Ich bin jetzt Fußballmanager.
George hat das entschieden, als er mich am Strand von Monrovia spazieren gehen sieht. Der 16-Jährige, der ein bisschen kleiner ist als ich, kommt auf mich zu, streckt mir höflich aber entschieden die Hand entgegen und fragt, ob ich mich für Fußball interessiere.
Klar, sage ich. Er sei ein guter Spieler, erklärt George. „Ich bin hart in der Defensive, aber ich spiele auch stark nach vorn. Willst Du mein Manager sein? Du könntest mir in Deutschland einen Vertrag besorgen, bei Bayern München oder bei Borussia Dortmund.“
„Weißt du, George“, sage ich. „Das Problem ist, dass da keiner auf mich hören würde. Die wissen, dass ich gar kein Fußballmanager bin.“
George lässt sich davon nicht entmutigen. „Dann bring mich ins Land – und ich kümmere mich um den Rest. Ich kann ja auch erst mal zweite Liga spielen oder so. Ihr hab doch eine zweite Liga, oder?“
„Haben wir. Aber ich kann nicht einfach so jemanden ins Land bringen“, antworte ich.
„Wieso?“, fragt George. „Du bist doch von da, da wirst Du mich doch wohl noch mitbringen können.“
Ich habe mich an Gespräche dieser Art gewöhnt. Wo ich hinkomme, bin ich der Weiße. Und damit bin ich das potenzielle Ticket in eine bessere Welt. Wie heißt Du? Kann ich da arbeiten, wo Du gerade wohnst? Wann fliegst du nach Hause? Nimmst Du mich mit? Kann ich dann bei Dir wohnen? Es sind die Standard-Fragen. Und: Wer könnte sie den Menschen übelnehmen? Sie suchen ihren Ausweg in Wohlstand und Glück – und wenn der zufällig auf Turnschuhen und mit einer Brille am Strand entlanggeht, warum dann zögern?
Ich hab mich als Jugendlicher eine Zeit lang in einer Asylbewerber-Beratungsstelle engagiert. Ich weiß, dass es keine Lösung ist, hier jemanden in den Koffer zu packen. Ich versuche, das Einzelschicksal nicht wirklich an mich heranzulassen – und doch berührt einen jedes Gespräch auf eine andere Art und Weise.
So wie das mit Thomas. Er ist Kellner auf der Dachterrasse des Hotels, auf der ich am frühen Abend ein Bier trinken möchte. Da es noch nicht so voll ist, kommen wir ins Gespräch. Der 24-Jährige mit der schmalen Krawatte erzählt von den Kriegsjahren in seiner Kindheit, dann fragt er nach Deutschland. Ich berichte, dass es dort jetzt viel kälter ist, ich es aber vermisse, mit meinen Freunden in einer wohltemperierten Halle Kicken zu gehen. Wir reden und reden. Es fühlt sich vertraut an, obwohl wir es gerade erst kennen gelernt haben.
Dann rückt er mit der Sprache raus: Er würde gern in Deutschland studieren, sagt Thomas. Ob ich ihm ein Stipendium empfehlen könne? Ich google ein bisschen auf meinem Smartphone, nenne ihm ein, zwei Adressen, sage aber auch: „Du solltest vielleicht eher nach amerikanischen Universitäten schauen. In den Vereinigten Staaten haben sie zwar hohe Studiengebühren, aber auch mehr Stipendien, die wirklich alle Kosten decken. Und: Du spricht Englisch, aber kein Deutsch.“
Doch Thomas will jetzt nach Deutschland, mit mir. „Ich lerne Deutsch einfach. Mir hat gefallen, was du über das Land erzählt hast“, sagt er. „Nimm mich mit – dann schaue ich weiter. Ich kann hart arbeiten. Ich bekomme das hin.“
Verdammt, das wird nicht leicht, denke ich. Ich zucke mit den Schultern, ratlos, wie dieses Gespräch weitergehen soll. „Der einzige Weg, wie ich Dich mitnehmen könnte, wäre, wenn wir heiraten würden“, sage ich. „Und Du weißt, das geht nicht.“
„Wenn wir heiraten würden, ginge es?“ fragt er.
„Thomas, wir sind zwei Männer, wir können in Liberia nicht heiraten.“
„Soll ich Dir meine Schwester vorstellen?“ fragt er.
„Nein, ich werde hier niemanden heiraten“, sage ich. „Glaub mir, das mache ich nicht.“
„Gibst Du mir dann wenigstens Deine Telefonnummer.“
Das Teufelchen auf meiner einen Schulter sagt: „Gib sie ihm nicht, er wird dich nur nachts anrufen und nerven.“ Das Engelchen auf der anderen Schulter sagt: „Gib sie ihm nicht, Du machst ihm nur falsche Hoffnungen.“
Ich zücke einen Kugelschreiber und notiere meine liberianische Nummer auf dem Blatt Papier, das er mir hinhält. „Thomas“, sage ich, „ich gebe Dir gern meine Nummer. Aber ich will ehrlich sein: Ich werde Dich nicht aus Liberia rausbringen. Das musst Du wissen.“
Er richtet den Blick auf den Boden. Dann schaut er wieder auf und sagt. „Wenn ich Dich anrufe, dann nur als Freund. Nicht weil ich Geld von Dir will oder so.“
„Du bist ein netter Kerl“, sage ich.
Ich lasse mir die Rechnung bringen, zahle und gehe.
Wir wissen beide, dass wir nie wirklich Freunde sein werden.