Es ist schon spät abends, als ich in der Jugendherberge Loki im Zentrum von La Paz einchecke. Ein bequemes Bett in Übergröße mit orthopädischer Matratze und zwei Kissen verspricht die Webseite. Außerdem eine angesagte Bar, die ihresgleichen in La Paz sucht und deren internationales Personal garantiert: Get the best out of La Paz and Bolivia! Na dann…
Wenig später stehe ich in eben dieser angesagten Bar, die optisch definitiv hält, was die Webseite verspricht. Der riesige Raum ist mindestens sechs Meter hoch, prunkvoll vergoldete Spiegel und schwere, rote Samtvorhänge zieren die Wände, an der Decke sind noch die Überreste alter Malereien sichtbar. In diesem edlen Ambiente des historischen Gebäudes tummeln sich Rucksackreisende aus der ganzen Welt. „Ich bin schon ganze sechs Nächte hier“, erzählt mir Julian aus Südfrankreich. „Eigentlich wollte ich nur gar nicht so lange bleiben, aber hier trifft man Leute aus der ganzen Welt, das ist super. Der da drüben zum Beispiel kommt aus Kanada und ist mit seinem Vater zwei Jahre lang auf Reisen. Die sind mit dem Auto von Kanada bis nach Bolivien gefahren. Und die Blonde da drüben ist aus München. Die ist gerade mal 19 Jahre alt und acht Monate ganz alleine unterwegs. Das würde ich mich ja nicht trauen“, plaudert der 24-jährige LKW-Fahrer munter drauf los. Ein Glas Rotwein später kenne ich schon mindestens ein Drittel der Gäste mit Namen und Reisegeschichte.
Ein paar Fotos in der Inkastätte Machu Picchu in Peru, einmal die gefährliche Todesstraße in der Nähe von La Paz mit dem Mountainbike runter düsen (zum Beweis gibt es ein T-Shirt mit dem Aufdruck „I survived the death road!“), einmal in Rio am Strand liegen und vielleicht noch kurzer Zwischenstopp in Argentinien. Die Reiserouten ähneln sich oft und auch die Motivation der jungen Backpacker: Abenteuer und Party. Und La Paz? Na ja, die Stadt findet hier drinnen keiner wirklich spannend. Zu laut, zu dreckig, die Leute zu unfreundlich und überhaupt…, höre ich nicht nur einmal. Aber es gibt ja das Loki, das Wild Rover und andere angesagte Jugendherbergen. Und wer das Nachtleben ordentlich genießt, der will morgens vor allem eins: ausschlafen.
Was bei vielen Backpackern auch nicht fehlen darf: ein Besuch der Kokainbar Route 36. „Die Taxifahrer in der Innenstadt wissen alle, wo der Laden ist, auch wenn er alle paar Monate seinen Standort wechseln muss“, verspricht ein Backpacker in seinem Reiseblog. „Und vor dem Loki und Wild Rover stehen die Taxen abends schon Schlange und warten auf die Touristen“, schreibt ein anderer. Auch Nico (28) wollte sich diesen „ganz besonderen Kick“ nicht entgehen lassen. In einem Taxi wollte er in die Kokainbar fahren, wo seine Freunde bereits auf ihn warteten. Ein blutunterlaufenes Auge und zahllose Schrammen an Armen und Gesicht erzählen stumm davon, was dann passiert ist. Nico spricht nur zögernd über den Abend vor drei Tagen. Der Taxifahrer habe ihn in eine dunkle Seitenstraße gefahren, dann seien zwei andere Typen ins Auto gestiegen, haben ihn verprügelt und ausgeraubt. Der Schock ist ihm noch deutlich anzumerken. Sein Bild von La Paz hat das Ereignis auch nicht wirklich verbessert. Und seine Freunde? „Die hatten einen chilligen Abend, auch wenn das Koks anscheinend nicht besonders gut war. Auf der Heimfahrt haben sie sich dann in die Haare bekommen und sich fast geprügelt“, erzählt der Franzose. Sein Bedarf an solchen Abenteuern sei jedenfalls erst mal gedeckt.
Noch vor einigen Jahren suchten noch viele junge Touristen in einer Tour im Gefängnis im Stadtteil San Pedro das große Abenteuer. Häftlinge führten die Reisenden durch die Gänge zwischen den engen Zellen. Hier gab es anscheinend auch das reinste Kokain in ganz Bolivien zu kaufen. Heute warnen Lonely Planet und Co. ausdrücklich vor derartigen Touren, die inzwischen auch offiziell verboten sind – sehr zum Ärger mancher Reisender. Dafür gibt es inzwischen die Route 36, Eddys Place und andere Untergrund-Kokainbars, in denen das weiße Pulver an Touristen aus aller Welt zu Schleuderpreisen verkauft wird.
Aber zurück in die Loki Bar… Im Hintergrund zieht eine junge Engländerin im weißen Häkeltop gerade drei Jungs in einer Partie Billard ab, auf dem Tresen tanzen und taumeln Barkeeper und Gäste zu Lady Gaga und hinter mir überredet ein Kerl mit Vollbart gerade sein weibliches Gegenüber, doch ihren BH für die Bar-Ralley zu opfern, schließlich gäbe es da doch nicht nur kostenlosen Schnaps, sondern auch ein tolles T-Shirt zu gewinnen. Während ich mich auf mein Bett mit orthopädischer Matratze freue, bereiten sich die ersten Kleingruppen aufs Weggehen vor – schließlich ist noch lange nicht Schluss mit der Party. „Willst du mitkommen? Wir gehen noch in eine angesagte Bar“, fragt mich ein Typ mit Afro-Perrücke und zwinkert mir verschwörerisch zu. Dankend lehne ich ab. Mein Pensum an diesem „besonderen“ La Paz ist schon nach drei Stunden Loki Bar mehr als gedeckt. Während ein Kerl im Hühnerkostüm einem Mädel im knappen Minirock hinterherjagt und der Barkeeper zu den nächsten „free shots“ aufruft, ist meine nächste Mission eindeutig: schlafen. Für mich wartet das Beste von La Paz da draußen, morgen früh, mit klarem Kopf.