Von Yaoundé geht es in Richtung Westen, ins Kameruner Grasland. Jeder dritte Kameruner lebt hier, auch wenn die Hochplateaus an der Grenze zu Nigeria weniger ein Zehntel der Fläche Kameruns ausmachen. Sprachwissenschaftler vermuten hier den Ursprung der Bantu-Sprachen, die heute fast überall in Subsahara-Afrika gesprochen werden: von Kiswahili am Indischen Ozean bis Xhosa am Kap der Guten Hoffnung.
Bis heute ist die Nordwest-Region Kameruns ein Mekka für Linguisten: In wenigen Regionen der Welt werden so viele verschiedene Sprachen auf so engem Raum gesprochen. Wenn ein Händler aus Bafut in das 15 Kilometer entfernte Bambui fährt, versteht er die Menschen auf dem Markt dort nicht mehr. Den Schmelztiegel bildet die regionale Hauptstadt Bamenda, wo Menschen aus der gesamten Provinz zusammentreffen. Was tut man in solchen Situationen? Man spricht Pidgin.
„Driver, pikin wan pee!“ ruft eine Frau im Bus. Herr Fahrer, das Kind muss pinkeln. „Vatican Express“, das Busunternehmen, das Kameruns Hauptstadt Yaoundé mit Bamenda verbindet, hat seinen Sitz in der offiziell englischsprachigen Nordwest-Provinz. In Yaoundé spricht man untereinander Französisch, in Bamenda offiziell Englisch – inoffiziell Pidgin.
Pidgin basiert auf dem Englischen aber Pidgin ist nicht etwa schlechtes Englisch. Pidgin ist eine eigene Sprache. Sie entstand im 17. und 18. Jahrhundert durch den transatlantischen Sklavenhandel an der westafrikanischen Küste, war Verständigungsmittel zwischen Europäern und Afrikanern. Vermutlich brachten britische Händler und Missionare das Pidgin aus Sierra Leone nach Kamerun. Ab 1884 war Kamerun unter deutscher Kolonialherrschaft. In dieser Zeit verbreitete sich das Pidgin bis ins kamerunische Hinterland – als Medium der Verständigung war es unentbehrlich.
Nach dem ersten Weltkrieg fiel der Westen Kameruns unter britische Verwaltung, der Rest des Landes unter französische. In Britisch-Kamerun konnte sich das Pidgin ungehindert neben der Amtssprache Englisch ausbreiten. Heute ist es die Muttersprache jedes Dritten in Bamenda.
Offiziell hat die Sprache keinen guten Stand. In den Schulen hängen Schilder auf denen steht: „No, No, No to Pidgin English! I am sorry for myself because I cannot speak good English. Oh, what a shame!“ Pidgin wird nicht geschrieben aber von fast jedem zweiten Kameruner gesprochen oder verstanden. Inoffiziell dominiert die Sprache nahezu alle Lebensbereiche. Shaibu Muhamadu arbeitet in einem Hotel in Bamenda. Seine Muttersprache ist Hausa, die vieler seiner Kollegen ist Kom. „Selbst in den frankophonen Teilen des Landes sprechen die Menschen viel eher Pidgin als Englisch“, erzählt er. „Ohne das Pidgin können wir hier nicht überleben!“