Um 13:30 Uhr stehe ich vor dem Büro von Greenpeace Senegal im 6. Stock eines Hochhauses in Dakar. Ein paar Tage vorher habe ich einen Anruf von Bakary, dem Öffentlichkeitskoordinator von Greenpeace bekommen. Ob ich Lust hätte, bei dem Start einer weltweiten Kampagne gegen Überfischung dabei zu sein? Habe ich natürlich, denn zum einen ist das ja genau mein Thema und zum anderen habe ich in Deutschland selbst schon für Greenpeace in Innestädten Flyer verteilt und mich auf Bahngleise gestellt. Da interessiert mich die Arbeit der Organisation im Senegal umso mehr.
Nach und nach trudeln neben Bakary und der Meeres-Expertin Marie auch eine Reihe anderer Journalisten und ein von Greenpeace engagierter Fotograf ein. Nach einigem hin und her sitzen wir schließlich in zwei Autos und fahren aus Dakar hinaus in Richtung Bagny, einem Vorort über dem die größte Zementfabrik des Landes in einer gigantische Staubwolke thront.
Am Strand von Bagny erwarten uns neben der der brennenden Sonne ein kleines Holzkanu, im Senegal Pirogue genannt, das in einem Loch im Sand liegt. Nach einer Viertelstunde warten trifft ein Bus voller Greenpeace-Freiwilliger ein, dann noch ein Bus voller lokaler Fischervekäuferinnen und schließlich auch einige lokale Fischer. Es folgt eine recht chaotische Phase der Vorbereitung, Einweisung und Begrüßung. Marie von Greenpeace erklärt den versammelten Locals, was Greenpeace eigentlich ist und warum sie heute alle hier sind. Die Freiwilligen entfalten Transparente in diversen Sprachen („Überfischung betrifft uns alle“) und stellen sie auf Anweisung des Fotografen mal hier und mal dort auf. Schließlich wird die Pirogue erst zum Meer getragen und dann in einer Trauerprozession wieder zurück zur vorbereiteten Grabstelle. Inzwischen steht hier auch ein Grabstein („Hier ruht die letzte Pirogue“).
Wieder gibt der Fotograf Anweisungen und flucht über das ungünstige Licht. Es gibt ein Gruppenfoto aller Anwesenden rund um die Grabstätte, dann wird die Pirogue zu Grabe gelassen.
Anschließend hält Marie eine kleine Pressekonferenz ab und wir Journalisten scharren uns um sie. Die Aktion, so erklärt sie in die Kameras und Mikrophone, sei Teil einer weltweiten Kampagne gegen den Einsatz von „Monsterschiffen“ in der industriellen Fischerei. Diese Fabrikschiffe, von denen Greenpeace 20 exemplarisch an den Pranger stellt, würden wegen ihrer enormen Kapazität, ihren schädlichen Fangpraktiken und dem Verstoß gegen Gesetze und Regularien besonders zur weltweiten Überfischung beitragen – auch im Senegal.
Auch die artisanale Fischerei trage zur Überfischung bei, sagt Marie auf meine Nachfrage. Der Fokus der gesamten Aktion liegt aber klar auf der industriellen Fischerei, was bei den versammelten Fischern und Fischhändlerinnen auch gut ankommt.
Ähnlich wie Greenpeace setzen sich praktisch alle NGOs öffentlich vor allem für eine stärkere Regulierung und Überwachung der industriellen Fischerei ein. Das ist nachvollziehbar, denn hier gibt es viele Probleme, von erlaubter Überfischung bis hin zu Piratenfischerei und Korruption im großen Stil. Sich mit den Praktiken der Kleinfischer anzulegen ist deutlich undankbarer. Es macht generell wenig Spaß, wirtschaftlich ohnehin marginalisierten Menschen noch mehr Einschränkungen aufzuerlegen. Und es lässt sich auch den eigenen Spendern gegenüber deutlich schlechter kommunizieren, als eine Demo vor der EU-Kommission wegen ungerechter Fischereiabkommen.
Hinter den Kulissen wird auch über eine Reform der Kleinfischerei diskutiert, aber auch in der senegalesischen Politik hat niemand so richtig Lust, dieses heiße Eisen anzufassen. Die Kleinfischer sind gut organisiert, sie haben politisches Mobilisierungspotenzial und von ihren Fängen ist die Ernährungssicherheit von hundertausenden Menschen abhängig. In diesem Kontext Fangquoten einzuführen ist gefährlich nah am politischen Selbstmord.
Früher oder später wird dieser Schritt aber kommen muss, davon ist auch Abdoulaye überzeugt. Der Repräsentant einer Organisation von Kleinfischern nimmt mich nach der Greenpeace-Aktion in seinem Auto mit nach Saly, einem Ort etwa 100 Kilometer südlich von Dakar. „Ich habe Angst um die Kleinfischerei,“ sagt er mir, während er den Wagen über die Sandpisten entlang von wunderschönen Stränden und Fischerdörfern steuert. Der Crash werde kommen, denn langfristig seien weder die Überfischung, noch die Arbeitsbedingungen in der Kleinfischerei tragbar.
Allerdings entziehe sich der Staat seiner Verantwortung, beklagt Abdoulaye. Es gäbe Regeln, etwa zur Registrierung von Fischerbooten und Maschengrößen von Netzen, aber die Polizei und Fischereiaufsicht würden diese nicht durchsetzen. Den Schaden hätten die ehrlichen Fischer, die ein Interesse an einer nachhaltigen Fischerei hätten. Das sich an der aktuellen Situation kurzfristig was ändert, da ist Abdoulaye wenig hoffnungsvoll.