Ich stehe im besten Garten Tadschikistans. Das ist keine Übertreibung, sondern der offizielle Titel, der diesem Garten im Rashttal mehrfach bei landesweiten Wettbewerben verliehen wurde. Der Blick ist auf die schneebedeckten Ausläufer des Pamirs ist atemberaubend. Aber dieser Ort ist mehr als nur ein Garten. Dieser Ort ist das, was passiert, wenn man in Tadschikistan das Beste aus einer schlimmen Lage macht. Wenn man in der verstaubten Sowjetunion etwas Neues schafft und nach dem verheerenden Bürgerkrieg das Alte retten will. Der Mann dem das gelungen ist heißt Mirzosho Akobirov.
Wir sind umgeben von Apfelbäumen, die scheinbar wild vor sich hinwachsen. An einigen wachsen große rote Äpfel, an anderen kleine kugelrunde gelbe. „Ich habe einige Sorten auch gekreuzt, damit an einem Baum bis zu vier verschiedene Sorten Äpfel wachsen“, erzählt mir der umtriebige 56-jährige Mirzosho. In den 80er Jahren, als Tadschikistan noch Teil der Sowjetunion war, wollte der studierte Landwirt etwas aufbauen, was es zuvor nicht gab. Einen Garten, in dem alle Apfelsorten der Region wachsen. „Nachdem Gorbatschow im Fernsehen verkündet hat, dass die Bürger der Sowjetunion ein Recht auf ihr eigenes Land haben, bin ich sofort zur lokalen Regierung gegangen und habe ein Stück Land gefordert. Anfangs haben sie mich ausgelacht und mich immer wieder weggeschickt.“ Nach dem er mit einflussreichen Politikern in Dushanbe gesprochen hatte, wurde ihm endlich ein Grundstück in Jafr in der Nähe der Provinzhauptstadt Gharm zur Verfügung gestellt.
Das Brachland hat er mit eigenen Händen umgegraben, eine Wasserleitung aus den Bergen gelegt und die ersten Apfelbäume geplanzt. Die Nachbarn hätten ihn kritisch beäugt, Eigeninitiative sei hier nicht gern gesehen gewesen. „Ich bin trotzdem durch die Dörfer gezogen und habe besondere Apfelsorten mitgenommen. In der Sowjetzeit haben alle nur über die Sowjetunion gesprochen, aber niemand hat sich darum gekümmert, das kulturelle Erbe des eigenen Landes zu bewahren. Das wollte ich mit diesem Garten ändern.“ Schnell merkte Mirzosho, dass es nicht nur um Apfelsorten gehen konnte, auf seinen Reisen durch die Region traf er Musiker und Kunsthandwerker, die er bat, ihre Musik niederzuschreiben oder ihr Kunsthandwerk an ihn zu verkaufen. „Die meisten haben verstanden, wie wichtig es ist, die kulturellen Traditionen dieser Region zu bewahren für die nachfolgenden Generationen.“ Mirzosho zeigt mir das obere Stockwerk eines kleinen Hauses, das er auf dem 20234 Quadratmeter großen Grundstück mithilfe seiner fünf Brüder gebaut hat. In dem Raum liegen liebevoll auf verstaubten Teppichen präsentierte Ausstellungsstücke, besondere Lauten, handgemachte Schwerter, Holzschnitzereien und traditionelle Trachten. „Wir haben Hunderte Exponate aus der Region, teilweise sind sie schon sehr alt. Die wollen wir ausstellen in unserem Museum am Eingang des Gartens. Seit sechs Jahren bauen wir schon daran. Hoffentlich können wir es in den kommenden zwei Jahren fertigstellen.“
Viele Exponate seien während des Kriegs geplündert worden, bedauert er. „Als der Bürgerkrieg 1991 ausbrach, wollten wir fliehen.“ Das Rashttal war die Hochburg des islamischen Widerstands gegen die neue kommunistische Regierung des unabhängigen Tadschikistans. „Wir waren Demokraten, wir konnten nicht hier bleiben, weil unsere politische Einstellung nicht erwünscht war. Die Kommunisten haben uns auf der Flucht gefangen genommen. Fast sieben Jahre war ich im Gefängnis. Als ich zurückkam, standen nur noch wenige Apfelbäume. Die Nachbarn hatten das Grundstück unter sich aufgeteilt, aber sie hatten keine Ahnung von Landwirtschaft.“ Die Lebensgrundlage von Mirzosho und seiner Familie war zerstört. Aufgeben war trotzdem keine Option. „Ich bin ins Nachbardorf Tojikobod gefahren, die meisten Familien waren von dort geflohen oder sind dem Bürgerkrieg zum Opfer gefallen. Die Felder waren Friedhöfe , unter der Erde lagen überall Leichen verbuddelt. Die Apfelbäume sind abgeholzt oder verbrannt worden. Ich habe mich unter einen der wenigen Bäume gesetzt, die noch standen und habe geweint. Es war der Baum, von dem ich Ende der 80er Jahre einen Apfel mitgenommen habe, um ihn in meinem Garten anzupflanzen. Das hier ist er.“ Mirzosho zeigt auf einen kleinen Apfelbaum, dessen gelbliche Äpfel kleine dunkelrote Punkte haben. „Diese Sorte hat zufällig in meinem Garten überlebt. Und ich saß unter dem Baum und habe mich gefragt: Was für Menschen sind das, die mit dem Reichtum unserer Natur so umgehen und die mit einander so umgehen?“
Mirzosho begann von Neuem, das Alte – oder das was davon übrig war – zu retten.
Heute wachsen 52 Sorten Äpfel und 37 verschiedene Birnenarten hier.
Inzwischen leben Mirzosho und seine Familie von den Einnahmen aus dem Obstverkauf. „Wir haben es geschafft, unsere Existenz wieder aufzubauen.“ Und das in einer Region, in der rund 70% der Menschen unter der Armutsgrenze lebt.
„Aber es geht uns nicht ums Verkaufen. Unser Garten ist ein Garten des Nationalstolzes, er ist ein lebendiges Museum, das den Reichtum unserer Natur und Kultur bewahren soll“, sagt Mirzosho, der selfmade Apfelkönig und leidenschaftliche Dichter.
Der tadschikische Präsident Mirzosho Akobirov einmal den besten Gärtner Tadschikistans genannt. Auch deshalb ist dieser Obstgarten zum Pilgerort für Regierungsbeamte und ausländische Staatsgäste geworden. Gestern war schon eine Delegation der Regionalregierung aus dem Norden des Landes da, heute hat Mirzosho die amerikanische Botschafterin bewirtet, im kleinen Pavillon hat sie Äpfel gegessen und ungewöhnlich süßen Tee mit Honig aus dem eigenen Bienenstock im Garten getrunken. Seit ungefähr zwei Jahren kämen auch Touristen, die das Label „Ecotourism“ anlocke, erzählt Mirzosho, während er seine Laute stimmt. Die Sonne verschwindet langsam hinter einem der Berge. Mirzosho stimmt ein Lied an. Es geht um eine fremde Frau, die diesen Ort bewundert. „Dieses Haus ist wunderschön, aber es ist nicht meines. Es ist wunderschön, aber dies ist nicht mein Vaterland.“