Jetzt kommt sie doch mit. Gestern noch wollte Paola Ottomano mich mit ihrer Kollegin alleine zu den Lumads fahren lassen, der indigenen Bevölkerung im Süden der Philippinen. Auf der krisengeschüttelten und umkämpften Insel Mindanao. Ottomano ist Projektleiterin bei der deutschen Organisation Forum Ziviler Friedensdienst (ForumZFD), die auf Mindanao Konflikte in Frieden transformieren will. Und Konflikte gibt es hier reichlich.
Der Stamm der Manobo liegt im Gebiet bewaffneter kommunistischer Rebellen – die Armee ist auch vor Ort, manchmal gibt es Gefechte im Dschungel, Bomben fallen oder explodieren am Straßenrand. Deswegen macht Ottomano noch ein paar Sicherheitsanfragen in ihrem Netzwerk. Wegen dieser Lage und den fragilen Beziehungen zu den indigenen Stämmen fährt sie den Van der Organisation nun lieber persönlich in die Berge.
Lieber untereinander streiten
Zu dritt fahren wir an einem Donnerstag morgen los, in unserem klimatisierten Van, vorbei an den aufgepimpten Sammeltaxis. Nein, wir fahren nicht über rot und wir halten vor jedem Zebrastreifen an. Die Schulkinder können es nicht fassen, dass wir ernsthaft abbremsen, um sie vorbeizulassen. Aber wir wollen eben ein gutes Bild abgeben. Vielleicht ein Vorbild sein.
Während sich die Reifen unseres Vans durch die vom Regen gezeichneten braunen Pfade fressen, in diesem sattgrünen, bergigen Dschungel, erzählt mir Paola Ottomano, dass die Indigenen eine marginalisierte Gruppe sind. Weil sie Englisch nur mäßig verstehen und es fast gar nicht sprechen, weil sie manchmal nicht wissen, an welche Behörde sie sich wenden müssen, streiten sie lieber untereinander, als sich gegen die Obrigkeit aufzulehnen. Ihr gehe es darum, Brücken zu bauen, Parteien zum Reden zu bringen.
Fights for the land
In den Tagen vor unserer Reise bin ich in das Büro von ForumZFD gefahren, einem kleinen Haus am Stadtrand von Butuan, der Hauptstadt der Region Caraga im Norden Mindanaos. Paola Ottomano erklärte mir dort, wie Konflikttransformation bei indigenen Stämmen abläuft: Meistens haben die Stämme zivile Organisationen gebildet, in denen ihre Anführer sitzen.
Diese Organisationen werden von ForumZFD eingeladen und geschult, ihre Bedürfnisse und Probleme zu identifizieren, die zu Konflikten mit anderen Gruppen führen. Die Organisationen tragen ihr Wissen dann in die Stammes-Gemeinschaft. „Und im zweiten Schritt tragen die Organisationen dann akute Konflikte an das Forum heran“, sagt Paola Ottomano, es geht dann darum, den Konflikt zu begleiten, um einen gemeinsamen Nenner für ähnliche Bedürfnisse bei den Streitenden zu finden.
Konkret geht es darum: Die Region ist sehr reichhaltig an Ressourcen, aus den Bäumen lassen sich Öle und Holz produzieren, im Boden liegen wertvolle Elemente. In den vergangenen Jahren haben verschiedene Ministerien sich überlappende Titel für die Ländereien vergeben; Lizenzen an Firmen, die die Wälder abholzen oder Bergbau betreiben. Gleichzeitig sollen aber Teile der Natur geschützt werden.
Kalaschnikows im Dschungel
Gleichzeitig führen die National Democratic Front of the Philippines, und die kommunistische Partei mit ihren über 17 verschiedenen bewaffneten Gruppen – der New Peoples Army (NPA) – Krieg gegen die Regierung. Sie wollen an den Ländereien beteiligt werden und vor allem die USA aus dem Land drängen. Richtiger 68er-Style, roter Stern und Kalaschnikow.
Und gleichzeitig ist da die indigene Bevölkerung, die Lumads, eher unten in der Hackordnung. Auch sie wollen einen Teil des Landes zurück, auf dem sie seit Jahrhunderten leben. Oder zumindest Gewinne einstreichen. Diese Ursache führt zu Konflikten mit anderen Parteien, aber auch unter einander sind sich die Stämme nicht immer grün, wenn es um Einnahmen geht.
Ich weiß, das liest sich verwirrend, vielleicht unvorstellbar. Und genau das ist der Zeitgeist hier: Sich überlappende Interessen, Gruppierungen, Organisationen, Bewegungen. Es scheint, als blickten die verschiedensten Parteien selbst manchmal nicht richtig durch. Daher sind die Konflikte auf Mindanao so schwierig zu lösen.
Indigene sind verunsichert
So braucht der Süden Menschen wie Jirah Luison. Sie ist die Kollegin von Paola Ottomano, die Filipina spricht die Landessprache der Indigenen, sie ist Soziologin mit Schwerpunkt Entwicklung von Gemeinschaften. Luison schult die indigenen Organisationen, und manchmal besucht die 26-jährige ihre Klienten. Vertrauen bilden. Den direkten Zugang aufrecht halten. Sie sitzt hinten im Van und döst friedlich vor sich hin. Von ihr scheint viel abzuhängen in der Region.
Die Pfade werden immer enger, statt Häuser ziehen nur noch Hütten am Van vorbei, der stark rumpelt und der laut aufatmen muss, um voran zu kommen. Menschen schauen uns nach, als würde ein Raumschiff an ihnen vorüber schweben. Ich muss daran denken, was sich hier vor zwei Wochen abgespielt hat: Als die Armee eine große Lieferung Reis an die Manobo einkassiert hat, weil sie dem Stamm vorwirft, die NPA zu unterstützen. Die Schulen und Läden hätten danach geschlossen, in tiefer Verunsicherung hätten die Indigenen sich nicht mehr vor die Tür getraut, heißt es in einer Meldung einer Organisation an die Regierung. Doch tatsächlich gibt es indigene Kämpfer und Sympathisanten unter den Kommunisten, die Indigenen seien einfach zu rekrutieren, weil staatliche Hilfsprogramme oft nicht wirken, lerne ich.
Ein Raumschiff schwebt vorüber
Wir sind da. Und keine Überraschung: Die Realität hat nichts mit Folklore im Sinne von „Die tanzen ums Feuer herum“ zu tun. Im Gegenteil, eine kleine, starke Frau empfängt uns, Ende 50, sie trägt passend eine rote Designerbrille zu ihrem roten Gewandt. Zenaida Mansiliohan ist einerseits die Anführerin des Stammes der Banwoan, einer Gruppe innerhalb der Manobo, von denen es hier insgesamt etwa 25000 gibt. Andererseits ist Mansiliohan Vorsitzende eines landesweit aktiven Frauenvereins der Indigenen. Wir bestaunen uns und setzen uns hin.
Jetzt hämmert der Regen so stark auf das Wellblech, dass wir einander nicht verstehen, also essen wir erst einmal. Es gibt einen körnigen Reis, mit einem bitteren Salat und einem kleinen Fisch, serviert auf Reispapier, wir essen mit den Fingern. Es ist sehr lecker. Bevor die Aktivistin und Stammesführerin zu reden beginnt, will sie deutlich machen, wie wichtig ihr eine präzise Berichterstattung ist. Schon einmal habe die Organisation Dinge fälschlich dargestellt.
Wunden durch Pusten heilen
Dann erzählt Zenaida Mansiliohan ihre Geschichte und Jirah Luison übersetzt: Ihr Großvater habe noch weiter oben auf dem Berg gewohnt, er habe geglaubt, Wolken durch Pfeifen vertreiben und Wunden durch Pusten heilen zu können. Heute lebten sie mit anderen Siedlern und anderen Stämmen gemeinsam recht friedlich in der Region, die Bildung ihrer Kinder habe sich verbessert, einige Indigene glaubten mittlerweile an Gott. Viele Missionare christlicher Sekten seien hier unterwegs.
Doch heute gehe es natürlich um die Ländereien, zig tausende Hektar Urwald. Sie fühlten sich im Stich gelassen, sagt Mansiliohan. Von der NCIP, der National Commission of Indigenous People, einer Behörde, die die Rechte der Indigenen vertreten soll. Aber die NCIP würde eher gegen sie arbeiten, weil dort Nicht-Indigene die Gesetze formulieren, ohne die Indigenen zu fragen.
Im Stich gelassen
Im Stich gelassen von den lokalen Regierungen der Region, die aus Frauenhelden, Dealern und Zockern bestünden, die lieber Basketballplätze bauten als ihnen die Straßen , von ihnen könnten sie keine Hilfe erwarten, wenn es darum geht, an den Einnahmen der insgesamt sieben Holzwirtschafts-Firmen in der Region beteiligt zu werden. Die Hintermänner dieser Firmen säßen im Ausland, vielleicht in Schweden oder Japan.
Und wie ist das Verhältnis zu Armee und NPA? Beide Milizen würden ihre Tiere schlachten oder von ihren Feldern stehlen. Einige Zeit konnten sie nicht zu den Schulungen von ForumZFD fahren, weil die Armee sie nicht gelassen habe, die Armee würde sie überwachen und verfolgen. Die NPA sei auch nicht besser, sie erpressten die Revolutions-Steuer, eine Abgabe wie ein Schutzgeld. Manchmal wisse man gar nicht, welche Miliz nun vor einem stehe. Denn es gebe auch Gangstermilizen, die als Kommunisten getarnt Geld oder Essen erpressten.
Hoffnung: Umweltschutzprogramme
Worin besteht also ihre Hoffnung? Auf den Umweltschutz-Programmen. Über diese könnten sie vielleicht ihre Ansprüche auf die Ländereien umsetzen. Aber sie wollten nicht als ökologisches Feigenblatt der Green Economy herhalten, bei Programmen, wo nach sieben Jahren dann doch wieder geholzt werden darf. Die Programme müssten ernst gemeint sein. Bis dahin sei es noch ein weiter Weg. Ich solle bitte das nächste Mal gleich einen Monat bleiben, erst dann hätte ich alle ihre Geschichten und Gedanken gehört.
Zuletzt möchte ich noch wissen, was Oxfam denn falsch dargestellt habe. Die Antwort: Ein Name wurde falsch geschrieben. So viel zum Thema fragile Beziehungen.
Epilog: Ich war heute auf einer Friedenskonferenz in Cagayan de Oro, in der Nähe von Marawi, wo der IS ist. In Cagayan sind derzeit 250.000 Flüchtlinge. Wie Armee, Kirchen und Aktivisten damit umgehen, dazu bald mehr.