Ich traf sie auf einem heiligen Felsen in Mihintale, 14 km östlich der Ruinenstadt Anuradhapura. Eine Gruppe von Buddhisten. Das singhalesische Paar und die zwei Südkoreaner hatten sich vor 20 Jahren beim Studium in Oxford kennenglernt, jetzt in Sri Lanka, das erste Wiedersehen. Ich war gerade dabei umzukehren und das letzte Stück des Felsens nicht zu besteigen. Meine Höhenangst war einfach zu groß, die Geländer wirkten zu provisorisch und der Untergrund barfuß (wir befanden uns auf Tempel-Boden und mussten somit die Schuhe unten lassen) war viel zu rutschig.
„Kommt nicht in Frage“, sagte der sri lankische Buddhist, als er mich ängstlich am Fuße des steilsten Stücks stehen sah. Wir kamen ins Gespräch, die vier halfen mir tatsächlich meine Höhenangst zu überwinden und das letzte Stück gemeinsam den Felsen zu erklimmen. Ich weiß, es hört sich nach sehr viel Klischee an. Ein Buddhist hilft der Europäerin ihre Höhenangst mit klugen Sprüchen über Vertrauen und Zuversicht und dem Glauben an sich selbst zu überwinden. Aber ich sage Euch, genau so war es.
Wir verbrachten den halben Tag zusammen auf der Tempelanlage. Ich hatte somit nicht nur den besten Tourguide an meiner Seite, sondern erfuhr auch allerlei Spannendes über die aktuelle Situation, was nach dem jahrzehntelangen Bürgerkrieg schon gut funktionierte und wo noch Herausforderungen lagen. Das singhalesische Paar bot mir an, am nächsten Tag mit ihnen im Auto zurück nach Kandy zu fahren, wo ich sowieso mit dem Bus hingefahren wäre. Ich nahm das Angebot dankend an.
Am abgemachten Treffpunkt am nächsten Tag eröffneten mir die beiden, dass uns auf der Rückfahrt noch ein Mönch begleiten würde. Jetzt freute ich mich noch mehr auf unseren Road Trip. Wir holten ihn an einem Tempel ab. Er war noch sehr jung, trug die typisch grell orangene Mönchs-Robe und Raspel kurzes Haar. Eigentlich zu lang für einen Mönch, dachte ich mir, da Mönche sonst immer mit kahl geschorenem Kopf herumliefen, um sich dadurch immer wieder selbst daran zu erinnern, dass sie einen besonderen Draht zu Buddha hatten.
Wir fuhren los. Gefühlt jede halbe Stunde hielten wir an, um Obst oder gekochte Maiskolben zu kaufen. Wer sollte das nur alles essen?
Plötzlich erklärte mir das singhalesische Paar, dass wir jetzt kurz bei der Familie des Mönchs halten würden, weil es eben auf dem Weg liege.
Wir fuhren auf ein verwildertes Grundstück. Vor dem Haus stand das gesamte Empfangskomitee. Der Mönch stieg aus und die ganze Familie ging vor ihm auf die Knie. Auch seine Oma, die sich zu diesem besonderen Anlass extra ihren mit goldenen Bordüren verzierten Sari angezogen hatte, verneigte sich bis zum Boden vor ihrem Enkel mit vor der Brust gefalteten Händen. Fast so, als wolle sie seine Füße küssen. Ich ließ mir erklären, dass es dabei weniger um die Verehrung des Mönchs als um die Verehrung des Gewands ging. Aha.
Der Mönch kam zurück zu unserem Van und sagte, dass seine Familie uns zum Tee einladen wolle. Wir verließen den Van und stellten unsere Schuhe vor der Veranda ab. Mit Socken betrat ich das Haus des Mönchs. Die beiden Buddhisten gingen vor, ich tat einfach immer genau das, was sie taten, um ja keinen Fauxpas zu begehen. Tiefe Verneigung vor der Oma. Ich murmelte „Ayubowan“, was so viel wie „Guten Tag“ auf Singhalesisch heißt. Dann setzten wir uns auf ein vergilbtes, senfgelb-braunes Sofa. Die zierliche Großmutter brachte gesüßten Tee und vier verschiedene Platten mit Süßigkeiten. Frittierte Kalorienbomben, die farblich perfekt zur Couchgarnitur passten.
Der Mönch durfte sich nicht zu uns setzten, für ihn hatte die Familie einen separaten Tisch hergerichtet und eine Couch mit weißen Laken abgedeckt. Der Mönch nahm sich eine Tasse Tee und ging rüber zu seinem Platz. So saß er da, etwas verloren auf den strahlend weißen Laken und winkte zu uns rüber. Wäre es nicht eine tief in der Kultur verankerte Tradition, hätte diese Bild etwas Urkomisches gehabt.
Natürlich musste ich alle Herzinfarkt-fördernden Süßigkeiten probieren, Widerrede zwecklos. Ich aß mich durch die Häppchen mit den Namen Dodol, Naran Keum, Atirasse und Munkeum. Sie schmeckten wie sie klangen.
Ich nahm einen ordentlichen Schluck des völlig überzuckerten Tees. Mir wurde klar, dass ich hier aufs Klo gehen musste, bevor wir weiterfuhren. Die Buddhis schienen mir mein Bedürfnis anzusehen und begleiteten mich ums herum Haus zum Plumpsklo. Extra für mich hatte die Familie den an der Seite des Klos angebrachten Wasserhahn aufgedreht und einen Eimer darunter gestellt. Ich war total überfordert, wusste gar nicht, was ich machen sollte. Alle Augen waren auf mich gerichtet. Hatte was von Pinkeln in Public, aber auch das schaffte ich irgendwie.
Wir verabschiedeten uns. Der Mönch ging nochmal auf Verbeugungs-Tour. Die ganze Familie klebte an seinen Füßen. Ich hatte das Gefühl, dass es dem Mönch etwas unangenehm war. Verlegen schaute er sich um. Er nahm einen letzten Bissen einer roten Frucht. Dann spukte er die Kerne in das verwilderte Beet neben dem Haus. Er lachte uns an, wackelte mit Kopf, als ob er sagen wollte: „Los jetzt, steigt ein!“ Seine strahlend-weißen Zähne funkelten in der Sonne. Seine Zahnlücken waren mit purpur-roter Farbe der Frucht durchzogen. Weiter ging es. Nur noch drei Stunden bis Kandy.