Es war einmal ein Gletscher

Wenn es ein Symbol für den Klimawandel in Bolivien gibt, dann ist es wohl der Chacaltaya. Bis vor rund zehn Jahren lag auf dem Berg nahe La Paz das angeblich höchste Skigebiet der Welt. Noch 2001 fanden hier Abfahrt-Wettbewerbe statt. Heute ist vom einst so stolzen Gletscher nichts mehr übrig. Im Jahr 2010 schmolz der letzte Rest ab. Je nach Jahreszeit sind ein paar Stellen des 5400 Meter hohen Berges mit wenigen Zentimetern Schnee bedeckt, doch an Skifahren ist nicht mehr zu denken. Nur die Pfähle und Seile des Skilifts erinnern an die alten Zeiten.

Foto: Leonard Goebel

War mal eine Skihütte: Die Bergstation des Chacaltaya. Foto: Leonard Goebel

Durch die Temperatursteigerung haben alle bolivianischen Gletscher (ebenso wie die der anderen Andenstaaten) in den letzten Jahrzehnten extrem an Masse verloren – rund 50 Prozent in 35 Jahren. Und das Tempo der Schmelze nimmt zu: Nach Angaben des Bolivian Mountain Institutes (BMI) ging die Eisdecke des Chacaltaya zwischen 1940 und 1982 durchschnittlich um einen knappen Meter pro Jahr zurück – zwischen 1982 und 1993 hingegen um sechs Meter jährlich. Danach ging es noch schneller. Andere Gletscher in der Andenkette Boliviens haben ähnliche Raten vorzuweisen. Der Chacaltaya wird nicht der letzte Gletscher sein, der kein Gletscher mehr ist. Das ist schade für Skifahrer. Aber vor allem ist es dramatisch für die Menschen, die vom Schmelzwasser der Gletscher abhängig sind.

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Die Cordillera Oriental – eine der beiden Andengürtel Boliviens. Foto: Leonard Goebel

Samuel Mendoza lebt seit Jahrzehnten auf dem Chacaltaya. Er leitet die Berghütte, in der früher Skifahrer einkehrten. Jetzt kommen nur noch Wandergruppen. „Für uns ist es sehr traurig, auf unserem Berg zu leben, denn wir haben kein Wasser mehr. Früher hatten wir viel Schnee, wir haben ihn gesammelt und in einer Hütte aufgetaut. Dann wurde das Tauwasser mit einem Rohr ins Haus geleitet. Jetzt gibt es keinen Schnee mehr, nur noch Fels. Also haben wir kein Wasser zum Trinken oder für die Bäder. Wir müssen es in La Paz kaufen“, sagt Samuel.

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Umgekehrtes Kühlhaus: Hier wurde früher (und wird noch irgendwie) Schnee aufgetaut. Foto: Leonard Goebel

Nicht nur direkt auf dem Berg macht sich die Veränderung bemerkbar. Viele Regionen im Hochland sind auf das Wasser der Gletscher angewiesen. In der Trockenzeit ist es oftmals die einzige Wasserquelle. „In den Dörfern verdursten die Tiere, weil es zu trocken ist. Die Lagune dort unten ist vor ein paar Jahren zum ersten Mal komplett ausgetrocknet“, erzählt Samuel.

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Der Chacaltaya ist für viele ein heiliger Berg. Foto: Leonard Goebel

Beim Chacaltaya lässt sich schon beobachten, was es bedeutet, wenn der Berg kein Wasser mehr abgibt. Bei anderen Gletschern steht das erst noch bevor – was kurzfristig zu umgekehrten Bedingungen führt: „Momentan gibt es ein Paradoxon: Da die Gletscher so schnell  abschmelzen, steht derzeit vielfach sogar mehr Wasser zur Verfügung als sonst“, so Dirk Hoffmann vom BMI. Aber das wird nicht lange so bleiben. Wenn der Großteil des Eises weg ist, wird nur noch wenig Wasser den Berg hinabfließen. Und irgendwann dann gar keins mehr. „Dann wird die Viehzucht im hohen Gebirgsland nicht mehr möglich sein, weil die Vegetation vertrocknet“, sagt Hoffmann.

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Ein Skilift ohne Nutzen. Foto: Leonard Goebel

Und auch für die Metropolregion La Paz / El Alto könnte die Gletscherschmelze zum Problem werden. Aufgrund des hohen Bevölkerungswachstums bestehen ohnehin Zweifel über die Wasserversorgung der Millionenstädte. Wenn dann auch noch das Wasser der Gletscher ausbleibt, das laut Studien etwa 10 bis 15 Prozent des Bedarfs deckt, könnte sich die Situation zusätzlich verschärfen. Falls nicht doch noch ein Wunder geschieht. Samuel hat den Glauben daran noch nicht verloren: „Ich hoffe, dass der Schnee irgendwann zum Gletscher zurückkehrt.“

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La Paz bei Nacht – Blick aus El Alto. Foto: Leonard Goebel