Die weite philippinische Landschaft rast vorbei, grasende Wasserbüffel und schwitzende Bananenbauern in ihren Plantagen, als unser Gespräch vom Persönlichen ins Politische gleitet. Was er vom neuen Präsidenten halte, frage ich Ariel. Ariel, 40 Jahre alt, stammt aus der Provinz und wohnt mit seiner Frau und den beiden Töchtern am Rand des Großraums Manila. An guten Tagen findet er Arbeit als Fahrer, so wie heute. Der Wohlstand der philippinischen Mittelklasse ist für ihn unerreichbar, zu den Ärmsten gehört er aber auch nicht. Ich will wissen, was er über den Mann denkt, der sich anschickt, das Land zurück in die Diktatur zu führen. Ariel lächelt, hebt den Daumen. „Guter Mann. Er wird aufräumen, mit ihm kommt die Ordnung. Die Kriminellen und Korrupten zittern schon vor ihm.“
Rodrigo Duterte hat es in den letzten Tagen weltweit in die Schlagzeilen geschafft – mit provokanten, man möchte sagen: wahnsinnigen Äußerungen über Journalisten. Die seien selbst schuld, wenn sie ermordet werden. „Nur weil du ein Journalist bist, bist du von Attentaten nicht ausgenommen, wenn du ein Hurensohn bist“, warnte er die versammelte philippinische Journaille während einer Pressekonferenz.
Solche Drohgebärden sind in jeder Demokratie dieser Erde ein Problem, in den Philippinen hinterlassen sie einen besonderen Eindruck. In den letzten 30 Jahren sind wenigstens 176 Reporter ermordet worden, der Internationale Journalistenverband IFJ listet das Land als zweittödlichsten Arbeitsplatz für Journalisten weltweit. 2009 wurden vor einer Regionalwahl beim sogenannten Massaker von Maguindanao 32 Medienvertreter umgebracht, anscheinend angestiftet vom damaligen Gouverneur. Immer wieder sterben kritische Journalisten unter teils nie geklärten Umständen. Erst vor wenigen Tagen war ein Berichterstatter in Manila auf offener Straße erschossen worden.
In diesem Klima entfalten Dutertes dubiose Äußerungen eine breite Wirkung. Auf der Pressekonferenz sprach er von Jun Pala, einem 2003 erschossenen Journalisten aus Dutertes Heimatstadt Davao City. Der hatte den damaligen Bürgermeister Duterte offen kritisiert. Der Mordfall ist bis heute ungelöst. „Ich will sein Andenken nicht beschmutzen“, sagte Duterte nun, „aber er war ein mieser Hurensohn. Er hat es verdient.“ Aufrichtige Journalisten hingegen, die nicht korrupt seien, hätten nichts zu befürchten.
Die Filiponos sind von Duterte einiges gewohnt, trotzdem sind viele im Land erschüttert. So meldete sich die Tochter von Gerry Ortega zu Wort, ein Radiomoderator und Umweltaktivist aus Palawan, der sich gegen den Bergbau auf seiner Insel einsetzte. 2011 lauerte ihm ein Bewaffneter auf und schoss dem 47-jährigen in einem Bekleidungsgeschäft von hinten in den Kopf. Die mutmaßlichen Hintermänner – der ehemalige Gouverneur von Palawan und sein Bruder, ein früherer Bürgermeister – stehen derzeit vor Gericht. Die Tochter verteidigte ihren Vater jetzt gegen den Vorwurf, er sei korrupt gewesen und selbst schuld an seinem Schicksal: „Gerry Ortega wurde wegen seines Mutes und seiner Integrität getötet. Er kämpfte für soziale Gerechtigkeit. Er hat sich gegen den Bergbau auf Palawan gestellt und Korruption in der Regionalregierung aufgedeckt.“
Zwar ist Bestechlichkeit eines der zentralen Probleme der Medien, wie der Philippinische Journalistenverband NUJP einräumt. Doch Dutertes Äußerungen, befürchten redliche Reporter, könne von certain sectors als grünes Licht von ganz oben verstanden werden, missliebige Journalisten einfach umzubringen.
Law and Order – Kriminelle werden einfach exekutiert
In Davao City, der 1,5-Millionen-Stadt tief im Süden, in der Duterte mit Unterbrechungen seit 1988 das Sagen hatte, hat er einschlägige Spuren hinterlassen. Die vor Duterte als Stadt der Gesetzlosen verschriene Metropole gilt heute als Vorbild für Sicherheit und Sauberkeit. Duterte, 1945 auf Leyte geboren, steht für eine straffe Law-and-Order-Politik, achtete auf die strikte Einhaltung von Tempolimit und Gurtpflicht. Einmal zwang er einen Passanten, der sich nicht an das Rauchverbot hielt, den Filter zu essen.
Seine Erfolge im Kampf gegen Drogen und Verbrechen gehen einher mit einer unfassbaren Häufung von Todesfällen im Kriminellenmilieu. Menschenrechtsaktivisten haben seit 1998 mindestens 1400 Ermordungen durch Todesschwadronen dokumentiert. Meist läuft das so ab wie am 14. Mai: Gil Gabrillo, ein 47-jähriger Kleinunternehmer und Junkie, hatte sich einen Hahnenkampf angesehen und kam gerade nach Hause, als ein Motorrad mit zwei Maskierten heranrauschte. Einer der beiden streckte Gabrillo mit vier Schüssen nieder, dann verschwand das Motorrad in der Dunkelheit. Der Verdacht lautet: Um die Stadt zu säubern, werden Diebe, Dealer, Gangmitglieder und sogar Straßenkinder systematisch exekutiert. Human Rights Watch hat 2009 in einem Bericht dargestellt, dass die Polizei in die Morde verwickelt sei: Es seien aktuelle und pensionierte Beamte, die die Arbeit der Todesschützen steuerten, ihnen Namen und Fotos der Zielpersonen aushändigten. Die Polizeibehörde von Davao City bestreitet das. Fest steht, dass die Ermittlungen seit Jahrzehnten ergebnislos verlaufen.
Nicht nur erklärte Duterte-Gegner befürchten, dass der Bürgermeister die Killerkommandos mindestens deckt, wenn nicht sogar beauftragt hat. Der 71-Jährige hat das im Wahlkampf vehement bestritten. Allerdings versprach er auch, die Kriminalität im Land innerhalb von sechs Monaten auszulöschen, indem er Kriminelle, Drogendealer und „Hurensöhne“ aus dem Weg schaffen werde. „Zerstört nicht mein Land, denn ich werde euch (die Kriminellen) töten“, sagte er Mitte Mai vor Journalisten. Sobald er am 30. Juni sein Amt antritt, will er die Todesstrafe wieder einführen und die abscheulichsten Verbrecher zweimal hängen lassen: das erste Mal, um sie zu töten. Dann noch einmal, um „den Kopf vollständig vom Körper abzureißen“. Viele kritische Philippiner fürchten, dass Davao bald zum Modell für das ganze Land wird.
Wie konnte so ein Mann die Präsidentenwahl gewinnen?
Lange deutete wenig auf Rodrigo Dutertes Sieg hin. Der vierfache Vater inszenierte sich als politischer Außenseiter, der nichts hält vom Politikbetrieb in der Hauptstadt Manila, der den Kongress abschaffen und die Gerichte entmachten will. „Er war der erste Präsidentschaftskandidat, der jemals explizit damit gedroht hat, zum Diktator zu werden, wenn die demokratischen Institutionen ihm im Weg stehen sollten“, sagt Gene Lacza Pilapil, Assistenzprofessorin am Lehrstuhl für Politikwissenschaft der University of the Philippines in Diliman. Duterte ist kein typischer Vertreter des Parteien-Establishments. Man sieht und hört es bei seinen öffentlichen Auftritten: Statt eines Anzugs trägt er Poloshirt, seine Stimme klingt krächzend. Sein Englisch ist holprig, immer wieder wechselt er mitten im Satz die Sprache, beginnt auf Englisch und redet dann auf Tagalog weiter. Wohlwollend könnte man ihn „authentisch“ nennen.
Sein Vorgänger, der noch bis Ende Juni amtierende Liberale Benigno Aquino III, hat das Land gut regiert. Die Wirtschaft wächst, die Inflation ist niedrig, er legte ein ernstzunehmendes Anti-Armuts-Programm auf und kämpfte gegen die weitverbreitete Korruption. Die Philippinen schienen drei Jahrzehnte nach Ende der Marcos-Ära eine stabile Demokratie geworden zu sein. Wer mit Analysten über die Gründe für Dutertes Wahlsieg spricht, erhält vorhersehbare Antworten: Armut und Arbeitslosigkeit sind weiter gravierend, die Mittelschicht sorgt sich vor dem sozialen Abstieg, die Menschen sehnen sich nach einem starken Führer, einem strongman. Viele Filipinos haben resigniert, weil auch nach der sogenannten Edsa-Revolution 1986 die Macht weiterhin in den Händen weniger Politeliten liegt. Noch nie zuvor hat es ein Kandidat von der Südinsel Mindanao ins höchste Amt geschafft. Außerdem hatte das Duterte-Lager besser als die Konkurrenz verinnerlicht, dass Wahlkampf im Jahr 2016 auch in den Philippinen maßgeblich über soziale Medien geführt wird.
Ein Mann gegen das Establishment – viele Schlagworte klingen so ähnlich wie Erklärungen für die Erfolge der AfD und Donald Trumps.
Trotzdem hatte es Duterte im Kandidatenrennen zunächst schwer. In Umfragen lag er lange nur auf dem vierten Platz. Erst in der zweiten Hälfte des Wahlkampfs holte er auf. Politikwissenschaftlerin Gene Lacza Pilapil glaubt, dass die Etablierten den Provinzbürgermeister und die Dynamik seiner Kampagne zu lange unterschätzt haben: „Wahlen schaffen Identitäten, Erzählungen, Paradigmen und zeitgeists. Nicht andersrum.“
Zurück im Auto mit Ariel. Während am Horizont der Gipfel der Mount Makiling auftaucht, ein erloschener, mit tropischem Dschungel bewachsener Vulkan, frage ich Ariel, ob er von Dutertes verstörenden Aussagen gehört hat. Ja ja, sagt er, aber das sei doch als Witz gemeint gewesen. Die Philippinen hätten viele Probleme. Gewalt, Drogen, Korruption. „Ich finde, man sollte Rody erstmal machen lassen. Er verdient eine Chance.“ Kurze Pause. Dann sprechen wir über Lionel Messi und den FC Barcelona. Manchmal ist das Klügste, was man tun kann, das Thema zu wechseln.