kombinationen der einzelnen Signale wieder völlig neue Bedeutungen zu haben scheinen. So wird nach rechts geblinkt und gleichwohl nach links mit dem Arm gewedelt. Abgebogen wird dann meist garnicht. Hupen in Kombination mit Fernlicht zeigt an, dass man zum Überholen ansetzt, Langzeitblinken nach rechts heißt, es kommt Gegenverkehr. Und die Bananenblätter auf dem Weg, die als Warndreiecke dienen, haben natürlich keine Reflektoren. Das ist schlecht.
Wir nähern uns dem Suharto Hill National Park, den wir durchqueren müssen. Fidi wirkt nervös. Das erste Mal seit 12 Stunden umspielt kein Lächeln seine Lippen. „Entschuldigung, darf ich rauchen?“, fragt er mich? Natürlich darf er! Hektisch zündet er sich eine Zigarette an – und wirkt entspannter. „Zigaretten helfen, weißt du?! Hier spukt es nämlich. Ein Frauengeist, der die Autofahrer im Dunkeln vom Weg abbringen will. Ständig passieren hier Unfälle, das ist kein Zufall! Aber weil Geister aus Feuer sind, kann man sie mit der Glut der Zigarette in Schach halten“, erklärt mir mein Wirtschaftsprofessor. Dann erzählt er mir noch die Geschichte von seinem Chef – dem Direktor der Universität Samarinda. Der ist eben diese enge Straße gefahren und hat unterwegs Rast gemacht, um einen Tee zu trinken. Als er wieder einsteigen wollte, saß der Frauengeist neben ihm auf dem Beifahrersitz, und wollte nicht aussteigen. Sogar der Teeverkäufer hat sie gesehen, beschwört Fidi. Traumatisiert ist der Direktor erst viele Stunden später weiter gefahren, und promt zum Kettenraucher geworden. Es stimmt tatsächlich: alle Autofahrer, die uns entgegen kommen, Mopedpiloten, die uns überholen, haben einen Glimmstängel in der Hand. Nebelschwaden ziehen durch die Bäume, Vogelrufe hallen über die Baumkronen und der dichte Wald wirkt undurchdringlich und voller Mysterien. Ich glaube nicht an Geister, doch erwische ich mich dabei, wie ich einen Seitenblick auf Fidis Zigarettenschachtel werfe. Die vierte steckt er sich gerade an, fünf sind noch in der Packung. Ich bin heilfroh, als wir 20 Minuten später die ersten Häuser von Balikpapan erreichen. Ich habe fast 13 Stunden mit Fidi verbracht, davon sicherlich zehn in seinem Auto. Eigentlich wollte er mich seinem Bekannten vom WWF vorstellen, mit dem ich über die jungen Palmölplantagen in Kalimantan Timur sprechen wollte, doch der Termin ist wie schon so viele zuvor nicht zu Stande gekommen. Ich habe stattdessen eine Shoppingmall in Samarinda und ein muffiges Museum in Tenggarong besucht. Was unterm Strich übrig bleibt: eine unvergessliche Fahrt über die Schotterpisten von Ostkalimantan mit meinem Wirtschaftsprofessor Fidi, der mir Land und Leute auf seine unvergleichlich fröhliche Art näher gebracht hat. Ich habe mich keine Sekunde gelangweilt – es mag abgedroschen klingen, doch ist es so: manchmal ist eben tatsächlich der Weg das Ziel!