Die freie Idee?!

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„TV ITARARÉ. A IDEA LIVRE“ – Die freie Idee steht groß im Flur vor der Redaktion, in der ich den nächsten Monat als Praktikantin verbringen werde. Die Frage, wie frei die Idee dieses Senders sein kann, wird mich in meiner Zeit wohl immer wieder begleiten.

Das Landesstudio des TV Cultura, das auch mit BBC London zusammenarbeitet, betont auf seiner Internetseite die hohe Qualität seines Programms und gibt den Hinweis „kommt sogar bei dir Zuhause an“. Eine wichtige Information, hat man in Brasilien doch oft das Gefühl es gäbe nur einen einzigen Sender, den einflussreichen Privatsender Globo.

„Der Sender der am stärksten wächst in der Region mit modernen Studios und den besten Arbeitskräften auf dem Markt“ heißt es weiter in der Selbstbeschreibung des TV Itararé. Eine dieser Arbeitskräfte ist Carla, Redakteurin im Bereich Kultur. Ein Journalist verdient hier 1800 Reais im Monat, das sind rund 500 Euro. Dafür muss er laut Gesetz mindestens 5 Stunden am Tag arbeiten und hat so noch Zeit für eine zweite Beschäftigung, denn 500 Euro sind auch in Brasilien zu wenig, erklärt Carla. Der Haken an der Idee ist nur, dass fünf Stunden nicht reichen, um alle Sendungen vorzubereiten. Alle liegen nach Verlassen der Redaktion, ausgecheckt per Fingerabdruckscan, ausgecheckt, deutlich über diesem Minimum, denn an Arbeit mangelt es nicht. In zwei Schichten arbeiten in der Kulturredaktion von TV Itararé sechs Redakteure und ein Praktikant. Hinzu kommt ein Chefredakteur, zwei Cutter und ein zweiköpfiges Filmteam mit einem Auto. Produziert werden muss täglich die 35-minütige Kultursendung „Diversidade“.

Dass der brasilianische Arbeitsrhythmus anders ist als meiner, lerne ich schnell. In einem Großraumbüro sitzt auf einer Seite die Kulturredaktion, auf der anderen Seite die Nachrichtenredaktion (Nur die Arbeit der Nachrichtenredaktion wird „Jornalismo“ genannt, Kultur gilt nicht als „Jornalismo“), die Stimmung ist ausgelassen, es laufen diverse Fernseher gleichzeitig. Eigentlich sollte ich lediglich in der Nachmittagsschicht in der Kulturredaktion arbeiten, der Chefredakteur ging allerdings davon aus, ich würde drei Monate bleiben. Nachdem wir dieses Missverständnis geklärt haben, schlägt er vor, ich solle doch, um möglichst viel zu sehen, beide Arbeitsschichten bleiben, so kommen pro Tag bis zu zehn Stunden zusammen.

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Aussicht an der Bushaltestelle

Meine Unterkunft ist nicht weit entfernt von der Redaktion. Mit dem Auto maximal 15 Minuten, doch die öffentlichen Transportmittel sind unzuverlässig und es gibt keine Busfahrpläne. Die Wartezeit an dem gelben Pfosten, an dem der Bus anhält kann lang werden.  Die redaktionsübliche Kleidung (lange Hose, geschlossene Schuhe und T-Shirt mit Ärmeln) ist im stark klimatisierten Büro angenehm, bei 30 Grad und kein Schatten aber nicht. Für den Weg zur Redaktion, einmal umsteigen, plane ich 1,5 Stunden ein.

„Und du fährst alleine mit dem Bus nach Hause? Auf keinen Fall!“, höre ich oft in diesen ersten Tagen. In Deutschland besitze ich auch kein Auto, trotzdem kann ich mich dort zu jeder Tageszeit frei bewegen.  Abends allein Bus zu fahren halten meine Kollegen für keine gute Idee, denn schon tagsüber passieren in Campina Grande viele Überfälle. Gefährlich ist es vor allem in reichen Vierteln, die nah an ärmeren Vierteln liegen, was sowohl bei meinem Wohnviertel, als auch beim Viertel der Redaktion der Fall ist. Den ganzen Tag stehen mehrere Polizisten vor der Redaktion. Aber Campina ist überall gefährlich, trösten mich die Kollegen.

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Interviews über Bücher werden in der Stiftungsbibliothek gemacht

In den ersten Tagen lerne ich vor allem die Arbeit der Kulturredaktion kennen. Zu sehen ist TV ITARARÉ entweder im Internet, oder zu empfangen in Campina Grande und der näheren Umgebung. Das ist auch eine Erklärung für den sehr regionalen Bezug der Beiträge. Es wird u.a. das Buch eines Studenten vorgestellt, der sich mit Gedichten über die Stadt beschäftigt, oder Thema ist der Cupcake Workshop für Kinder der im städtischen Shoppingcenter angeboten wird. Pro Beitrag gibt es einen kurzen Dreh, falls nötig wird dieses Material später mit Fotos und Filmen aus dem Internet aufgefüllt, oder direkt ohne eigenes Material mit Filmen aus Youtube bestückt. Diese Arbeitsweise ergibt sich auch daraus, dass dem Kulturprogramm nur ein Filmteam nachmittags zur Verfügung steht, das alle Beiträge für den kommenden Tag dreht. Würde man die zwei also in eine andere Stadt schicken, bliebe für die anderen Beiträge keine Kamera übrig. Als ich mich erkundige, wie das Übernehmen von fremdem Material und Musik rechtlich geregelt ist, bekomme ich die Antwort „Wir machen das einfach, also eigentlich gäbe es dafür Regeln, aber unsere Relevanz ist nicht so groß, dass jemand darauf achtet.“

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Kaffeepause mit „Herr Umarmung“

Im Gespräch mit verschiedenen Mitarbeitern erfahre ich, dass die Tochter des Cutters davon träumt, in Europa und des USA als Missionarin der evangelikalen Kirche zu arbeiten und dass der Kameramann vor einiger Zeit eine Auszeit von der Redaktion nahm, um die Wahlkampagne eines Politikers durchzuführen.

Die Finanzierung des Senders bleibt trotz mehrmaligem Nachfragen weiterhin undurchsichtig. TV Itararé wird von einer Stiftung finanziert, die auch zahlreiche soziale Projekte finanziert, die im gleichen Gebäudekomplex untergebracht sind. Regelmäßig treffen sich zum Beispiel alte Damen um gemeinsam zu nähen und zu häkeln, eine Gruppe kocht gemeinsam und verkauft Kräuter und eine andere Gruppe besucht Senioren zu Hause. An meinem ersten Arbeitstag meldet sich aber auch eine private Universität, die den Sender teilweise finanziert. Sie wird in den kommenden Wochen einen Kurs über gesunde Ernährung im Shoppingcenter anbieten und erklärt, es wäre gut, wenn es einen längeren Beitrag darüber gäbe. Vom Chefredakteur bekommen wir die Anweisung, für den Beitrag bitte irgendwie einen Kulturbezug zu finden.