Der Tourismus wäre eine Chance. Doch sie bleibt ungenutzt.

Das Zementwerk mitten in einem der schönsten Nationalparks des Landes, Mochima.

Auf der Isla de la Plata ist der Strand so wie man ihn sich vorstellt: weisser Sand, dazu ein paar Kokospalmen, das knallblaue Meer schwappt in kleinen Wellen vor sich hin. Doch wer den Kopf hebt, schaut auf ein grosses, ziemlich graues, ziemlich hässliches Zementwerk. Mitten in einem der schönsten Nationalparks des Landes, in Mochima.

Venezuela ist nicht nur an Öl ein sehr reiches Land. Es gibt jede Menge andere Bodenschätze, das Klima liesse zweimal im Jahr eine Ernte zu – die Landwirtschaft könnte einer der stärksten Industriezweige sein. Und dank der unglaublich abwechslungsreichen Natur wäre auch der Tourismus ein Standbein, das den grossen Druck auf die Ölindustrie mindern und die Wirtschaft diversifizieren könnte.

Doch eigentlich ist es nur die Isla Margarita, auf der die Tourismusindustrie funktioniert. Dort gibt es die Infrastruktur, dort sind die grossen Reiseveranstalter präsent, dort sitzen grossen Hotels. Doch auch auf dieser Insel vor der venezolanischen Küste hat die Kriminalität zugenommen.

Und das ist das grösste Hemmnis für die Touristen im ganzen Land: Viele wissen um die schwierige Sicherheitslage und überlegen es sich schon vor ihrem Urlaub anders. Andere sind hier und fühlen sich nicht wohl, komme deswegen nicht mehr wieder oder brechen ihren Aufenthalt ab. In allen Landesteilen sind die Betreiber von Hostels und Posadas betroffen, alle sprechen von stetig abnehmenden Besucherzahlen in den letzten Jahren.

Gerd aus München arbeitet seit 17 Jahren in Venezuela, er hat eine Posada in Ciudad Bolivar, im Südosten des Landes, dem Ausgangspunkt für alle Touren in den Nationalpark Canaima, zum höchsten Wasserfall der Erde, dem Salto Angel. Früher hatte er nur eine einfach Holztür, die tagsüber offen stand. Heute hat er seinen Eingang mit zwei Eisengittertüren verriegelt, die er nur noch öffnet, wenn ein Gast klingelt. Ab Einbruch der Dunkelheit rät er jedem davon ab, das Haus noch zu verlassen. Und dunkel wird es hier schon um sechs Uhr abends.

Nur an wenigen Stellen des Landes steht den Touristen nicht völliges Desinteresse gegenüber: Im Nationalpark Canaima werden dreitägige Touren zum Wasserfall organisiert, im Orinoco-Delta kann man im Dschungel wohnen, an der Küste am Playa Medina oder Pui Puy gibt es schöne, kleine Posadas, in denen man wohnen kann.

Doch das Zementwerk im Nationalpark Mochima an der Ostküste symbolisiert eine Einstellung des Landes gegenüber diesem potenziell lukrativen Industriezweig, die ihresgleichen sucht. An den schönsten Stränden des Landes liegt noch Müll, die Strassen dorthin sind mit Schlaglöchern übersät, der Weg dorthin deswegen so beschwerlich, dass ihn viele gar nicht erst auf sich nehmen. Das führt zwar dazu, dass die Touristen, die es bis dahin schaffen, fast allein sind, aber es deswegen auch an allem fehlt.

Zum Beispiel an Essen. An Obst gibt es nur die paar Bananen, die an den Bäumen direkt am Strand wachsen. Der Gemüsewagen vom Markt kommt nur einmal in der Woche an und auch das nur, wenn man Glück hat. Sonst gibt es vier Tage hintereinander nur Fisch und Reis. Dazu Kaffee, auch Saft ist im Supermarkt im Dorf nicht zu bekommen. Bier ist die Alternative. Der nächste Markt ist eine dreiviertelstunde zu Fuss entfernt, ein Auto haben hier die wenigsten.

Und so bleiben die Orte, die so viel zu bieten hätten, für sich. Die bewaldeten Berge, in denen man tagelange Wandertouren machen könnte, haben keine Wege. Die Autobahnen werden manchmal aus unerklärlichen Gründen in eine Richtung alle gleichzeitig gesperrt, so dass man über Landstrassen fährt und für eine Strecke von 300 Kilometern schon mal 9 Stunden mit dem Auto brauchen kann.

Die Auswanderer aus Europa, die sich hier von 10 bis 20 Jahren niedergelassen haben, um vom Tourismus zu leben, geben langsam auf. Die Venezolaner selbst kämpfen auch. Allein um die Steuer für alle Übernachtungen und das Hostel zu zahlen, brauchen sie manchmal einen ganzen Tag, um von Amt zu Amt und dann zur Bank zu laufen und dort stundenlang in der Schlange zu stehen, nur um dann festzustellen, dass so viel Bargeld, wie sie brauchen, gerade nicht vorrätig ist und sie an einem anderen Tag noch mal wiederkommen müssen.