Am Rand

Fast drei Stunden geht es über den Salzsee, im großen Reisebus. Asphaltierte Straßen gibt es hier nicht. Und Gringos, die im Bus nach Llica mitfahren, eigentlich auch nicht. „Mama, da steht ein Gringo vor der Tür“, lautet daher auch die herzliche Begrüßung im Rathaus von Llica. Wo ich eigentlich hätte empfangen werden sollen.

Die Pläne haben sich aber natürlich wie immer geändert: Der Bürgermeister hat ein Problem mit seinem Auto, und ansonsten weiß erstmal niemand Bescheid. „Ruhen Sie sich doch erstmal aus, in vier Stunden gibt’s dann Abendessen“, erbarmt sich dann schließlich doch ein Kollege des Bürgermeisters und zeigt mir mein Zimmer, inklusive tollem Salar-Panorama und einer Art Plumpsklo im Erdgeschoss, das man leicht findet, wenn man einfach dem Geruch folgt.

Llica liegt kurz vor Chile, am äußersten Rand des Salzsees, der hier Gran Salar de Tunupa genannt wird. Der Name Salar de Uyuni sei ein Werbetrick der erst seit wenigen Jahrzehnten bestehenden Stadt Uyuni, höre ich öfter. Dagegen blickt die Gemeinde Llica mit ihren ungefähr 4000 Einwohnern auf eine viel größere Geschichte zurück. Und mit dieser Geschichte kann man sogar sprechen.

Wenige Informationen, viel Vertrauen
Gabino Carlo Bernal ist der Kuraka von Llica, also das traditionelle Quechua-Oberhaupt der Stadt. An diesem Sonntag hat er seine Kollegen aus der Umgebung versammelt, um über aktuelle Herausforderungen in den einzelnen Dörfern zu sprechen. Das Thema Lithium spielt aber keine besondere Rolle – außer dass die traditionellen Gemeindevorsteher das staatliche Projekt grundsätzlich begrüßen. „Das wird unsere Region nach vorne bringen, mit Arbeitsplätzen und einer richtigen Industrie“, sagt Gabino Carlo Bernal.

Viel wisse er nicht über die Lithium-Pläne, sagt auch sein Kollege Felix Opala, im traditionellen Gewand. Eine Sache macht den Quechua-Oberhäuptern aber dann doch Sorgen: „Der Quinua-Anbau darf unter der Lithium-Industrie nicht leiden“, sagt Opala. Denn es ist tatsächlich zu befürchten, dass eine große Lithium-Fabrik so viel Grundwasser benötigt, dass das komplette Ökosystem des Salars in Mitleidenschaft gerät.

Hochleistungs-Industrie oder Llicas Katastrophe?
Diese Position vertritt das moderne Stadtoberhaupt, Lllicas Bürgermeister Fausto García López, noch wesentlich stärker als Gabino Carlo Bernal und Felix Opala. „Die Regierung hat uns nie gefragt, ob wir so eine Industrie haben wollten. Wir haben nichts von dem Projekt und müssen mit den negativen Auswirkungen leben, ohne jede Unterstützung vom Staat“, sagt García López, seit ungefähr fünf Jahren im Amt und Mitglied der linken Oppositionspartei „Movimiento sin miedo“.

Llica lebt vor allem vom Quinua-Anbau und vom Tourismus. Beides könnte mit großen Lithium-Fabriken und Verdampfungs-Pools im Salzsee verschwinden, warnt der Bürgermeister. Die Pilotanlage im Salar dürfe er nicht besuchen, er habe Besichtigungsverbot. „Der Staat hat uns unseren Besitz genommen – wir dürfen nicht mehr auf unser eigenes Eigentum“, meint García López und blickt ins Leere.

Kein Kurswechsel
In seinem Amtszimmer steht noch ein Karton mit Bodenproben aus dem Salar, von einem gemeinsamen Projekt der Universität Tomas Frias in Potosí und der Technischen Universität Freiberg (Erzgebirge).

Das Projekt mit kompakten Verdampfungskegeln wurde eingestellt, die Regierung wollte von der möglichen Alternative zu den riesigen Verdampfungsbecken nichts wissen. Ein großangelegtes Pilotprojekt hat es nie gegeben.

Ein Salar für alle Bolivianer
Das ist typisch – die Regierung verfolgt ihren Kurs, stellt sich bei Kritik taub. Dabei sind wir es, die hier auf dem Salar die Entscheidungen treffen müssten“, sagt García López. Doch der Salzsee gehört offiziell allen Bolivianern, oder besser gesagt: dem Staat.

Dagegen will García López kämpfen, droht mit der Autonomie. Ihm droht allerdings auch etwas: die Abwahl. Im kommenden März könnte er gegen einen Kandidaten der Regierungspartei MAS das Nachsehen haben.

Zurück nach La Paz
Nach meinem Kurzbesuch in Llica bin ich nun wieder in La Paz. Ich räume ein: Bei meiner vierten Reise nach Uyuni hatte ich keine Lust mehr auf die extrem anstrengende Busfahrt von La Paz nach Uyuni und zurück. Deswegen bin ich ausnahmsweise mal in der Touristenklasse gereist: Erst im Miniflugzeug mit 19 Sitzplätzen und dann auch noch im komfortableren Touri-Bus, mit Heizung und Sauerstoffmasken.

Was meine Lithium-Recherche angeht, wird die Luft allmählich auch etwas dünner. Aua. Entschuldigung. Inzwischen habe ich sogar mein erstes Interview gegeben. Ansonsten habe ich alle wichtigen Interviews schon geführt. Zum Glück.

Denn die Höhenkrankheit hat mich Anfang der Woche wegen zu viel Hin- und Herreisens, zu wenig Schlafs und eben zu viel Höhe nochmal endgültig erwischt. Deshalb werde ich ab jetzt an etwas niedrigeren Orten Ordnung in die vielen unterschiedlichen Gespräche bringen, mit den total unterschiedlichen und widersprüchlichen Meinungen, die ich in den letzten Wochen so eingesammelt habe.