Yangon ist berühmt für seinen Bestand an Kolonialbauten. Vor dem Hintergrund der historischen Architektur durchziehen unzählige dünne Linien das Straßenbild in der Altstadt – horizontal sind es die Kabel der unzuverlässigen Stromleitungen, vertikal sind es die Seilzüge. An dem einen Ende mit einer Klammer oder einem kleinen Plastikbeutel, an dem anderen Ende oft mit einer Glocke ausgestattet ersetzen sie den Bewohnern der oberen Etagen den Briefkasten.
Jetzt im Wahlkampf sind oft Partei-Flyer in die Klammern geheftet. Anders als in den vollmediatisierten Ländern der sogenannten westlichen Welt, läuft der Wahlkampf in Myanmar auch über andere Kanäle als die im Fernsehen. In einem Land, dessen Infrastruktur vor allem außerhalb der urbanen Zentren in jeder Hinsicht unterentwickelt ist, hat der Direktkontakt zum Wähler großes Gewicht.
Regelmäßig ziehen Unterstützer verschiedener Parteien in motorisierten Umzügen durch die Straßen. Motorräder, Rikaschas oder Autokorsos folgen einem Van oder LKW mit blärrender Musik im Schritttempo. Die Unterstützer in den T-Shirts ihrer jeweiligen Partei schwenken Fahnen, winken Passanten zu, jubeln als hätten sie die Wahl schon für sich entschieden und verteilen ihre Wahlprogramme.
Spitzenkandidat der lokalen Partei Democratic Nationalities Party (DNP) Thet Tun hat in seinem Wahlbereich um die Landeshauptstadt Dawei nach eigenen Angaben rund 90 Prozent der Haushalte persönlich besucht, rund 100.000 Einwohner zähle die Region. „Nein, im Fernsehen hatte ich keine Auftritte. Ich habe mich den Menschen vorgestellt, mein Wahlprogramm erklärt und sie haben mir von ihren Problemen erzählt“, sagt der Politiker im Interview. Er hat seinen Beruf als wissenschaftlicher Leiter bei Thura Swiss für die Politik aufgegeben und die Partei gegründet. Wie viele will er den Wandel im Land aktiv gestalten.
Auch in Yangon sind die Kandidaten von Tür zu Tür gezogen – etwa NLD-Kandidat U Nay Phu Ba Swe. Im Erdgeschoss jeden Hauses habe er sich persönlich vorgestellt und so in sechs Stunden vier komplette Straßen geschafft und entschuldigte sich im Interview, dass er es nicht auch in die oberen Etagen schaffe, in die meist nicht mal einen Aufzug führe. „Wir würden uns gerne allen Wählern vorstellen, aber kurz vor den Wahlen ist die Zeit knapp“, sagt U Nay Phu Ba Swe und verspricht, nach der Wahl wiederzukommen.
Bis dahin sind die Seilzug-Briefkästen die Verbindung zu den Wählern in die oberen Etagen.