Wenn der Journalist zum Interviewten wird

Es fällt ihr sichtbar schwer, diese große Frau mit den blauen Augen anzusprechen. „Excuse me, can I ask you something?“ Nur ganz leise und zögernd kommt der jungen Malaysierin die Frage über die Lippen. Fremde ansprechen und dann auch noch auf Englisch. Das kostet sie Überwindung.

Seitdem ich als Journalistin arbeite, war ich gefühlte 1000 Mal selbst unterwegs, um Leute auf der Straße nach ihrer Meinung zu fragen. Ich weiß, wie nervig es sein kann, niemanden zu finden, der mit einem reden will – und wie viel Mut die erste Straßenumfrage kostet. Trotzdem gehe ich, wenn in Deutschland Leute mit Mikrofon und Kamera bewaffnet auf mich zukommen, normalerweise immer weiter. Nicht so in Kuala Lumpur.

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Nadiah ist mit ihrer Schulkollegin Nabilah im Hauptbahnhof von Kuala Lumpur unterwegs. „We want to ask you, do you know what Ramadan is?“ Das Englischsprechen fällt den beiden schwer. Sie sollen für ihren Unterricht eine Umfrage machen und dabei vor allem Fremde ansprechen. Es geht um das Thema Ramadan. Ob ich den Namen Ramadan schon mal gehört hätte, ob ich selbst schon einmal gefastet habe und ob ich einen Koran geschenkt haben möchte – diese Fragen soll ich auf einem Zettel beantworten. Andere Antworten nehmen sie mit dem Handy auf. Sie wollen wissen, wo ich herkomme, wie lange ich bleibe und ob mir das Essen in Malaysia schmeckt. Als ich ihnen erzähle, dass die Menschen in Malaysia alle sehr nett zu mir sind und das Essen gut ist, geht ein Strahlen über ihre Gesichter. Dann kommt die wichtigste Frage: „Do you think that Muslims are terrorists?“ Ich muss an den Anschlag in Tunesien denken, an Frankreich und an den IS. „No, I don’t think so.” Ich sehe, wie ihnen die Anspannung vom Gesicht fällt. Ihre Schultern entspannen sich, sie fangen an zu lächeln. „But there are some terrorists carrying out terrorist attacks in the name of Islam“, sie nicken mit dem Kopf, versuchen, einen ernsten Blick aufzusetzen. Aber eigentlich sind die beiden froh, dass ich keine Angst vor ihnen habe. Als Dankeschön überreichen sie mir eine kleine Tüte mit Datteln, passend zum Ramadan. „You can eat them, in the evening.“

Nadiah, Carolin und Nabilah

Nadiah, Carolin und Nabilah

Am späten Nachmittag bekomme ich eine kurze E-Mail. Kurze Zeit später meldet sich mein WhatsApp: „Hello sister 😉 I’m Nadiah. Nice to meet you at KL central. I hope when you already read this email, you reply okay.” Ich nehme mir eine Dattel aus der kleinen Box und schmunzel. Na dann: Guten Appetit!

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