Vertreibung, Morde, Massaker – paramilitärische Einheiten haben jahrelang Platz für den lukrativen Kohleabbau im Nordosten Kolumbiens geschaffen. Auch internationale Rohstoffkonzerne sind in den Fall verwickelt.
Wir schreiben das Jahr 2005: Der damalige Präsident Álvaro Uribe geht einen Deal mit den Paramilitärs ein: Waffen und Aussagen gegen kurze Haftstrafen. Die Zeugenaussagen der Paramilitärs bestätigen: Sie haben nicht autark gehandelt, der Befehl kam auch von internationalen Rohstoffkonzernen. Eine Studie des niederländischen Ablegers der Menschenrechtsorganisation PAX ist diesem Fall nachgegangen und kommt auf insgesamt 60.000 Vertriebene, fast 2600 gezielte Morde und mehrere Massaker, in denen weitere 500 Menschen starben. Alle im Zusammenhang mit dem Bergbau in der Region Cesar. Die Dunkelziffer liegt weit über dieser Zahl, denn noch immer haben viele Opfer der Gewalt Angst, ihre Peiniger von damals anzuklagen.
In Kolumbien laufen aktuell Entschädigungsprozesse. Doch die großen Konzerne haben ihre besten Anwälte engagiert – bisher konnte ihnen keine direkte Mitschuld nachgewiesen werden. Lediglich das kolumbianische Institut für ländliche Entwicklung wurde krimineller Machenschaften schuldig gesprochen. “Incoder“, damals „Incora“, so der Name der Institution, hat die von Paramilitärs geräumten Flächen an die Konzerne verkauft. Während diese jegliche Verantwortung von sich weisen, hat der kolumbianische Staat in einigen Fällen Vertriebenen bereits gewisse Summen zugesprochen.
Da mich diese Geschichte gepackt hat, gehe ich seit einigen Tagen der Sache nach. So habe ich mich mit Opfern der Paramilitärs getroffen und hier sind ihre Geschichten.
Sifredy – Santa Fe
Seine Nägel bohren sich in den Stamm der Ölpalme. Als wäre sie schuld daran, dass der Mangobaum nicht mehr da steht, wo er früher immer stand. Ich bin mit Sifredy zurückgekehrt, an den Ort, wo er neun Jahre seines Lebens verbracht hat. „Wir haben hier so gut gelebt. Wir hatten unser Land und unser Vieh“, sagt er aufgebracht. Er stottert ein wenig – das ist nicht normal, denn Sifredy ist im Umgang mit Journalisten eigentlich routiniert. Ich bin nicht der erste, der ihn begleitet und interviewt. Sifredy ist einer, der sich nichts vorschreiben lässt. Als Sprecher der Vertriebenen der Gemeinde von Santa Fe lebt er unter größter Anspannung. Kugelsichere Weste, mehrere Handys und ein Leibwächter gehören für ihn zum Alltag.
Das Land in Santa Fe war damals ein Geschenk des Staates. Eine Agrarreform ermöglichte Tausenden Bauern ein neues Leben. Im September im Jahr 1989 betrat Sifredy mit circa 50 weiteren Familien das Grundstück. Die Bauern konnten eine fruchtbare Erde ihr Eigen nennen: „Auf einmal leuchtete die Zukunft – wir konnten gar nicht glauben, wie viel Glück wir damals hatten“. Auf seiner Parzelle 27 wuchs von Reis bis Mangos so ziemlich alles, was die Familie damals brauchte. Der kleine Fluss fließt auch noch heute durch sein Grundstück. „50 Meter weiter aufwärts haben sie ihn erschossen und dann in den Fluss geworfen“, erinnert sich Sifredy an den Schicksalstag des 25. März 1997. Ein Trupp von bewaffneten Paramilitärs kam um halb sieben nach Santa Fe. Zwei Stunden verbreiteten sie Angst. Sie ermordeten einen jungen Mann aus dem Nachbardorf am Fluss, vergewaltigten eine junge Frau und sagten den Einwohnern dann, dass sie ihr Grundstück schleunigst verlassen sollten. „Wenn wir mittags zurückkommen und Dich hier finden, dann bist Du tot“, erinnert sich Sifredy an die Drohgebärden.
Zwei Stunden habe er sich dann auf den Stuhl im Wohnzimmer seines kleinen Hauses gesetzt, erst nachgedacht, dann geweint. Am Nachmittag waren die 50 Parzellen in Santa Fe leer. Ein knappes Jahr später kaufte ein Minenunternehmen die Grundstücke vom damaligen Institut für ländliche Entwicklung. Der Verantwortliche in der Behörde sitzt heute im Gefängnis. „Für mich ist der Zusammenhang eindeutig – es war der Konzern, der die Paramilitärs beauftragte und dann gemeinsame Sache mit der Agrarbehörde gemacht hat“, sagt Sifredy. Mit dem Konzern meint er ein Schweizer Rohstoffunternehmen, das sich in Kolumbien mit mehreren Subunternehmen engagiert.
Seit der kolumbianische Staat die Opfer von Vertreibung entschädigt, kämpft er vor Gericht. „Geld würde wenigstens unsere finanzielle Situation aufbessern, aber sie kann uns nicht für unser verlorenes Leben entschädigen.“ Deshalb fordert er von den Eigentümer der Mine eine Entschuldigung: „Sie müssen für den angerichteten Schaden Verantwortung übernehmen. Sie müssen sich entschuldigen, nicht nur bei mir, sondern bei allen vertriebenen Familien.“
Auf seinem Grundstück in Santa Fe stehen heute hunderte Ölpalmen. Sie dienen als „grüner Ring“ rund um die Kohlemine. Vor der Einfahrt nach Santa Fe steht ein Schild mit der Aufschrift: „Privatgrundstück – Betreten verboten“.
Margoth – El Prado
„Wären sie nur damals einfach gekommen und hätten mit uns geredet, dann wäre die Familie noch zusammen. Margoth wohnt in einem einfachen Haus mit zwei Zimmern in Valledupar, der Provinzhauptstadt des Cesars. Durch das Wohnzimmer mit der abgewetzten Tapete laufen zwei kleine Hennen. Ihre sechszehnjährige Tochter liegt im anliegenden Zimmer im Bett, blickt durch die offene Tür zu uns und lauscht mit angespannter Miene den Geschichten ihrer Mutter. „Nur wegen dieser Kohle haben sie meinen Mann und meine Söhne umgebracht“, schluchzt sie und die Tränen laufen über ihr gegerbtes Gesicht. Es war ein Sonntagmorgen im Mai 2002. Die Familie saß wie immer sonntags zusammen, als 11 Männer in Uniform erschienen und ihren Mann und ihre drei ältesten Söhne mitnahmen. Die Männer wollten nicht sprechen, sie wollten Taten schaffen. Margoth und ihren sechs Töchtern befahlen sie, ihre Parzelle zu verlassen. Nach sieben Jahren Landwirtschaft wurde der Traum der Familie beendet. „Wir sind danach direkt aus El Prado geflohen.“ Vom fruchtbaren Land, dem eigenen Grund und Boden, in die Stadt, in ein einfaches Miethaus.
Margoth arbeitet seitdem auf dem Markt als Teller-Wäscherin, um ihre sechs Töchter über Wasser zu halten. Ihre drei Söhne und ihr Mann sind nie wieder aufgetaucht. Die Ungewissheit hat Margoth zermartert. Erst mit den Zeugenaussagen der Paramilitärs hat sie Bestätigung erhalten: „Die haben zugegeben, dass sie meine drei Jungs und meinem Mann ermordet haben“, erzählt die 55-Jährige. Das Grundstück, von dem die Paramilitärs sie damals vertrieben, gehört heute auch dem Schweizer Minenkonzern. Das Dorf El Prado in der Margoth damals lebte existiert nicht mehr. Nur noch ein Angestellter des Minenunternehmens wohnt dort in einer kleinen Hütte.
Fünf Jahren kämpfte Margoth vor Gericht in einer Sammelklage um Entschädigung für den Verlust ihres Landes. Vor Kurzem wurde ihr recht gegeben. Sie und 53 weitere Kläger werden sich umgerechnet rund vier Millionen Euro teilen. Das Geld kommt vom kolumbianischen Staat und nicht von dem Minenbetreiber, der heute von ihrem Grundstück profitieren.
„Ich will eigentlich nur endlich alle Überreste meiner Kinder und meines Mannes begraben“, sagt sie. Ihre Augen sind rot unterlaufen. Vor sechs Monaten hat ihr die Polizei zwei Knochen ihres jüngsten Sohnes in einem Holzkistchen überreicht. Auf dem Friedhof um die Ecke ihres kleinen Hauses hat sie ihn feierlich beigesetzt. Stolz zeigt sie ein Foto von ihr und ihren sechs Töchtern. „Alle waren an dem Tag da.“ Von ihrem Ehemann und ihren zwei ältesten Söhnen fehlt weiterhin jede Spur.
Pompilio – Mechoacán
Auch er wohnt mittleweile in Valledupar – in einem Armenviertel am Rande der Stadt. Doch wir treffen uns im Zentrum, denn kein Taxifahrer war bereit, mich zu ihm zu bringen: „zu gefährlich“, hieß es nur. Seine Tochter, seinen Sohn und viele Dokumente hat er gleich mitgebracht. „Fünfzig Jahre habe ich von der Landwirtschaft gelebt, heute verwese ich hier in der Stadt“, sag der 75-Jährige Landwirt. Er ist wütend, doch er weiß, dass er Glück im Unglück hatte. „Als die Paramilitärs kamen, war ich gerade mit meinem Sohn auf dem Weg nach Bogota.“ Sein Sohn wollte Polizist werden, also brachte Pompilio ihn zur Polizeischule in der Hauptstadt. „Sie hätten mich vor den Augen meiner Frau umgebracht“, sagt Pompilio. Seine Tochter und sein Sohn nicken stumm vor sich hin. Kurz nach dem Einmarsch der Paramilitärs sind sie von ihrem Land in Mechoacán geflohen.
Das Kommando seiner Peiniger hatte Esquivel Cuadrado alias El Tigre. Er war der erste Anführer der Juan Andrés Álvarez Front, einer berüchtigten Einheit der Paramiltärs. El Tigre hat vor Gericht ausgesagt. Die Organisation PAX hat all seine Aussagen dokumentiert und analysiert. Demnach behauptete er 2013: „Ich kann die Zahlen nicht genau nennen, aber auf unser Konto gehen zwischen 1000 und 1500 Morde“. Außerdem gestand er, für mehr als 2000 Vertreibungen verantwortlich zu sein. „Es war der Konzern, der ihn beauftragt hat“, schimpft Pompilio. Er meint damit ein US-amerikanisches Familienunternehmen, dem viele Kohleminen im Cesar gehören. Die Verbindungen zwischen El Tigre und dem Konzern scheinen zu existieren, wie der Bericht von PAX nahelegt. Demnach hat El Tigre größere Summen über Mittelsmänner vom Unternehmen erhalten, um seine Männer mit Waffen auszustatten.
Wie auch Margoth streitet Pompilio seit Jahren um sein Land. Bisher allerdings ohne Erfolg. Er hat ein Krebsgeschwür im Magen, doch den Tag, an dem sie ihm vor Gericht recht geben, der hält ihn am Leben, sagt er. „Und wenn nicht, dann machen meine Kinder weiter. Eines Tages werden wir Gerechtigkeit erfahren“. Das Land hatte ihnen damals auch die Agrarbehörde Incora zugewiesen. Er zeigt mir die alte Besitzurkunde. Nach langem Hin und Her haben sie vor Kurzem beim Grundbuchamt über die aktuellen Besitzverhältnisse Auskunft bekommen. Er zeigt mir einen Auszug des Amts: Darauf steht der Name des US-amerikanischen Familienbetriebs.