Von Maracaibo aus fährt man über die Brücke, die die beiden Küsten des Sees verbindet und folgt einer Strasse, die nur eine Richtung kennt: geradeaus. Immer weiter ins Landesinnere, rechts und links ist alles grün und wild bewuchert, ab und zu geben die Bäume und Sträucher den Blick auf eine Hütte frei. Das ist die Ostküste des Maracaibo-Sees, Costa Oriental del Lago, auch CoL genannt. Hier wurden 1914 die ersten Ölquellen entdeckt, seit fast 100 Jahren sprudelt es nun aus der Erde.
In Lagunillas, etwa 50 Kilometer vom Ufer des Sees entfernt, hat sich eine ganze Zulieferindustrie über die Jahrzehnte entwickelt, sind viele komplett von der Ölförderung abhängig. Einige Firmen hatten zum Beispiel kleine Boote und grössere Schiffe, mit denen sie auf die Plattformen fuhren, wenn Ersatzteile benötigt wurden, Menschen hin und her transportiert werden mussten oder es einen Notfall gab.
Luis Martinez hatte auch solche Boote. Bis letztes Jahr, als sein Unternehmen und 77 andere Zulieferfirmen verstaatlicht wurden. Jetzt spricht er für die Privatunternehmer und erzählt, wie es ablief: „Ein Wagen voll mit 10 bewaffneten Polizisten der Guardia Nacional stand abends auf einmal auf dem Firmengelände. Keiner von uns war bewaffnet, keiner wehrte sich. Wir durften nur unsere eigenen Büros verlassen, nichts mitnehmen, niemandem Bescheid sagen. Von jetzt auf gleich war alles vorbei.“
Er erzählt das, als habe er es seitdem schon oft erzählt. Abgeklärt, frustriert, vollkommen ernüchtert. Nicht einer von ihnen hat bisher die Entschädigung erhalten, die ihnen für ihren Verlust zusteht. Es gibt keine offizielle Stelle, an die sie sich wenden können. Einer, der vor der Verstaatlichung versuchte, Inventur zu machen und sie sich von einem Anwalt oder Notar beglaubigen zu lassen, fand niemanden, der ihm helfen wollte. Alle hatten Angst um ihre eigenen Jobs.
Martinez nennt die Verstaatlichungen nicht so, er spricht von Konfeszierungen, von Raub. Die Regierung auf der anderen Seite rechtfertigt ihr Vorgehen damit, die wichtigsten Unternehmen vom Staat aus besser organisieren zu können, um ihre Gewinne so allen Venezolanern zugänglich zu machen. Denn interessanterweise gibt es in der Bevölkerung eine starke Mentalität, dass jedem sein Teil des Reichtums des Landes zusteht. Viele Wähler von Chavez sind davon überzeugt, dass die Vorgängerregierungen sie nur nicht an diesem Reichtum teilhaben lassen wollten.
Zwar leidet die venezolanische Wirtschaft unter der Wirtschaftspolitik der Regierung, ist das Land schlechter durch die Krise gekommen, als die anderen südamerikanischen Staaten, ist die Inflation so hoch, dass das Leben immer teurer wird. Und doch haben viele das Gefühl, dass zum ersten Mal auch etwas für sie getan wird.