Als er in seine Unterkunft kam, sah der 19-jährige Thorsten aus dem friesischen Leer, was er erwartet hatte. Ein dunkler dreckiger Raum, auf dem Tisch die verschimmelten Reste der letzten Mahlzeit seines Vormieters, der Kühlschrank marode, die Moskitonetze vor den Fenstern kaputt und Ungeziefer auf Wänden und Böden. Der junge Mann ist von einer kirchlichen Organisation ins ghanaische Ho geschickt worden, um bei einer lokalen NGO zu arbeiten. Thorsten war der erste von vielen Freiwilligen, die ich während der ersten Recherchen rund um mein Thema „Volunteering in der Entwicklungshilfe“ gesprochen habe. Seit drei Tagen bin ich jetzt aus der Volta-Region zwischen dem Volta-See und der togolesischen Grenze zurück und lasse Revue passieren, was ich dort erlebt habe.
Noch vor meiner Abreise aus Deutschland hatte ich mich, nach einem Tipp eines meiner Ansprechpartner bei der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), mit Günther Rusch getroffen. Der 71-Jährige ist kurz nach der Unabhängigkeit Ghanas zum ersten Mal in dem westafrikanischen Land gewesen und hat seither das Land und den afrikanischen Kontinent rund 40 Mal besucht. Dazwischen arbeitete er bei verschiedenen Organisationen und an Universitäten oder hielt Vorträge über Entwicklungspolitik. Was er mir erzählte, hatte mich auf Manches vorbereitet: lokale NGO’s, die als Geschäfte betrieben werden und nichts für ihre Freiwilligen zu tun haben, kaum bewohnbare Unterkünfte um Kosten zu sparen, schlechte Betreuung und auch die Frage nach der Nachhaltigkeit eines Einsatzes von Freiwilligen in der Entwicklungshilfe.
Er unterscheidet zwischen Aufbau-Projekten und Routine-Projekten. „Bei Aufbau-Projekten wird unter der Regie des jeweiligen Landes nach deren Bedürfnissen etwas gebaut. Daran kann man sich als Freiwilliger mit seiner Arbeitskraft beteiligen – Umweltschutz-Projekte etwa. Bei Routine-Projekten wie Unterricht in Kindergärten und Schulen könnten genauso gut Einheimische arbeiten“, erklärte mir Günter. „Aber die kosten Geld und ein Freiwilliger bringt Geld mit.“ Er hat Vorbereitungskurse für kirchliche und private Entsendeorganisationen gegeben, genauso wie für Botschafter und Fußballtrainer. Und er sagt: „Unter den Freiwilligen sind manche tolle Typen, die wirklich etwas bewegen wollen.“ Oft befänden sich darunter aber auch Abenteurer, Naive oder einfach Unvorbereitete und Ungeeignete. In Ostafrika etwa sei gerade eine Gruppe wegen Drogenbesitzes zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden, obwohl bekannt sein müsste, dass die Drogenpolitik ähnlich rigide ist wie in Süd-Ostasien.
Seit Herbst vergangenen Jahres ist Thorsten in der Verwaltungshauptstadt Ho in der Volta-Region im Osten Ghanas und mittlerweile ist er recht zufrieden mit seiner Situation hier. Nach und nach hat er mit Hilfe von Mrs. Ohene – der die Unterkunft wohl mehr als peinlich für einen Gast erschien – seine Unterkunft in Schuss gebracht und weil seine NGO „Associates for Sustainable Rural Development“ nichts zu tun für ihn hat, hilft er im Regional-Museum bei der Neugestaltung der Ausstellung. Er fühlt sich wohl in Ho, geht gerne über den Markt, isst Red-red (einen Bohneneintopf mit Palmnüssen und Kochbananen) und die Leute in der Stadt kennen ihn, den „Jawuh“, den Weißen auf seinem Motorrad. Auch wenn alles anders ist als er sich erhofft hatte, er ein Stück weit desillusioniert ist, das Jahr missen möchte er nicht. „Ich habe viel erlebt und über mich erfahren. Ich gucke mit einem anderen Blick nach Deutschland und an meiner Einstellung zur Entwicklungshilfe hat sich auch nichts geändert.“
Auch Bobby musste einsehen, „dass wir mehr nehmen als geben“. Was er und seine Altersgenossen sich eigentlich gedacht hätten, was sie schon ausrichten können – das sei die Frage, die er sich jetzt stellt. Bobby ist mit einem anderen kirchlichen Träger nach Ho gekommen und zumindest was die Betreuung und Unterbringung angeht, haben er und seine Hausgenossen es besser getroffen. Seine NGO betreibt eine kleinen Bücherbus und ein Straßenkinderprojekt und ist an Schulen aktiv. Nichts, was Einheimische nicht auch tun könnten. Der 20-jährige Berliner sagt, dass sein Engagement nur für ihn eine Gute Sache und es immerhin besser als Work-and-Travel in Australien sei. „Das hier ist Entwicklungshilfe für Deutschland.“
So wie sie habe ich mehrere junge Erwachsene im Freiwilligendienst kennen gelernt. Manche sind besser untergebracht, manche schlechter, bei manchen wissen die Leute, die sie geholt haben, dass Freiwillige keine Lehrer in Schulprojekten ersetzen können. „Die Deutschen sollen auch nicht unterrichten, ich möchte, dass meine Schüler Europäer kennen lernen. Sie sollen einen weiteren Horizont in die Schule bringen“, sagt etwa Vater Isaac Benayunah. Er hat in Fodome und Wusuta – nördlich Ho in der Nähe von Hohe – Schulen gegründet. Dort unterrichten etwa 20 Lehrer 300 Kinder. Bei ihm sind die deutschen Freiwilligen Johannes Krug und Dominik Becker privat untergebracht: entweder bei ihm selbst oder bei seinen Eltern! Er bringt sie zusammen, fährt sie nach Hohe oder veranstaltet Unternehmungen für die jungen Deutschen. Und diese lassen auch mehr zurück als einen besonderen kulturellen Eindruck: Seit 2009 haben sie Strom- und Wasserleitungen gelegt oder bauen wie im Moment Johannes ein Basketballfeld.
Was Thorsten und die Anderen erlebt haben, ist kein Einzelfall. Galten in den achtziger Jahren lokale NGOs als probates Mittel, Entwicklungshilfe an den vermeintlich korrupten staatlichen Stellen vorbei zu bringen, sind sie heute Gegenstand eines gängigen Witzes in Ghana: Treffen sich zwei Bonzen in dicken Autos. Fragt der eine den anderen: „Und, womit bist du zu deinem Geld gekommen?“ – „Ich habe eine NGO gegründet.“
Barrie Saxby etwa kommt seit sechs Jahren nach Keta. Er zahlt pro Monat rund 800 Euro an „The Young Shall Grow International“, um Krankenhäuser zu streichen, eine Schule mit einem Dach einzudecken und jetzt eine neue Unterkunft für weitere Volunteers zu bauen. Rund 200 werden im kommenden Jahr erwartet. Warum er mit 68 Jahren immer noch nach Ghana kommt? „Ich komme, weil ich das Geld und die Zeit habe.“
In den vergangenen zwei Wochen habe ich einige meiner Vermutungen über Freiwilligendienste in der Entwicklungshilfe bestätigt gefunden. Auch die Kritik von Günther Ratsch scheint oftmals zuzutreffen. Aber das ist Kritik an Organisation und mangelnder Kontrolle durch die deutschen Entsendeorganisationen. Was aber bleibt wirklich von den Einsätzen der jungen Europäer? Ist das, was sie an Erfahrung mitnehmen Erfolg genug? Ist das Bild, das sie von Europäern in ghanaischen Dörfern und Kleinstädten zurücklassen, Erfolg genug? Muss eigentlich jeder Einsatz auch hier vor Ort Messbares hervorbringen? Fragen für die kommenden Wochen.