„Ich kann mir keine Krankenversicherung leisten.“ Margret spricht diesen einfachen, schnörkellosen, entsetzlichen Satz ruhig, nüchtern und ohne Selbstmitleid in der Stimme aus. Ich verspüre sofort Bewunderung, Mitleid und irgendwie auch den unwillkürlichen Wunsch, mit dieser Frau befreundet zu sein. Sie kommt mir in diesem Augenblick vor wie jemand, der gerade geschlagen worden ist, aber dennoch souverän und – unfassbar! – entspannt die andere Wange hinhält.
Dies ist die Geschichte einer Frau, die mit den Menschen, denen sie jeden Tag hilft, viel gemeinsam hat. Margret Gieraths-Nimene, 62 Jahre alt, ursprünglich aus dem rheinischen Meckenheim, betreibt ein Krankenhaus für die Armen in Paynesville, einem Vorort der liberianischen Hauptstadt Monrovia. Für die eigene Absicherung ist da kein Geld übrig. „Die kleinen Sachen schaffen wir hier schon. Aber eine richtig schlimme Krankheit sollte ich besser nicht bekommen“, sagt die 62-Jährige.
Die kleinen Dinge, die hier möglich sind, reichen von der Behandlung schwerer Infekte bis hin zur Blinddarmoperation. Margret hat die Klinik gemeinsam mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann Domo Nimene aufgebaut, einem liberianischen Arzt, den sie in Deutschland im Studium kennen gelernt hat. Vor genau 30 Jahren nahm er die Rheinländerin mit ins westafrikanische Liberia. „Er hatte mir ein traumhaftes Haus am Strand versprochen“, erinnert sie sich. „Als ich ankam waren da aber nur eine schlimme Bruchbude und ein Garten voller Müll.“ Zwei Tage lang habe sie im Hotel geweint. Dann habe sie sich entschlossen anzupacken.
Beide blieben also. Er begann neben seinem eigentlichen Job in einem Krankenhaus Mittellose umsonst zu behandeln, sie – die ihr Medizinstudium in Deutschland noch nicht abgeschlossen hatte – lernte, ihm zu assistieren. Als das Paar dann die „Gerlib Clinic“ aufmachte, die deutsch-liberianische Klinik, war er der behandelnde Arzt und sie sowohl die Organisationschefin als auch das Mädchen für alles. „Eigentlich wollte ich ja in Liberia erst einmal zu Ende studieren, aber die Arbeit, die Krankheiten und die Menschen waren einfach schon da“, sagt Margret.
Dann kam der Bürgerkrieg, 14 Jahre lang, 250.000 Tote und eine Million Vertriebene. Es ist ein faszinierender Teil der Geschichte des Ehepaares, dass es ihnen gelungen ist, den Betrieb der Klinik auch im Krieg zeitweise aufrecht zu erhalten. Und darüber hinaus viele Menschen in Liberia durch die Organisation von Hilfslieferungen aus Deutschland vor dem Tod zu bewahren.
Am 5. August 1990 geschah es dann. 21 Rebellen, unter ihnen drei Kindersoldaten, kamen mit ihren Kalaschnikows ins Haus der Familie und wollten Domo Nimene töten. Sie bestanden darauf, er sei ein Mann vom Stamm der Kran, dem auch Präsident Samuel Doe angehörte. Nimene war aber ein Kru. Ein Kindersoldat schlug und quälte ihn, er erlitt drei epileptische Anfälle, von denen er sich bis zu seinem Tod einige Jahre später nie erholte. Nur weil die Nachbarn flehten, sie hätten ohne den Arzt keine medizinische Hilfe mehr, zogen die Kämpfer irgendwann doch wieder davon.
„Die Kindersoldaten standen vom Kopf bis zu den Zehenspitzen unter Drogen“, sagt Margret. „Ich hatte überlegt, ob ich den ungezogenen Jungs einfach ein paar Ohrfeigen verpassen soll – aber das ging natürlich auch nicht. Also stand ich stumm an meinem Pfahl.“ Sie ergänzt: „Dann hat Gott im Himmel sich entschlossen, mal wieder ein paar Engel zu schicken, damit ich heil durchkomme.“
Es ist vermutlich diese Mischung aus Leichtigkeit, Trotz und Gottvertrauen, die dieser Frau die Kraft gegeben hat, die zerstörte Klinik nach dem Krieg ohne ihren verstorbenen Mann wieder zu errichten. Dort praktiziert nun ein Arzt aus Ghana, aber bis heute gilt das Prinzip: Die Patienten, die sich eine Behandlung leisten können, finanzieren die Behandlung jener, die kein Geld haben, quer. Der Rest kommt durch Spenden rein. Obwohl diese Rechnung stets nur knapp aufgeht, hat Margret noch einen Kinder- und Jugendclub in der Nähe aufgemacht. Hier lernen einige, deren Eltern kein Schuldgeld zahlen können, lesen und schreiben.
Die 62-Jährige leidet unter einem Malaria-Schub, als sie mich durch die Räume des Clubs führt. Sie hat Kopfschmerzen, hämmernde Kopfschmerzen. Trotzdem hört sie geduldig zu und fragt immer wieder nach, als ihr die Mitarbeiterinnen dort von den Fortschritten, aber auch Problemen einzelner Kinder und Jugendlicher berichten. Margret ist der Beweis dafür, wie viel ein einzelner Mensch mit Disziplin, Härte gegen sich selbst, aber auch mit Fröhlichkeit verändern kann.
Man könnte sich neben dieser Frau klein fühlen – aber das würde sie nicht wollen. Ihr Beispiel kann einen aber ermuntern, zumindest ab und an in sich hineinzuschauen, was in einem steckt. Was man vielleicht bewegen kann, egal ob im Kleinen oder Großen. Margret Gieraths-Nimene sagt, sie wolle weitermachen, „solange ich noch irgendwie selbstständig stehen kann“. Am Freitag, 6. Dezember, hat ihr der deutsche Botschafter in Liberia das Bundesverdienstkreuz verliehen.