Umoja, die Zweite – Bildung ist der Schlüssel

Das Dorf-Komitee von Umoja will mich sprechen. Jane, Nagusi und Naralal, Rebeccas Mitstreiterinnen der ersten Stunde,  sind gleich nach dem Frühstück ins Camp gekommen, um die Bedingungen für meine Interviews und Recherchen zu verhandeln. Dass Rebecca die Geschichte von Umoja einfach so weiter gibt, sei nämlich nicht im Sinne der drei Frauen, erklärt sie mir etwas verlegen. Und auch für einen erneuten Besuch im Dorf werde eine Gegenleistung erwartet. Wir einigen uns auf zwei Geldspenden; sowohl für das spätere Interview, als auch für die weiteren Besuche im Dorf. (Darüber hinaus wird Rita in den kommenden Tagen übrigens mindestens 80 Euro in Perlenuntersetzer, Hochzeitsketten, Ketten für Unverheiratete,  Ketten für Verheiratete, Ketten für jeden Anlass und Ketten fürs Handgelenk investieren)

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Das Finanzielle glücklicherweise rasch geklärt, machen wir uns auf den Weg zu einer Baustelle auf dem Umoja-Grundstück, etwas abseits von den Hütten der Frauen. Mit der Unterstützung von Spendern aus Deutschland entsteht hier eine dorfeigene Grundschule. In wenigen Monaten schon sollen Jungen und Mädchen aus Umoja und Umgebung dort unterrichtet werden. Der Rohbau steht. Drei große Klassenräume für jeweils etwa 30 Schüler, zwei Büroräume für die Schulleitung, sogar an eine Art Lehrerzimmer wurde gedacht. Zurzeit warte man nur noch auf die nächste Rate aus Deutschland, erzählt Rebecca. Denn dann könne man bald eröffnen und Rebecca wäre ihren Zielen wieder ein Stück näher: „Bildung steht bei mir immer an erster Stelle. Das ist meine Mission. Wenn wir also erst mal die Grundschule fertig haben, dann will ich als nächstes eine High School. Und dann vielleicht irgendwann ein College.“ Sie lacht.  Das Recht auf Bildung für Mädchen und Frauen liegt ihr besonders am Herzen.

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Offiziell ist zumindest die achtjährige Grundschulausbildung in Kenia kostenfrei; ein entsprechendes Regierungsprogramm wurde 2003 ins Leben gerufen. Seitdem sind die Schülerzahlen erkennbar gestiegen. Etwa Dreiviertel der kenianischen Mädchen und Jungen besuchen laut UNICEF eine Grundschule. Die Zahl derer, die auf die High School gehen, beträgt dagegen nur etwa fünfzig Prozent; bei den Mädchen liegt sie sogar noch etwas darunter. Gerade in ländlichen Gegenden wie dem eher kargen Samburuland ist der Zugang zu Bildung oft schwer; besonders für Mädchen. Erst gestern hat Rosslyn erzählt, dass sie sich die High School nicht leisten kann; außerdem ist es laut Rebecca inzwischen nur noch Jungen erlaubt, die High School hier in der Nähe zu besuchen. Immer wieder setzen sich Rebecca und die Umoja-Frauen für das Recht auf Bildung für Mädchen und Frauen ein. Dafür ziehen sie sogar zu Fuß über die Dörfer. Aber momentan fehlt das Geld. „Wenn wir die Familien besuchen, um für Mädchenbildung zu werben, müssen wir immer auch etwas (zu essen) mitbringen. Wir kennen die Bedürfnisse der Familien. Natürlich ist es für sie Vorteil, wenn wir sie aufklären, aber die haben vor allem Hunger. Da hilft es, wenn wir etwas mitbringen und sie uns zuhören können, ohne über das Essen nachdenken zu müssen.“ Ob es manchmal schwierig sei, die Frauen davon zu überzeugen, dass auch die Mädchen ein Recht auf Schule haben, will ich wissen. „Ja, denn manche haben große Angst vor ihren Männern“, antwortet Rebecca. „Aber wir versuchen ihnen klarzumachen wie wichtig Bildung ist. Sie ist der Schlüssel für Alles. Nur durch Bildung können wir Dinge ändern. Wir sagen ihnen, dass wir uns selber helfen müssen anstatt darauf zu warten, dass irgendeiner kommt und uns unterstützt. Wir versuchen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es ihre Welt verändern kann, wenn die Töchter zur Schule gehen.“

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Nach der Schulbesichtigung geht es wieder ins Dorf. An diesem Vormittag sind die meisten Frauen damit beschäftigt, das Dach einer der Manyattas (Suaheli für „Heimstätte“), zu erneuern. Auf dem Boden im Schatten eines Baumes sitzt eine ältere Frau und bastelt an aufwändigem traditionellem Hochzeitsschmuck.

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In mühsamer Kleinarbeit werden die Fäden für die seltenen Perlen aus Palmwurzeln gewonnen, erklärt uns Rebecca. Sie sieht müde aus. Die letzten zwei Monate habe sie schlimme Kopfschmerzen gehabt, erzählt sie; erst in den letzten paar Tagen sei es etwas besser geworden. Die Ärzte behandeln sie immer noch auf Malaria, aber mit Malariaschüben kennt sie sich aus; die seien normalerweise nach ein paar Tagen vorbei. Eigentlich sollte sie sich ausruhen, aber dafür ist sie viel zu beschäftigt. Wir begleiten sie zur Vorschule, die die Umoja-Frauen gegründet haben. Auch für die Kinder aus der Nachbarschaft. Gegen einen kleinen Unkostenbeitrag lernen sie hier bereits Schreiben, Lesen, Rechnen. Außerdem Suaheli und Englisch. Und auch die Samburutradition wird bewahrt. Auf  dem Schulhof knubbelt sich eine Gruppe Kinder in einer eigens für sie gebauten Mini-Manyatta. Sie spielen Familie. In der Mitte hockt die „Mutter“ und kocht Chapati aus Lehmbrei. Nebenan spielt eine Gruppe Kinder ein Spiel, das mich an den guten alten „Plumpssack“ erinnert.

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Dann ist Wasserpause. In Windeseile reihen sich die Jungs und Mädchen zu einer Schlange auf, die selbst deutschen Reisenden am Flughafengate Konkurrenz machen könnte… nur dass die Kinder hier sehr viel geduldiger sind. Nacheinander bekommt jeder aus einem großen Eimer eine halbgefüllte Plastikschale mit Wasser gereicht. Wasser, das die Frauen jeden Tag vom Fluss holen.

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Im Unterricht werden gerade englische Buchstaben geübt. Die Lehrerin trägt vor, die ganze Klasse wiederholt lautstark gemeinsam: B like Ball! C like Cup! D like Dog! An einer Wand hängt das englische Alphabet, an einer anderen eine Tafel mit Suaheli-Silben. Auf dem Boden entdecke ich einen Haufen Steine, daneben jede Menge Kronkorken und Deckel von Plastikflaschen. Hilfsmittel beim Rechnen, Sortieren und Farbenlernen. Gleich vor dem Klassenraum gibt es sogar ein kleines Lern-Beet.

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Die Kinder verabschieden uns mit einem Samburu-Lied, in dem sich Esel und Affen, Giraffen und Zebras und sicher noch allerlei andere Tiere begrüßen. „Die Samburu kommunizieren durch Lieder miteinander“, erklärt Rebecca. „Wir geben damit zum Beispiel unsere alten Geschichten an Kinder und Enkelkinder weiter.“ Oder an eine ganz bestimmte Besucherin auf Recherchereise aus Deutschland, wie sich am Nachmittag noch zeigen soll…