„Taiwanese are very clumsy in Western languages. I believe 9 out of 10 taxi drivers don’t speak English. Without us you are language handicap.“ Das schrieb mir meine taiwanische Bekannte Ruby vor meiner Reise. Ruby ist gerne ein bisschen dramatisch. Während meiner ersten Wochen in der taiwanischen Hauptstadt Taipeh bestätigt sich diese Prophezeiung dann auch überhaupt nicht. Ich komme gut klar. Wahrscheinlich hat Ruby, die vor langer Zeit in die USA ausgewandert ist, die aktuellen Entwicklungen in ihrer alten Heimat einfach nur nicht mitbekommen, denke ich mir.
Für den zweiten Teil meiner Recherche möchte ich vom Norden in den Süden reisen – und mindestens zwei Wochen dort bleiben. Als ich davon bei einem Abendessen mit neuen Freundinnen in Taipeh erzählte, sind sich aber auch hier alle einig: „Du wirst ein Problem haben, im Süden ohne Chinesisch weiter zu kommen.“ Ich nehme die Warnungen nicht so ernst, denke mir, ach nur, weil das vielleicht nicht so mega unkompliziert sein wird wie hier, es wird schon gehen.
An meiner ersten Station, Tainan, erwarten mich am Bahnhof Freunde von den neuen Freundinnen aus Taipeh. Sie zeigen mir die Stadt, den Weg zu meiner Unterkunft. Ist doch toll, dieser Süden. Es fühlt sich ein etwas an wie Urlaub in Südeuropa. Ein bisschen rustikaler, nicht so weltstädtisch, aber warm und einladend.
Tainan ist eine der kleineren Städte, mit ca. 1,8 Millionen Einwohnern, die sich aber auch auf den umliegenden Regierungsbezirk verteilen. Sie fühlt sich an wie ein größeres Provinzstädchen, ohne Metro, aber mit einer bedeutenden Historie. Tainan ist die älteste Stadt Taiwans und war lange die Hauptstadt. In der Architektur finden sich viele niederländische und japanische Einflüsse, außerdem gibt es hier die höchste Tempeldichte Taiwans. Es ist schwieriger ohne Chinesisch Kenntnisse klarzukommen, da eigentlich alles nur auf Mandarin beschriftet ist und die Bewohner deutlich weniger Englisch können, als im Norden, aber alle sind freundlich und irgendwie kann ich mich verständigen.
Meine Liebe zum Süden erlischt dann aber doch, als ich in Kaohsiung, der zweitgrößten Stadt Taiwans mit 2,7 Millionen Einwohnern ankomme und mich kein Taxi mitnehmen will, obwohl ich die Adresse in Mandarin auf dem Telefon zeige. Es ist wahrscheinlich die Angst vor dem Gesichtsverlust. Etwas falsch zu machen und sich die Blöße zu geben. In diesem Fall: kein Englisch zu können und dadurch Probleme zu bekommen. Taxifahrer Nummer 4 ruft seine Tochter an, die Englisch kann. Ich sage ihr am Telefon, wo ich hin möchte, sie erklärt es ihrem Vater und ich komme doch noch ans Ziel. Aber es hat gedauert. Weil ich vor Hunger fast umkomme, ziehe ich los, um etwas Essen zu gehen. Lateinische Schriftzeichen, arabische Zahlen und englische Übersetzungen sind hier wirklich nicht üblich. Aber ich komme eigentlich immer zurecht mit: Auf irgendetwas in der Karte zeigen, die Reaktion im Gesicht meines Gegenübers abwarten, falls die zustimmend ist, dieses Ding bestellen, falls nicht, auf das nächste zeigen, bis ein Lächeln zu sehen ist.
In Kaohsiung funktioniert das nicht. Ich werde ignoriert. Komme erst gar nicht dazu, zu bestellen. Ich nehme ich mir eine Karte, gehe an die Kasse, zeige auf eins der Essen und warte. Aufgeregtes Gekicher, Rumgewusel, eine Frau, die Englisch kann, wird zu mir geschickt. Sie nimmt mir die Karte ab und sagt: „No food, you go, I’m sorry.“ Der Laden ist voll, überall dampfende Schalen mit Reis, Gemüse, Fleisch, Ei. Doch ich muss gehen und sterbe fast vor Hunger. Ich kann nicht mehr, draußen setze ich mich auf den Bordstein und kämpfe mit den Tränen. An diesem Abend werden Kaohsiung und ich keine Freunde mehr. In einem Laden für Fast Food Hähnchen bekomme ich zwei trockene Schenkel in fetter Panade. Dabei esse ich eigentlich gar kein Hähnchen.
Am nächsten Tag versuche ich etwas mehr über die Mentalität im Süden herauszufinden und zu analysieren, was da genau passiert ist, als ich kein Essen bekam. Während eines Interviews mit einem Professor erzähle ich beiläufig von meiner Erfahrung. Er fragt nur: „Wie spät war es, als du bestellen wolltest?“ „Kurz nach 20 Uhr!“ Ich habe direkt danach auf mein Handy geschaut, deshalb weiß ich das. „Aha, das wird das Problem gewesen sein!“ „Häh?“ In dieser Gegend gibt es sehr eingeschränkte Zeitfenster für die Mahlzeiten, erklärt er mir. Zu Mittag gegessen wird um 12 Uhr und Abendessen gibt es um 19 Uhr. Wenn der Laden bis 20 Uhr Essen ausgibt, dann ist das auch so gemeint. Um 20:05 Uhr gibt es dann kein Essen mehr, auch wenn der Laden voll ist. Mir geht es deutlich besser mit dieser Erklärung. Es lag also nicht an meinem „Anderssein“, dass ich nicht bedient wurde. Ich war einfach minimal zu spät dran. Ähnliche Erlebnisse habe ich in den kommenden Wochen häufiger (ich bekomme keinen Platz im fast leeren Restaurant, weil die vier Plätze, die für Einzelpersonen vorgesehen sind, bereits besetzt sind, zum Beispiel). Aber ich weiß jetzt eben, dass die Taiwaner, vor allem im Süden, da nicht so flexibel sind. Damit kann ich mich arrangieren.