Nach einer langen Reise mit mehreren Umstiegen habe ich es geschafft: Ich bin in Bolivien, endlich wieder. Noch ist mein Thema weit weg, obwohl ich schon im richtigen Land angekommen bin. Mein Thema ist der Lithium-Abbau rund um den Salar de Uyuni, den groessten Salzsee der Erde.
Aber mein Ankunftsort Santa Cruz de la Sierra ist einfach sehr weit entfernt vom Salar, nicht nur geographisch. Der Lithium-Abbau ist hier kein Thema, wenn überhaupt geht es hier um Gas oder eine Mine, die gebaut werden soll. Eine gute Gelegenheit also, mein Thema erstmal aus der Distanz zu betrachten – und mich dann auf meiner Reise immer weiter anzunähern.
Während ich hier in der tropischen Hitze zerfließe und den feinen Duft von verbranntem Rasen einatme (eine sehr beliebte Rasenmäh-Technik hier), schreibe ich so kurz wie möglich ein paar erste Hintergrundinformationen zu der Thematik, die mich in den nächsten Wochen beschäftigen wird.
Worum geht’s überhaupt?
Im größten Salzsee der Erde, dem Salar de Uyuni, werden enorme Lithium-Vorkommen vermutet. Lithium steckt zum Beispiel in den Akkus unserer Handys und in Elektroautos. Zurzeit wird Lithium vor allem in der chilenischen Atacama-Wüste abgebaut. Dass das Lithium abgebaut wird, ist aber nur eine sehr verkürzte Darstellung: Bis zur fertigen Lithium-Batterie sind viele verschiedene Arbeitsschritte zu erledigen, was nur mit großer Fachkenntnis zu machen ist. Und genau das ist das Problem, das Bolivien mit seinem Lithium-Projekt seit Jahren hat.
Was bisher geschah
Der geplante Lithium-Abbau in Bolivien hat schon eine längere Vorgeschichte: Ende der 1980er Jahre und noch mal Anfang der 1990er wäre es bezüglich des Lithiums fast zu einem Vertrag zwischen der damaligen bolivianischen Regierung und einer ausländischen Firma (Lithco) gekommen. Als das bolivianische Parlament aber mehr finanzielle Beteiligung am Lithium-Abbau forderte, zog sich Lithco zurück – und sorgte so dafür, dass die Pläne ein paar Jahre lang in der Schublade verschwanden.
Herausgekramt wurden sie dann wieder von der sozialistischen Regierung des bolivianischen Präsidenten Evo Morales. Seit dem 01.April 2008 hat der Lithium-Abbau für Bolivien offiziell höchste Priorität. Zunächst wurde eine Pilotanlage direkt im Salar gebaut, ein großer Pool, in dem Lithiumlauge getrocknet werden soll. Die Regierung bestimmte, dass sämtliche Arbeitsschritte in Bolivien stattfinden sollten und dass das Projekt und natürlich die Gewinne komplett in bolivianischer Hand bleiben sollten. Begründet wurde das mit den extrem negativen Erfahrungen aus der Kolonialzeit, als die Spanier sich über den mit Silber gefüllten Berg Cerro Rico hermachten und die Bolivianer vom Reichtum ihres Landes rein gar nichts hatten.
Inzwischen aber sind durchaus ausländische Firmen am Projekt beteiligt, da Bolivien nicht über genügend Fachkräfte verfügt. So wurde zum Beispiel gemeinsam mit einer chinesischen Firma eine Pilotfabrik hochgezogen. In dieser Fabrik werden seit einigen Monaten Batterien gefertigt – allerdings fast ausschließlich mit Materialien, die nicht aus Bolivien stammen.
Wie steht’s um das Lithium-Projekt?
Die Pilotphase sollte eigentlich bis Ende 2011 abgeschlossen sein. Davon sind die Bolivianer aber immer noch weit entfernt. Von einer produktionsfähigen Lithium-Industrie kann zurzeit keine Rede sein, das Projekt ist deutlich ins Stocken geraten. Das liegt auch daran, dass die Bedingungen im Vergleich zur chilenischen Konkurrenz schlechter sind, weil es im Salar zum Beispiel eine Regenzeit gibt, in der die Trocknungs-Pools logischerweise nicht funktionieren.
Weil nicht zu erwarten ist, dass der Lithium-Preis auf dem Weltmarkt steigen wird (ganz im Gegenteil), könnte es sein, dass Bolivien seine irgendwann mal fertigen Batterien gar nicht erst loswerden würde. Das klingt alles extrem negativ. Der bolivianische Staat beharrt aber darauf, das Projekt weiter fortzusetzen – sicherlich auch, weil er nach unabhängigen Schätzungen bereits mehrere hundert Millionen US-Dollar investiert hat. Und es klingt ja tatsächlich absurd, dass ein Land mit den möglicherweise größten Lithium-Vorkommen der Welt keine Chance hat, seine Rohstoffe beziehungsweise die Produkte daraus komplett selbstständig gewinnbringend loszuwerden.
Noch ein paar Probleme mehr
Abgesehen von der Frage der Wirtschaftlichkeit gibt es noch weitere Schwierigkeiten beim bolivianischen Lithium-Projekt. So sind zum Beispiel die Menschen, die rund um den Salzsee leben, nicht wirklich Teil der Pläne. Dabei wären sie von einer funktionierenden Lithium-Industrie direkt betroffen. Inzwischen wird in Bolivien öffentlich darüber diskutiert, welche Folgen der großflächige Lithium-Abbau für die Umwelt haben könnte. Die Abbau-Anlagen könnten möglicherweise so viel Grundwasser benötigen, dass an anderer Stelle der zurzeit sehr gut laufende Abbau des Anden-Getreides Quinua eingestellt werden müsste.
Der Salar de Uyuni ist außerdem ein sehr beliebtes Touristenziel, wegen seines irren Panoramas. Ist nur die Frage, ob die Touristen auch dann kommen, falls statt der salzigen Weite überall Industrieanlagen zu sehen sind.
Warum trotzdem noch reisen und berichten?
Wer meinen Text bis jetzt gelesen oder wenigstens überflogen hat, könnte sich nun fragen, warum ich mich trotzdem noch mit dem Thema beschäftigen will, auch wenn die Sache mit dem bolivianischen Lithium möglicherweise längst gescheitert sein könnte. Ich tue das, weil in Deutschland vor ein paar Jahren einige Berichte über die riesigen Lithium-Vorkommen zu lesen und sehen waren. Was nach dem Start des Projekts und nach vielen investierten Millionen Dollar daraus geworden ist, wird allerdings selten erzählt. Außerdem investiert der bolivianische Staat ja weiter Geld in das Projekt – und auch von nicht-staatlicher Seite gibt es Pläne rund um das Lithium, die bald aktuell werden könnten.
Sowieso ist es ein Thema mit globaler Bedeutung, mit vielen Fragen, die sich mir persönlich stellen: Warum bekommen es viele Länder auch nach Jahren der Unabhängigkeit noch immer nicht hin, auf dem Weltmarkt Fuß zu fassen? Warum können sie nach wie vor maximal ihre Rohstoffe verkaufen, aber so gut wie nie das fertige Produkt? Und warum interessiert das von den alten Industrienationen ganz offensichtlich niemanden?