Von Minen umgraben

„Wenn ich aufstehe, höre ich den Lärm der Sprengungen, meine Nase juckt und mein Blick ist trüb“, erzählt Alberto Mejía. Der 70-Jährige hat graue Krauselocken, sein Blick ist fest, doch durch die matten Augen schwingt eine Mischung aus Traurigkeit und Zorn. Mejía lebt im Dorf El Hatillo. Die kleine Gemeinde ist nur schwer über eine endlos erscheinende Schotterpiste zu erreichen. Der Weg führt durch die Kohleregion des südlichen Cesars. Links und rechts entlang der 40 Kilometer langen Strecke teilen große internationale Unternehmen die gigantischen Kohlevorkommen der Region auf.

Alberto Mejía

Alberto Mejía

El Hatillo ist laut den Einwohnern bereits seit über 100 Jahren hier –  die internationalen Rohstoffkonzerne erst seit den 70ern. Als die Konzerne die Konzessionen rund um das Dorf erwarben, lebten die „Hatillanos“ noch von Landwirtschaft, Viehzucht, Jagd und Fischfang. „Das war das schöne Leben, weswegen ich hier geblieben bin“, erinnert sich Mejía, der erst mit 30 Jahren nach El Hatillo gezogen ist. „Als die ersten Probebohrungen gemacht wurden, da wussten wir nicht einmal, was Kohle eigentlich ist“. Erst einige Jahre später – ab den 90ern Jahren erfuhren die Dorfbewohner, dass ein US-amerikanischer Familienbetrieb eine Mine in der Nähe eröffnet hatte. „Am Anfang wollten die uns überhaupt nicht einbeziehen, als sie aber keinen Ausweg mehr sahen, haben sie uns ein Märchen aufgetischt: von Fortschritt, von Arbeit, von Infrastruktur“, erzählt Mejía, während er an einem Haufen freiliegendem Plastikmüll vorbeigeht. Keine 150 Meter von ihm entfernt, erhebt sich ein aufgeschütteter Berg mit den schwarzgrauen Resten der Kohleförderung.

Fußballfeld in El Hatillo

Fußballfeld in El Hatillo

Insgesamt vier Minen liegen rund um das Dörfchen. Rund 15 Jahre nach Verkündung des Kohle-Märchens ist Alberto Mejía das Träumen vergangen: „Unser Fluss ist verschmutzt, es gibt kaum mehr Tiere und Pflanzen, die den Bedingungen standhalten, viele der Einwohner leiden an Atemproblemen.“ Vor allem Kinder und Ältere treffe die Luftverschmutzung mit Kohlenstaub, erklärt die 69-jährige Berta Celectina Baraza Suarez, die in einem Holzverschlag in El Hatillo lebt und sich nur noch langsam bewegen kann. Sie leidet unter Atemwegserkrankungen und starker Müdigkeit. Einen Großteil ihres Geldes gibt Berta Suarez für Medikamente aus. „Die Ärzte haben zwar gesagt, dass es mit dem Kohlenstaub zusammenhängen kann, aber um einen wissenschaftlichen Nachweis zu erbringen, dafür braucht es Studien“, und das Geld dafür habe sie nicht, erklärt sie.

Berta Celectina Baraza Suarez

Berta Celectina Baraza Suarez

Im Jahr 2010 hat der kolumbianische Staat die Minenbetreiber aufgefordert, die Umsiedlung von El Hatillo zu veranlassen. Die Kohlestaubbelastung im Dorf wäre zu hoch, so die Begründung des Umweltministeriums. „Die Reaktion war gleich null. Die verhalten sich hier, als seien sie der Staat, sagt Mejía, der auch dem Verhandlungskomitee von El Hatillo angehört“. Seit 2010 trifft sich das Komitee regelmäßig mit den Minenbetreibern. Doch die Verhandlungen seien immer „erfolglos“, so Mejía. Im März des vergangenen Jahres riefen die Bewohner eine Ernährungskrise aus. Ein Trupp der UN-Nothilfekoordination OCHA stellte danach bei mehr als 60 Prozent der Kinder Unterernährung fest. Seitdem zahlen die Minenbetreiber jeder Familie bis zur Umsiedlung ein Übergangsgeld von 300.000 kolumbianischen Pesos (115 Euro) im Monat. Das Durchschnittseinkommen in Kolumbien liegt bei umgerechnet circa 400 Euro, der Mindestlohn bei 300. Nach dem Wegfall der Landwirtschaft hätten von den 675 Einwohnern nur noch 15 eine Arbeit – sechs arbeiteten in den Minen, der Rest in einer Palmölfabrik in der Nähe, so Mejía.

Die Minenbetreiber haben nun ein internationales Consulting-Unternehmen engagiert, das mit den Bewohnern die Umsiedlung erarbeiten soll. „Unsere Forderungen sind nicht übertrieben“, sagt Mejía. Für ihn und das Komitee ist klar: die Minenbetreiber müssen die über 100 Jahre alte Gemeinde kollektiv umsiedeln. Das heißt, ein neuer Ort für alle, mit geeigneten landwirtschaftlichen Möglichkeiten. „Wir wollen ein neues El Hatillo – nicht mehr und nicht weniger“, sagt er, und seine trüben Augen blitzen für eine Sekunde auf.