Um halb neun Uhr morgens stehe ich am Frankfurter Flughafen und freue mich ausnahmsweise mal auf einen Flug mit einer Billigairline. Ja, mich erwarten insgesamt sieben Stunden stark eingeschränkte Beinfreiheit und nicht vorhandener Service, dass ist aber immer noch dem vorzuziehen, was Passagiere der altehrwürdigen Lufthansa heute bekommen: nichts. Vor mir auf der Anzeigetafel prangt hinter praktisch allen hanseatischen Flügen ein fettes CANCELLED, denn die Piloten wollen gerne auch weiterhin schön früh in Rente gehen.
Ich dagegen reihe mich in die lange Schlange vor der spanischen Vueling Airline ein, deren Name ich vor der Buchung dieses Flugs noch nie gehört habe. Das Personal ist hektisch und im Zeitverzug, aber ich bekomme mein Ticket und übergebe mein Gepäck in der vagen Hoffnung, dass neun Stunden Aufenthalt in Barcelona genug sein werden, damit es sicher von einem ins andere Flugzeug kommt. Kurze Zeit später sitze ich auch schon im Flieger, der erwartungsgemäß eng und voller mehr oder weniger beherrschten Kinder auf dem Weg in die Herbstferien ist.
Die Temperatur auf dem Rollfeld in Barcelona gibt einen Vorgeschmack auf Dakar, es ist feucht und heiß. Der Flughafen präsentiert sich als großzügiger, gut temperierter und moderner Glasbau, bei dessen Planung leider übersehen wurde, dass auf der Bedürfnisliste der meisten Reisenden bequemer Zugang zu Steckdosen weit über überteuertem Shopping rangiert. Irgendwann finde ich, sogar in unmittelbarer Nähe zu meinem Gate, aber dann doch eine geeignete Steckdose und nutze die bleibenden Stunden, um mich noch ein wenig einzulesen.
Schließlich ist es so weit, das Gate für Flug VL 7888 nach Dakar öffnet seine Pforten und ich schreite hindurch. Mit mir kommen eine Mischung aus senegalesischen Geschäftsleuten und Heimreisenden, Auslandsfranzosen und einigen wenigen Touristen. Mit von der Partie sind auch Anna aus Hamburg und Adrian aus London, beide wie ich zum ersten Mal auf dem Weg nach Dakar. Für beide wird es aber auch der erste Aufenthalt auf dem afrikanischen Kontinent sein. Anna wird im Senegal für ihre Masterarbeit forschen, Simon fotografieren, beide sind sichtlich aufgeregt und nicht ganz sicher, worauf sie sich eingelassen haben. Es werden die üblichen Vermutungen über „Afrika“ angestellt und ich frage mich wieder einmal, wie man für ein besseres Verständnis der Einzigartigkeit und Differenziertheit der 54 Länder des Kontinents sorgen könnte.
Das ist aber aktuell nicht mein Thema, sondern ich werde mich in den nächsten sechs Wochen mit der Ressourcenpolitik im Senegal beschäftigen. Bis Anfang Dezember werde ich in Dakar und dem Rest des Landes der Frage nachgehen, wie die Nutzung natürlicher Ressourcen zur gerechten wirtschaftlichen Entwicklung des Senegals beitragen könne, welche Visionen und Vorstellungen zu dieser Frage existieren und welche politischen Konflikte es rund um das Thema Ressourcennutzung gibt.
Während der guten vier Flugstunden vertiefe ich mich in eine Analyse der politischen Ökonomie des Senegals. Tenor: Der Senegal bringt einige wichtigen Voraussetzungen zur Festigung seiner Demokratie und dem Erfolg politischer Reformen mit sich, noch ist das Kind aber nicht auf dem trockenen. Nach einem wunderbaren Landeanflug entlang der hell erleuchteten Halbinsel, auf der Dakar liegt, senegalesischen Boden betrete, werde ich aber statt mit trockener Analyse mit handfesten Realitäten konfrontiert. Noch vor den Grenzern erwarten uns zwei Männer mit Mundschutz, die alle ankommenden Passagiere auf Fieber und damit eines der Anzeichen für Ebola kontrollieren. Wer mit Grippe einreist, darf sich also auf das zweifelhafte Vergnügen eines Ebola-Tests gefasst machen.
Meine Temperatur scheint in Ordnung, denn ich werde zur immigration durchgewunken. Dort kontrolliert ein sichtlich übermüdeter junger Beamter mein vorab im Internet beantragtes Visum und macht einen halbherzigen Versuch, sich bestechen zu lassen.
Er: „Wo ist ihr beglaubigter Residenznachweis?“
Ich: „Ich habe meine Adresse für Dakar bei der Online-Anmeldung angegeben. Meinen Sie das?“
Er: „Nein, das war für die Immigrationsbehörde. Hier sind Sie bei der Grenzkontrolle. Sie brauchen einen beglaubigten und unterschriebenen Residenznachweis.“
Ich: „Hab ich nicht. Davon stand auch nichts auf der Webseite der Immigrationsbehörde.“
Er: „Das ist doch unerheblich, ob das da stand. Das brauch man doch, egal wo man hinreist. Ich kann doch auch nicht einfach nach Deutschland, ohne Residenznachweis. Wenn Sie keinen haben, dann konfisziere ich Ihren Pass und sie müssen hier warten, bis die Sache geklärt ist.“
Ich: „Sowas habe ich weder in Burkina Faso, noch in Ghana, Togo, Äthiopien oder den Vereinigten Staaten gebraucht. Woher sollte ich das also wissen? Ich setze mich dann mal da rüber und warte.“
Er: „Nein, ist schon OK, hier ist ihr Pass und Visum.“
Experten-Tipp für korrupte Grenzbeamte: nicht während dem Versuch, einem wegen seinem leeren Pass vermeintlich noch nie gereisten Neuankömmling Angst einzujagen schon mal das Visum ausdrucken und in den Pass kleben. Das untergräbt die Verhandlungsposition.
Nach dieser eher unerfreulichen Episode hole ich meinen Koffer vom Band und verlasse das Gebäude. Draußen erwartet mich eine eigenartige moderne Interpretation des Spießrutenlaufs: Ein geschwungener Pfad muss von ankommenden Passagieren auf ihrem Weg zum Parkplatz eingeschlagen werden, an dessen seitlichen Absperrungen dutzende junge Männer Taxifahrten und CFA-Franc an den Mann zu bringen versuchen. Zum Glück steht unter Ihnen auch ein Herr mit einem professionell bedruckten Schild auf dem mein Name zu lesen ist. Abdoul, in dessen Wohnung ich mich für die nächsten Wochen eingemietet habe, begrüßt mich herzlich und leitet mich sicher durch die Menschenmenge zu seinem Auto.
Wir fahren die Küstenstraße vom Flughafen Richtung dem Stadtteil Les Mamelles (wörtlich: die Brüste, wegen den der weiblichen Anatomie nicht unähnlichen zwei Hügel an der Küste) entlang. Kurz vor der Wohnung dann noch ein letztes Hindernis: Verkehrskontrolle der Gendarmerie. „Der will Geld, das Arschloch“, murmelt Abdoul, dann bemängelt der junge Gendarm auch schon die nicht funktionierende Beleuchtung des rückwärtigen Nummernschildes. Abdoul steigt aus, spricht für einige Minuten angeregt mit dem Gendarmen und seinen Kollegen, dann geht es weiter. „Alle korrupt,“ regt er sich anschließend auf. „Aber ich habe ihnen gesagt, dass ich den Kommandeur kenne. Dem habe ich mal einen Computer geschenkt. Da haben sie mich gehen lassen.“
Ich hoffe insgeheim, dass aus diesen Korruptionserfahrungen kein Reisemotto wird. Dann sind wir aber schon in der Wohnung. Es wartet eine Dusche, ein Bett und dringend benötigter Schlaf.