Einige Simbabwer hatten mir dringend davon abgeraten, den Zug zu nehmen: er sei unbequem, langsam, unzuverlässig, und überhaupt, die Eisenbahn sei in einem desolaten Zustand. Woher sie das wüssten? Naja, das weiß doch jeder. Selbst waren alle, mit denen ich darüber gesprochen hatte, jedoch noch nicht mit den National Railways of Zimbabwe gefahren, jedenfalls nicht in jüngerer Vergangenheit.
Ich bin froh, dass ich mich nicht von ihnen habe abschrecken lassen. Allmählich konkretisierte sich der Plan, meinen letzten Ortswechsel per Nachtzug vorzunehmen, von Bulawayo nach Victoria Falls. Die gut 400 Kilometer lange Strecke ist Teil der Eisenbahntrasse, die der etwas größenwahnsinnige britische Kolonialist Cecil Rhodes sich einst als „Cape to Cairo Railway“ erträumte; als durchgehende Bahnstrecke längs durch den afrikanischen Kontinent, die fast durchgängig durch britische Kolonien verlaufen sollte.
Sein Eisenbahnprojekt wurde zwar nie ganz vollendet, aber trotzdem reist man selbst heute noch auf Rhodes’ Spuren: Viele Waggons, und große Teile der Infrastruktur sowieso, stammen noch aus Kolonialzeiten. Mein Waggon wurde wohl in den 1950ern gebaut, in die Spiegel in meinem Schlafabteil ist mehrfach das Logo der Rhodesian Railways eingraviert, zwei ineinander verschränkte Rs. Ich erkenne einige Details wieder, über die ich im Blog eines Eisenbahn-Enthusiasten gelesen hatte: Das ausklappbare Waschbecken, das hochschiebbare Metallgitter. Nur funktionieren beide nicht mehr – die Ausstattung aus Kolonialzeiten ist sichtbar in die Jahre gekommen. Aber wie so viele staatliche Institutionen leben auch die National Railways of Zimbabwe immer noch von der Substanz, die im Vorgängerstaat Rhodesien angeschafft wurde.
Einige Stunden vor meiner Abfahrt war ich im Eisenbahnmuseum gewesen, in dem direkt hinter dem Bahnhof von Bulawayo die alten Dampflokomotiven ausgestellt werden, die zuerst auf diesen Strecken unterwegs waren. Auch ein paar ausrangierte Diesellokomotiven sind zu sehen, und einige Waggons der RR. Die Übergänge zwischen Museumswagen und im Einsatz befindlichen Zügen sind jedoch durchaus fließend, so scheint es mir jedenfalls.
Nach Victoria Falls fuhr am Abend meiner Reise ein verkürzter Zug, weil einige Wagen der Economy Class für einen Sonderzug nach Harare benötigt wurden – gesponsert von der Regierung, um Bürger zu einer Demonstration in die Hauptstadt zu karren. Der Freitag war sogar zum „National Holiday“ erklärt worden, damit möglichst viele für eine Aufhebung der europäischen und US-amerikanischen Sanktionen auf die Straße gehen. Die Regierung vertritt die Ansicht, die Sanktionen seien schuld an der Misere des Landes. Auf der Straße, noch dazu im fernen Bulawayo, glaubt das längst nicht jeder, und so nahm der Sonderzug nur mäßig gefüllt seine Reise auf. Letztendlich zog die staatlich organisierte Demo laut Medienberichten nur „Tausende“ Menschen an. Aber die Waggons fehlten an anderer Stelle; die Economy Class nach Victoria Falls war an diesem Abend komplett überfüllt.
Bei meinem Komfort fühle ich mich schon ein bisschen schlecht für die Menschen, die sich dort drängen: Ich habe mir für den doppelten Fahrpreis eine private 2er-Schlafkabine gebucht, in der ich mein Gepäck und mich sicher verschließen konnte. Vor wenigen Monaten hatte die Eisenbahngesellschaft die Fahrpreise verdoppelt und somit wieder etwas an die rasante Inflation angepasst. Aber weil die provisorische Währung RTGS immer weiter ins Bodenlose stürzt, habe ich trotzdem umgerechnet nur rund 6 USD bezahlt, 2x 60 RTGS.
Auf der mit Leder bezogenen Pritsche liege ich recht bequem, wobei der Zug jedoch bei Tempo 60 so stark schaukelt wie ein Flugzeug bei Turbulenzen. Allerdings fährt die gelbe Diesellok nur selten diese Maximalgeschwindigkeit aus, und spätestens alle halbe Stunde kommen wir an einem Bahnübergang komplett zum Stehen. Der Lokführer wartet dann 1-2 Minuten, stößt ein langes, lautes Pfeifsignal aus und setzt dann die Fahrt fort. Im südlichen Afrika sind die Gleise in der im Vergleich zu europäischen Normalspurbreite schmäleren Kapspur verlegt, ich vermute, davon kommt ein Teil des Schaukelns. (Der Name Kapspur, so viel Nerdwissen muss auch mal sein, hat übrigens nichts mit dem Kap als solchem zu tun, sondern kommt von den Initialen des Norwegers Carl Abraham Pihl, der die 42 Zoll breite Spur entwickelte.) Die ganze Nacht über ist es so heiß, dass ich mich nur mit meinem Inlett zudecke, den Schlafsack benutze ich als Kopfkissen. Über mir, an der Unterseite der oberen Pritsche, sind Tierfotos angebracht, vermutlich aus dem Hwange-Nationalpark, durch den die Reise führt.
Hwange ist auch der Name der Station, an der frühmorgens ein paar Güterwaggons ausgekoppelt werden, von hier setzen wir die Reise als reiner Personenzug fort. Inzwischen ist die Sonne aufgegangen und beleuchtet das ausgemergelte Land. Zum Ende der Trockenzeit sind die meisten Pflanzen braun und verdorrt, die Flussbetten trocken. Hier, im nördlichen Abschnitt der Strecke, war damals, Anfang des 20. Jahrhunderts, der Gleisbau besonders mühsam, es war heiß, viele Brücken mussten gebaut werden, Arbeiter wurden von wilden Tieren angegriffen. An diesem Morgen sehe ich einige Paviane, Zebras, ein Dikdik und eine badende Flusspferdfamilie. Verständlich, bei der Hitze.
Nach 17 Stunden Fahrt komme ich endlich in Victoria Falls an. Zugegebenermaßen ziemlich ausgelaugt von der Reise, aber durchaus zufrieden. Der Zug mag zwar länger brauchen als ein Bus, ist aber die wesentlich spannendere Art zu reisen.