Uruguay ist klein, für südamerikanische Verhältnisse sogar winzig. Nur knapp 3,5 Millionen Einwohner leben auf einer Fläche, die halb so groß ist wie Deutschland, was Uruguay das Wikipedia-Label „kleinstes spanischsprachiges Land des Kontinents“ beschert hat. Dass hier alles eher übersichtlich anmutet, ist nicht nur im Alltag ziemlich angenehm – weil die Wege selbst in Montevideo recht kurz sind und das Leben längst nicht so hektisch ist wie in anderen Hauptstädten Südamerikas – sondern hat mir auch bei den ersten Schritten meiner Recherche ziemlich geholfen.
Zum einen, weil es dazu führt, dass sich diejenigen, die sich intensiv mit meinem Thema (der Aufarbeitung der zivilmilitärischen Diktatur) beschäftigen, beinahe alle kennen und gut miteinander vernetzt sind. Aus jedem Gespräch, jedem Interview ergeben sich fast beiläufig drei neue Kontakte.
„Ich kenn‘ da schon wen, der jemanden kennt…“
Im „Museo de la Memoria“ stellt mich der Museumsdirektor direkt einem Archäologen vor, der an der Suche nach menschlichen Überresten von „desaparecidos“ (Verschwundenen) aus Diktaturzeiten beteiligt ist. Ein paar Meter weiter lerne ich eine Historikerin kennen, die mich zu einer Exkursion ihrer Studierenden mit Angehörigen von Diktaturopfern in der kommenden Woche einlädt. Eine ihrer Studentinnen habe ich – natürlich! – schon am Vorabend über meine Mitbewohner kennen gelernt.
Ja, das war ganz schön viel Glück für den Anfang, ist aber ganz sicher auch dem Wesen des Landes geschuldet. So oder so bekommt meine Recherche durch diesen Kettenbrief-Effekt beinahe eigenständig eine Dynamik, von der ich mich erstmal treiben lassen kann.
Zweitens schwebt Uruguay durch seine Größe im Ausland medial in aller Regel unter dem Radar. Deshalb wandere ich hier nicht über schon seit Ewigkeiten ausgetrampelte Pfade, obwohl ich ein Thema bearbeite, das bis weit ins vergangene Jahrhundert zurück reicht.
Die Uruguayos finden das offensichtlich ganz gut: Dass jetzt ein Journalist aus dem Ausland anreist und sich speziell für „ihre“ Geschichte interessiert und diese nicht nur als Beiprodukt der Ereignisse in den großen Nachbarländern Argentinien oder Chile sieht, hat mir schon das eine oder andere fröhliche (wenn auch erstaunte) Lächeln eines Einheimischen beschert.
Die Diktatur ist überall
Aber dann ist da auch noch die ziemlich traurige Kehrseite. Im kleinen Uruguay hat die brutale Diktatur der siebziger und achtiger Jahren mit Leichtigkeit große Teile der Gesellschaft erreicht. Mit wem ich auch gesprochen habe, nicht nur während Interviews, sondern auch bei der Wohnungssuche oder auf Partys: Fast jeder konnte von Opfern in der eigenen Familie oder dem engeren Bekanntenkreis berichten, von Folter, Flucht, politischer Haft oder Verschleppung.
Weil es in Uruguay bis heute kaum eine juristische Aufarbeitung dieser Zeit gegeben hat, leben Opfer der Diktatur bis heute Seite an Seite mit Verantwortlichen und Mittätern. Wie sich das auf die Gesellschaft auswirkt, wird eine der zentralen Fragen sein, denen ich mich in den kommenden Wochen widmen werde.