Seit ich La Paz verlassen habe, sind erst zwei Tage vergangen. Aber es fühlt sich viel länger an. Weil einiges passiert ist. Hier schon mal eine Kurzfassung: Zug entgleist, Auto im Schlamm stecken geblieben, riesige Lithium-Pools besichtigt, mitten im Nichts nicht abgeholt worden, mit einem wütenden Taxifahrer über Sozialismus diskutiert, bolivianische Batterien gesehen, das höchste Bier der Welt getrunken.
So, und jetzt die Langfassung. Fangen wir doch einfach mal vorne an, bei meiner ganztägigen Fahrt von La Paz nach Uyuni. Nach einer kurzen Busfahrt von La Paz nach Oruro bin ich zum ersten Mal in Bolivien Zug gefahren.
Das ist ein sehr seltenes Vergnügen, weil es hier nur noch sehr wenige aktive Bahnstrecken gibt. Zuerst war alles gut, viel bequemer als im Bus, mit Speisewagen und fantastischer Landschaft rundherum.
Gefiedel und Entgleisungen
Bis André kam. André Rieu. In den bolivianischen Zügen gibt es nämlich Fernseher – und da läuft dann eben auch mal ein dreistündiges Konzert vom holländischen Geiger, mit Doppelkinn, hochgezogenen Augenbrauen und den größten Klassik-Hits. Gruselig.
Das Zug-Konzert wurde allerdings durch einen lauten Knall jäh unterbrochen. Unsere Lok, so wurde uns etwas später erzählt, war aus dem Gleis gesprungen, ohne dass sonst etwas passiert ist. Nur mussten die bolivianischen Bahn-Mitarbeiter die Lok natürlich wieder zurück aufs Gleis heben. Hat zwei Stunden gedauert, aber wenigstens hatte André Rieu bis dahin auch ausgegeigt.
Bolivanische Schlammpackung
Am Morgen danach gab es gleich den nächsten Beweis dafür, dass die bolivianischen Fortbewegungsmittel alle irgendein Problem haben. Oder besser gesagt die Untergründe, auf denen sie unterwegs sind. Ich war zusammen mit meiner Fahrerin und ihrem Jeep unterwegs in Richtung Llipi Llipi, der Pilotanlage zur Produktion von Lithium-Karbonat (einem weißen Pulver, aus dem später dann zum Beispiel Lithium-Batterien gemacht werden).
Wir waren gerade mal 20 Minuten von Uyuni entfernt, als sich der hintere rechte Reifen überlegte, einfach mal im lehmigen Boden stecken zu bleiben. Auf dem Weg zwischen Uyuni und Llipi Llipi gibt es nämlich so gut wie keine befestigten Straßen, nur Sand, Staub, Salz – und Lehm. Wir waren so erfolgreich mit unseren Bergungsversuchen, dass am Ende quasi alle vier Reifen im Lehm steckten und wir selbst zu sechst und mit einem zweiten Wagen keinen Erfolg hatten.
Erst Schlamm, dann Salz
Das war schlecht für den Jeep, und für mich auch. Wir waren nämlich extra schon gegen sechs Uhr losgefahren, damit ich vor der Pilotanlage in aller Ruhe frühstücken und auf meinen Einlass um elf Uhr warten konnte. Um 13 Uhr bin ich dann schließlich doch noch mithilfe eines anderen Jeeps angekommen, wobei mein Auftritt maximal semi-professionell gewirkt haben muss.
Ich war nämlich während des Wartens auf weitere Helfer kurz im Lehm versunken. Und meine Schuhe haben deswegen seitdem eine feine Lehm-Schicht, und meine Hose hat jetzt überall so kräftige Flecken, die der Farbe von Verdauungsprodukten durchaus nicht unähnlich sind.
Das Schnitzel bitte nicht fotografieren
Zurück zum Lithium: Ich wurde von einem sehr genauen Pressesprecher auf eine PR-Tour durch die Pilotanlage mitgenommen, musste mein Aufnahmegerät vorzeigen (wahrscheinlich, damit ich in der Kantine aber auch wirklich keine Töne aufnehme) und wurde am Ende sogar noch selber interviewt, ebenfalls mit Aufnahmegerät.
Ich habe übrigens nicht darauf geachtet, ob er das Gerät am Ende des Interviews ausgeschaltet hat. Ich hatte kaum die Möglichkeit, meine vielen Fragen zu stellen – habe aber zumindest einen ersten Eindruck vom bolivianischen Lithium-Projekt bekommen.
Riesige Anlagen
Die Bolivianer meinen es tatsächlich ernst mit der Industrialisierung dessen, was jahrhundertelang in aller Ruhe auf dem Salzsee rumlag oder in tieferen Schichten rumschwomm. Die Anlagen in Llipi Llipi sind beeindruckend groß, besonders die Pools, in denen nach und nach die einzelnen Inhaltsstoffe der Salzlauge durch Sonnenlicht getrocknet und entnommen werden.
Bolivianisches Reinheisgebot
Ob der bolivianische Staat aber wirklich in der Lage ist, am Ende des Prozesses fast 100-prozentiges Lithium-Karbonat herzustellen, kann ich durch reines Angucken nicht beurteilen.
Ein gestandener bolivianischer Chemiker, der sich seit Jahrzehnten mit dem Lithium im Salar de Uyuni beschäftigt, hat mir gegenüber aber zumindest deutliche Zweifel an der Reinheit und auch an der verlautbarten Menge des bolivianischen Lithiums geäußert.
Smalltalk mit Soldaten
Und damit sind wir auch schon wieder bei den bolivianischen Transportmitteln. Nach meinem Besuch der Pilotanlage sollte eigentlich schon längst ein Jeep auf mich warten. Weil ich aber aus einem großen Erfahrungsfundus schöpfen kann, was bolivianische Zeitabsprachen angeht, machte ich mir erstmal keine Sorgen und setzte mich vor den Eingang.
Anderthalb Stunden später saß ich dann auf Einladung der sieben Soldaten, die das Gelände überwachen, im kleinen Häuschen neben der gelb-schwarzen Schranke. Weitere anderthalb Stunden später nahm mich ein Soldat mit zum Abendessen. Ich fand es zwar interessant, zum Beispiel zu erfahren, dass bolivianische Wehrdienstleistende pro Monat stolze 80 Euro bezahlt bekommen, hätte aber auch nichts dagegen gehabt, diesen Ort sofort zu verlassen.
Hora boliviana
Eine weitere Stunde später erfuhr ich schließlich, dass der Jeep dann doch nicht mehr kommen würde. Wegen des Lehms und so. Zum Glück konnte ich letztendlich doch noch mit einem Mitarbeiter der Pilot-Anlage mitfahren, mitten über den Salzsee. Der Mann auf dem Beifahrersitz sprang übrigens alle paar Kilometer raus, rannte durch die Gegend, fuchtelte mit seinen Händen und wies dem Fahrer so den Weg, damit nicht noch ein Auto kurz vor Uyuni stecken bleiben musste.
Die ganz große Politik im Taxi
Inzwischen bin ich in Potosí, der früher mal reichsten Stadt der Welt. Der Weg dorthin war traumhaft. Ich hatte bisher kaum Zeit, mir Potosí anzuschauen, weil ich quasi direkt nach meiner Ankunft zur zweiten staatlichen Pilot-Anlage gefahren bin.
Mein Taxifahrer kam gar nicht mehr aus dem Schimpfen raus, als er über das bolivianische Lithium-Projekt redete. Reine Geldverschwendung und pure PR sei das; von Evo und seinen Sozialisten. Bevor er sich dann aber auch noch nach einigen Themenwechseln über Deutschland und diesen Adolf Hitler erkundigen konnte, waren wir zum Glück schon am Ziel angekommen.
In der Batterien-Fabrik
Lithium-Batterien herzustellen ist eine knifflige Sache. Das kann nicht jeder, und die Bolivianer konnten das bis vor ein paar Monaten auch nicht. Dann hat ihnen aber eine chinesische Firma die Batterienfabrik La Palca in der Nähe von Potosí schlüsselfertig hingestellt und auch noch die ersten Mitarbeiter geschult. Seitdem probieren die bolivianischen Batterienmacher vieles aus, nach ihren chinesischen Vorbildern.
Verkauft werden die bolivianischen Batterien noch nicht, und mit dem Salzsee hat das alles auch noch nichts zu tun. Sämtliche Materialien werden nämlich aus China importiert, weil zwischen dem Litihum-Karbonat aus Llipi Llipi und den Batterien aus La Palca noch ein Produktionsschritt fehlt, für den es zurzeit noch keine bolivianische Fabrik gibt.
Wird das noch was?
Die Batterienproduktion ist also noch in einem sehr frühen Stadium, auch wenn man das für die entstehenden Kosten nicht sagen kann: Die Fabrik hat zurzeit noch keinen Stromanschluss und muss deswegen komplett mit Generatoren betrieben werden. Das ist richtig teuer, sorgt aber immerhin dafür, dass die Mitarbeiter aus Kostengründen schon um 15.30 Uhr Feierabend haben.
Ich habe den Eindruck bekommen, dass die Bolivianer mit ihren Salz-Pools und dem Lithium-Karbonat schon relativ weit sind (wobei Kritiker des Projekts genau das bestreiten). Mit den Batterien ist es aber noch längst nicht so weit – und außerdem ist die Frage, ob der Preis für die bolivianischen Energieträger nicht viel zu hoch sein wird. Das könnte auf Dauer dazu führen, dass die Bolivianer dann doch wieder nur Rohstoffe (Lithium-Karbonat) verkaufen. Wie immer.
Noch ein Tag in Potosí
Nach meinen etwas schwierigen letzten Stationen besuche ich erstmal in aller Ruhe weitere Menschen, die etwas mit dem Lithium-Projekt zu tun haben. Unter anderen werde ich das in Potosí ansässige Bürgerkomitee besuchen und mir eine Universität anschauen, in der nach eigener Auskunft schon seit 50 Jahren zum Lithium geforscht wird. Nur hat das bisher leider keinen greifbaren Effekt gehabt.
Achja, ich hatte da ja oben noch was angekündigt: das höchste Bier der Welt. Ist natürlich eine total sinnlose Formulierung. Gemeint ist das Bier, das an der weltweit höchsten Stelle gebraut wird. Und ob das wirklich stimmt, recherchiere ich jetzt mal nicht nach. Wäre doch schade, wenn selbst das einzig aufsehenerregende Merkmal dieses faden Bieres nur eine PR-Geschichte wäre.