„In Kelantan haben die Frauen das Sagen“, erzählt mir Samir Harith. „So war es auch bei uns. Meine Mutter ist der Boss.“ Samir ist einer meiner Interviewpartner für mein Rechercheprojekt hier in Malaysia. Er selbst stammt aus der Provinz Kedah. Die liegt im westlichen Norden Malaysias, an der Grenze zu Thailand. Seine Mutter aber kommt aus Kelantan, einem der konservativsten Bundesstaaten Malaysias. Als ich in Kota Bharu, der Hauptstadt Kelantans, ankomme, habe ich das Gefühl, in einem anderen Malaysia zu sein. Hier leben kaum chinesisch- oder indischstämmige Malaysier. Im Restaurant traut sich der Kellner nicht, meine Bestellung aufzunehmen. Kichernd und mit vorgehaltener Hand drückt er stattdessen seiner Kollegin seinen Notizblock in die Hand: Er spricht kein Englisch. Während auf meiner bisherigen Reise fast jeder ein paar Brocken konnte, viele sogar sehr gut Englisch sprachen, spricht hier in Kota Bharu kaum jemand Englisch. Auch die Kleidung der Menschen ist anders als in anderen Ecken von Malaysia. Während vor allem in Kuala Lumpur und George Town die muslimischen Frauen die religiösen Kleiderregeln teils sehr frei auslegen (viele tragen ein kurzärmeliges T-Shirt zum Kopftuch oder hautenge Hosen und Oberteile), haben die Frauen in Kota Bharu lange, weite Gewänder aus fließenden Stoffen an. In der Lobby des Hotels, in dem ich untergekommen bin, aber auch auf der Straße bin ich die einzige Frau ohne Kopftuch.
Ich verabrede mich mit Zuriati. Sie arbeitet als Rezeptionistin. Mit ihr zusammen will ich zum Pasar Siti Khadijah gehen. Zuriati spricht Englisch und will für mich übersetzen. Denn der Pasar Siti Khadijah ist ein besonderer Basar. Auf drei Etagen verteilen sich kleine Geschäfte. Während unten Obst und Gemüse, Süßigkeiten und Fisch verkauft werden, kann man in der mittleren Etage essen und trinken, in der oberen Etage reihen sich Kleiderläden und Stände mit Gewürzen und Haushaltswaren aneinander. Nicht nur, dass man hier alles bekommt – und wenn man erstmal drin ist, nicht mehr so leicht rausfindet.
Vor allem arbeiten hier viele Frauen. Abgesehen von einem Messerverkäufer und ein paar Gemischtwarenhändlern werden die meisten Läden von Frauen geführt.
Diese Frauen wiederum stellen hauptsächlich Frauen aus der eigenen Familie an. „Die meisten Läden werden von Generation zu Generation weitergegeben“, erklärt mir Zuriati. So ist auch Jaa an ihren Laden gekommen. Die 28-Jährige hat einen kleinen Laden für Textilien. Vor zehn Jahren übernahm sie ihn von ihrer Schwester. Jetzt verkauft sie an sechs Tagen in der Woche Stoffe, Kopftücher und Nachthemden. Ihr Mann arbeitet in der Versicherungsbranche, sie haben einen gemeinsamen Sohn. Jaas Augen leuchten stolz, als sie mir von ihrem Geschäft erzählt. Sie sucht sich genau aus, was sie verkauft. „Die Stoffe kommen meistens hier aus Kelantan. Einige auch aus der Provinz Terengganu. Einige Stoffe lasse ich dann in Thailand besticken oder mit Strasssteinchen besetzen, “ erzählt mir Jaa.
Auch Zuriati verdient mit ihrem Job das Geld in der Familie. Denn von ihrem Mann hat sie nichts zu erwarten. Vor zwei Jahren hatte sie sich von ihm getrennt. Erst nachdem sie vor Allah geschworen hat, weder mit finanziellen noch anderweitigen Forderungen an ihren Exmann heranzutreten, willigte er in die Scheidung ein. Sie hat schon immer gearbeitet. Jetzt aber ist das Einkommen der 36-Jährigen das einzige für sich und ihren fünfjährigen Sohn. „Solange ich arbeite, ist mein Sohn im Kindergarten und später passen meine Nichten auf ihn auf.“
Die Frauen im Pasar Siti Khadijah sind oft in ähnlichen Situationen. Sie unterstützen das schmale Einkommen der Väter oder wollen ganz einfach auf eigenen Beinen stehen. „Kelantan ist eine der ärmsten Regionen in Malaysia“, erzählt mir Zuriati. Ein Problem vor allem von älteren Frauen ist das Recht der muslimischen Männer, mehrere Frauen zu heiraten. Man könne sich dann nicht darauf verlassen, weiterhin versorgt zu sein. Jaas Mann aber ist nur einmal verheiratet. „Ich bin die Einzige“, sagt sie lachend. Einer zweiten Heirat müsste sie zustimmen. Aber sie will die Einzige bleiben. Als ich gehe, drückt Jaa mir ihre Visitenkarte in die Hand. Damit ich beim nächsten Mal ihren Stand auch auf jeden Fall wiederfinde.