„Nichts hat sich getan“

Riachuelo – ich brauche den Namen des Flusses nur erwähnen und die Reaktion ist immer gleich, egal ob ich Taxifahrer Bruno, Haushälterin Alicia, Architektin Eugenia oder Immobilienmaklerin Marita frage:

1. „Ohhhh“ und „Ahhh – eine Schande!“

2. „Das ist eine unendliche Geschichte!“

3. „Die Politik hat nichts gemacht! Nichts ist passiert!“

4. „Der Fluss ist verschmutzt, wie eh und je, natürlich ist er das.“

Ich bin zum ersten Mal in Argentinien, aber so viel habe ich schon gelernt: Über Politiker wird immer gerne und viel geschimpft. Das Vertrauen in die Politik ist verschwindend gering. Auf der Internetseite der Regierungsbehörde, die die Säuberung des Flusses Riachuelo vorantreiben soll, werden fast täglich neue Erfolgsmeldungen veröffentlicht. Die Schiffswracks sind schon lange aus dem Fluss geborgen, die Müllkippen verschwunden. Im November findet sogar eine Regatta auf dem Riachuelo statt – der Fluss bietet sogar Freizeitqualitäten, so die Botschaft. Die Wahrheit muss wohl irgendwo zwischen frustrierter Bevölkerung und euphorischer Regierung liegen, denke ich.

LaBocaRia1Mein erster Eindruck vom Riachuelo ist dann auch überraschend positiv. Im Hafenviertel La Boca, wo die ersten hauptsächlich italienischen Einwanderer in Buenos Aires angekommen sind, fließt der Riachuelo in den Rio de la Plata. Dort ist auch der berühmte kleine Weg „Caminito“. Dort stehen die berühmten, knallbunt bemalten kleinen Häuschen, dort geben Tangotänzer am Wochenende kurze Aufführungen und lassen sich gegen Geld mit Touristen fotografieren. In jedem Reiseführer ist der Caminito ein Highlight für einen Besuch in Bs As und jeder Reiseführer warnt vor dem Gestank des Riachuelos, der den schönen Aufenthalt ein wenig trüben könnte. Nichts davon an dem Sonntag, an dem ich da bin. Kein Naserümpfen, im Gegenteil: die Luft wirkt frisch und klar. Die Wasseroberfläche ist zwar nicht sauber – ich sehe etwas Müll und Dreck – aber da hab ich in Deutschland schon wesentlich schlimmere Ecken gesehen.

Einen Tag spAlfredo Alberti1äter treffe ich Alfredo Alberti. Der Mann mit den tiefen Furchen im Gesicht und den dunklen Augenringen ist Sprecher der Nachbarschaftsvereinigung von La Boca. Ich treffe ihn in seinem Viertel, warte vor den bunt angestrichenen Garagentoren. Ein alter, verbeulter Wagen fährt vor, Alberti steigt aus, begrüßt mich und schließt die Garagentür auf. Zu meinem Erstaunen gibt es keinen „Eingang“, sondern eine etwa einen Meter dreißig kleine Öffnung. Quietschend geht sie auf, dahinter eine weitere Tür. Wir ducken uns ins innere der Garage, Alberti’s ganze Arbeit und sein Herzblut steckt in diesem schlichten Raum. Die Wände voller Fotos mit ihm und Kindern aus dem Viertel, Zeitungsartikeln über den Fluss, Fotos der Politiker und ihm, Infopostern.

VecinosDraussenDie „Vecinos de la Boca“ haben vor Jahren gegen die Verschmutzung des Flusses geklagt. 2009 hat der Oberste Gerichtshof ihnen Recht gegeben, der Fluss wird seitdem von einer extra dafür eingerichteten Regierungsbehörde gesäubert. Die Vecinos kontrollieren und kritisieren die Behörde seitdem.

Wo ist denn der Gestank hin, frage ich Alberti als Erstes. Wann ich denn da gewesen wäre? Gestern. Ah ja, da habe das Wasser hoch gestanden, der Rio de La Plata habe Wasser den Fluss hoch gedrückt. Aber, so Alberti, das müsse man der Regierungsbehörde zugestehen, gegen den Gestank hätten sie etwas getan. Das meiste andere liege noch im argen.

 

AlfredoAlbertiganzIch unterhalte mich eine Stunde mit Alberti. Über die Wasserqualität, die seiner Meinung nach immer noch genauso schlecht ist wie eh und je. Darüber, dass die offensichtlichen, oberflächlichen Probleme verschwunden seien, der Fluss unter der Oberfläche aber immer noch ein Giftcocktail sei. Dass die Unternehmen weiter unten am Fluss jetzt zwar Grenzwerte für die Einleitung von Chemikalien und Abwässern hätten, die auch internationalen Standards entsprächen. Dass der Riachuelo (was übersetzt „Bächlein“ heißt) jedoch viel zu klein sei, um all das Abwasser aufzunehmen. Entlang des Flusses sind tausende Betriebe. Dass es den Menschen in den Villas, den Armenvierteln, nach wie vor schlecht ginge. Dass Korruption den ganzen Prozess verzögere…und vieles, vieles mehr.

LaBocaRia3

Erhofft hatte ich mir auch, von ihm Kontakte in so ein ärmeres Viertel zu bekommen. Aber er verneint. Er selbst sei auch noch nicht dort gewesen und alleine kann ich nicht rein – zu gefährlich. Am besten wäre es, mit dem Boot zu fahren. Vielleicht mit Greenpeace. Auf deren Antwort und die einer weiteren Umweltorganisation warte ich noch. Oder mit einer Bekannten, die in der Nähe des Flusses arbeitet. Ich bin gespannt.