Auf diesen Part der Recherche muss ich gestehen, freue ich mich schon sehr. Ich will dem Schönheitsverständnis, das das Frauenbild in Kasachstan so sehr prägt, näher auf den Grund gehen. Im Selbstversuch. Warum ist das wichtig? Ich beobachte in meinem Alltag in Almaty viele interessante Szenen. Insbesondere vom Fenster meines Wohnzimmers aus. Der Blick von dort richtet sich nämlich auf den Park neben der Oper. Wie ich feststellen muss, ein beliebtes Fotomotiv für junge Frauen, die sich gerne in Szene setzen. Ich vermute für diverse soziale Netzwerke. Fast jeden zweiten Tag finden private Fotoshootings in „meinem Garten“ statt. Mal hilft der Ehemann oder Freund, mal die beste Freundin für das perfekte Foto. Temperaturen egal. Mäntel und Wechselkleidung landen häufig auf einer der Parkbänke. Man schlüpft schnell in die Pumps und Kleidchen. Wechselt sogar die Outfits und Accessoires wie zum Beispiel einen großen schwarzen Hut oder ausgefallene Regenschirme. Auffällig ist, dass die Outfits der jungen Frauen immer sehr körperbetont und mit Ausschnitt sind und das Make-Up-Level eher hoch ist. Posen im Wintermantel, so jahreszeitentypisch, kommt gar nicht vor. Das perfekte Foto zeigt, was Frau hat: lange Beine, ein Dekolleté und lange offene Haare.
Auch in meinem Lieblingscafé im Zentrum von Almaty wird oft am perfekten Foto gefeilt. Ich beobachte Frauen, die Lippenstiftspuren von der Kaffeetasse fürs Foto wegwischen, nochmal eben das Gesicht abpudern oder die Augenbrauen nachziehen, bevor die beste Freundin „Klick“ macht. Zu finden sind die Ergebnisse zumeist bei Instagram. Unter dem Hashtag #Almaty findet man nicht nur Natur- und Schneefotos der touristischen Hotspots der Stadt, sondern eben diese inszenierten Bilder der jungen Frauen und ganz viel Produktwerbung für Beautyprodukte und Schönheitssalons. Social Media hat auch in Kasachstan einen großen Einfluss auf das Leben der jungen Frauen. Und selbst diejenigen, die in meinen Interviews von Karriere und starken Frauenrollen sprachen, inszenieren sich auf ihren Social-Profilen eher als niedliche, sexy Mädchen.
Und diese werden hergerichtet in den vielen Beautystudios im Land. Ich habe die Qual der Wahl, denn gefühlt, verbirgt sich hinter jeder dritten Tür im Zentrum von Almaty ein Schönheitssalon. Die Namen richten sich oft nach der vermeintlichen Besitzerin. „Salon Katja“, „Salon Irina“ oder „Salon Dina“ – Wer klingt wohl vertrauenswürdiger?
Ich entscheide mich für einen Laden mit großen Fensterfronten, auf denen kleine Schneeflocken aufgeklebt sind, und der simplen Überschrift „Nagel“ über der Eingangstür, denn mehr als eine Maniküre möchte ich für den ersten Besuch nicht austesten und das klingt doch nach Expertise. Die Besitzerin lehnt an der Eingangstür und zieht an einer Zigarette. Trotz Minusgraden steht sie dort im T-Shirt. Sie nickt mir kurz zu und öffnet die Tür. Ich werde reinbugsiert zu einer Art Empfangstresen. Aus dem Raum zur rechten Seite erklingen Fön-Geräusche und ich kann einen Blick auf zwei Frauen unter einer Trockenhaube erhaschen. Es scheint so, als wäre jeder Platz besetzt. Freitag nachmittag, kurz vor dem Wochenende nochmal aufhübschen, ist wohl der Plan von vielen Almatinerinnen. Ich frage mich, ob überhaupt ein Termin frei ist und versuche der jungen Frau am Empfangstresen zu erklären, dass ich eine Maniküre möchte. Sie trägt ein dunkelblaues, modisches Kopftuch mit goldenen Ornamenten und ihre Augen sind mit blauem Lidschatten geschminkt. Auch die Augenbrauen sind mit einem Stift schwungvoll nachgezogen, beobachte ich fasziniert. Auf jeden Fall repräsentiert sie das Beauty-Konzept des Ladens hervorragend im Gegensatz zur „an der Fluppe ziehenden“-Chefin.
Ich hatte ja keine Ahnung wie viele Arten von Maniküre es wohl gibt. Meine Russischkenntnisse reichen vorne und hinten nicht aus, aber die junge Frau mit dem Kopftuch ist clever und holt Zeitschriften und Nagelprototypen mit hinzu, um mir das Angebot zu erklären. Nein, ich möchte keine Gelnägel und auch keine „Fantasy-Nails“ mit Sternchen und bunten Verzierungen. Um sie nicht komplett zu enttäuschen, wähle ich eine Maniküre mit Farblack und als Extra eine vorheriger Nagel-Behandlung, was auch immer das bedeuten wird.
Zwei Frauen, die auf einer alten, gelblichen Couch neben dem Empfangstresen sitzen und vermutlich auf ihren Termin warten, blicken schon von ihren Modezeitschriften auf und kichern. Die junge Frau nimmt mir meinen Mantel ab und schickt mich zwei Räume weiter. Ganz am Ende des letzten Raumes deutet sie auf einen Holzdrehstuhl, der mich ein wenig an Grundschulzeiten in Deutschland Ende der 80er erinnert. Hier darf ich also Platz nehmen. Sie sagt, dass ich kurz warten müsse und verschwindet wieder in Richtung Tresen. An der Wand hängt ein vergilbte Poster mit einer blonden Frau mit toupierten Haaren. Direkt über einer goldenen abgesessenen Couch. Der Rest der Möbel im Raum wirkt provisorisch zusammengestellt. Plastik- und Holzstühle gemischt. Mir gegenüber ein alter Schreibtisch mit vielen kleinen Döschen, Flaschen, Pinseln und Nagelwerkzeug. Außer mir sind noch zwei weitere Kundinnen im Raum. Sie unterhalten sich mit einer Mitarbeiterin über eine russische Fernsehserie. So etwas ähnliches wie die Bachelorette. Sie regen sich darüber auf, welche Kandidaten schon nach Hause geschickt wurden. Die Themen scheinen also nicht anders als in deutschen Friseurstuben.
Dann bin ich an der Reihe. Meine Kosmetikerin heißt Ira. Sie trägt ihre langen, blonden Haare zu einem seitlichen Zopf und ein rotes bauchfreies T-Shirt. Besonders fallen mir aber ihre langen weißen Fingernägel auf und ich frage mich, wie die die ganze Arbeit mit den Farben und Werkzeugen überstehen. Ich muss meine Hände erstmal in ein Wasserbad tauchen bevor Ira einen Finger nach dem anderen energisch bearbeitet und Nagelhaut und Co entfernt. Sie kommuniziert mit mir eher mit Gesten und Druck als mit Worten. Ich versuche trotzdem mit ihr ins Gespräch zu kommen. Ich will von ihr wissen, was die meisten Kundinnen hier machen lassen. „Maniküre. Pediküre. Das ist Pflicht“, sagt sie bestimmt. „Trend sind Extra-Wimpern und Augenbrauen“, fügt Ira hinzu und deutet auf ein kleines Werbeschild auf dem Tisch. Dort werden fünfzehn (!!!) verschiedene Arten von Wimpern angeboten. Preise zwischen 5 und 50 Euro.
Für mich steht die Entscheidung zur Nagellackfarbe an. Mir schwebt ein klassisches Rot vor, aber Ira justiert nochmal nach mit der Farbpalette, bis wir das passende Rot haben. Während meine diversen Schichten an Lack trocknen müssen, beißt Ira in einen alten, angebissenen Apfel und trinkt einen Schluck O-Saft aus einem Tetrapak, das hinter ihr auf einer Kommode steht. „Noch nichts gegessen“, sagt sie entschuldigend, „Freitags ist stressig.“ Wieviel Kundinnen hier im Schnitt ausgeben, will ich von ihr wissen. „Keine Ahnung. Ich mache nicht die Kasse. Aber vermutlich investieren sie das meiste ihres Gehalts in Kleidung und Schönheit.“ „Warum ist das so wichtig?“, schiebe ich eine Frage hinterher. „Eine Frau muss schön sein. Sonst gibt es keine Heirat oder der Mann ist unglücklich. Und es gehört sich auch nicht, nicht ordentlich auf die Straße zu gehen“, stellt Ira fest. Die Motive sind also klar. In dieser Gesellschaft besteht auf jeden Fall ein großer Druck auf junge Frauen diesem Schönheitsideal zu entsprechen. Und was ist mit den Männern? „Hab ich hier noch keinen gesehen“, lacht Ira.