Die Folgen des Tsunamis in Aceh sind 12 Jahre danach äußerlich kaum noch sichtbar. Nur noch ein paar Orte erinnern an die größte Naturkatastrophe Indonesiens. Aber im Inneren der Einwohner Acehs sitzt der Schmerz noch immer tief.
Als ich mit meinem Roller von einer der Hauptstraßen Acehs in ein kleines Wohnviertel einbiege, recke ich den Kopf in die Höhe und suche alles oberhalb der Hausgiebel nach einem schmalen, schwarzen Schornstein ab. Der muss doch zu sehen sein, denke ich mir. Aber erst kurz nachdem ich die letzte Kurve genommen habe, erblicke ich, wonach ich suche: mitten im Wohngebiet zwischen Häusern, Geschäften und einer Moschee liegt ein Schiff, mitten auf dem Land. Es sieht so aus, als wäre es immer schon da gewesen. Aber am Morgen des zweiten Weihnachtsfeiertages 2004 wurde dieser schwimmende Dieselgenerator 4 Kilometer ins Landesinnere geschwemmt: 4 Etagen hoch, etwa 50 Meter lang und 2600 Tonnen schwer – vollkommen unwirklich und unvorstellbar, mit welcher Gewalt sich das Wasser seinen Weg gebahnt hat.
Heute befindet sich im Inneren des Schiffes und darum herum eine kleine Gedenkstätte. Ein paar Wohnhäuser sind so belassen worden, wie sie der Tsunami zurückgelassen hat: ohne Dächer und nur noch mit ein paar eingerissenen Grundmauern. Die restliche Stadt ist auch mit der Hilfe vieler internationaler Hilfsorganisationen komplett wieder aufgebaut worden.
Der Tsunami hat sich in der Küstenstadt Banda Aceh 7 Kilometer ins Landesinnere gefressen und allein hier 60.000 Todesopfer gefordert. In der gesamten Provinz Aceh haben etwa 240.000 Menschen ihr Leben verloren. Viele hatten eingeschlossen in ihren Häusern oder Autos keine Chance zu entkommen. Schon fünf Minuten nach dem Erdbeben, das auch in Aceh zu spüren war, traf die erste Welle ein.
Ich kann mir das Leid kaum ausmalen, was die Menschen hier erlebt haben. Erst viele Jahre Bürgerkrieg, dann der Tsunami, der ganze Familien ausgelöscht hat. Linda besitzt einen kleinen Homestay am Rande der Stadt, wo ich für meine Recherchezeit in Aceh unterkommen kann. Sie sagt, sie hat mehr als 100 Familienmitglieder, Freunde und Bekannte verloren. Weil die Beerdigung von Lindas Vater anstand, war ihre Familie während der Katastrophe fast vollständig im Haus ihrer Mutter zu Gast, das sich nah an der Küste befindet. Linda hatte eigentlich auch vor, dort zu übernachten, aber am Vorabend des Tsunamis quengelte ihr damals 10-jähriger Sohn so lange, bis sie schließlich doch zu Hause die Nacht verbrachten. Das rettete ihr Leben.
Wenn Linda heute davon erzählt, dass ihre Mutter die beste Köchin der Welt sei, wie sie sie das letzte Mal gesehen hat, wie sie vergeblich alle Krankenhäuser in der Umgebung nach ihr durchsuchte und dass sie heute noch Alpträume hat, schaudert es mir am ganzen Körper. So wie Linda erging es den meisten Menschen in Aceh. Jeder hier hat irgendjemanden verloren. Viele wurden nie wieder gefunden – wahrscheinlich bestattet in einem der vier Massengräber.
Zwei Jahre hat es gedauert, alles aufzuräumen, neue Schulen, Krankenhäuser, Brücken und Wohnhäuser zu bauen. Die Stadt hat sich erholt – das Innere der Menschen hier noch nicht.