Kulturelle Vielfalt, mangelnde Schulbildung

Sapa ist ein wachsendes Städtchen im Nordwesten von Vietnam, nahe der chinesischen Grenze. Viele Touristen steuern es an, denn die ehemalige Bergstation ist der perfekte Ausgangspunkt für Wandertouren. Der Ort an sich ist gar nicht mal so schön, die Aussicht dafür umso schöner. Zu allen Seiten türmen sich Berge auf, Reisterrassen ziehen sich bis ins Tal. Die Hotels werben damit, dass sie beheizte Zimmer haben – Sapa ist der kälteste (und vielleicht nebligste) Ort des Landes. Außerdem ist die Region bekannt für ihre kulturelle Vielfalt. In den umliegenden Dörfern leben verschiedene ethnische Minderheiten, vor allem Hmong und Dao. Mit ihren traditionellen, farbenfrohen Kleidern fallen die Frauen sofort auf. Im Stadtzentrum von Sapa verkaufen sie „Handycraft“: handgemachte Taschen, Röcke, Tücher und Schmuck.

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Auch viele Kinder ethnischer Minderheiten sind auf den Straßen unterwegs und bieten den Touristen Armbänder und bunte Anhänger an. Kleine Mädchen, vier oder fünf Jahre alt, tragen dabei von morgens bis abends ihre Geschwister umher. Die Mütter binden ihnen die Babys mit Tüchern auf den Rücken – und die Kleinen wissen genau, wie sie die Touristen weich kriegen. Eigentlich sei das verboten, sagt mir ein Verantwortlicher des Komitees für Ethnische Minderheiten in Sapa. Aber die Familien seien arm und die Kinder müssten mitverdienen.

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Immerhin, jedes noch so winzige Dorf hat heute eigene Schulen und der Besuch ist für Kinder ethnischer Minderheiten nahezu kostenfrei. Das Geld für Stifte oder Schulbücher kommt vom Staat und aus privaten Spenden. Ein Fortschritt: Während die älteren Bewohner in den Bergdörfern nicht einmal Lesen und Schreiben können, hat die jetzige Generation Zugang zu weiterführenden Schulen – die meisten Kinder wechseln nach der Grundschule auf die Mittelschule, die bis zur 9. Klasse führt. Zehn bis fünfzehn Prozent, so die Einschätzung einer Dorflehrerin, brechen allerdings nach der Grundschule ab. Und an die Oberschule (10.-12. Klasse) schaffen es nur die wenigsten. Zu weit weg, zu teuer.
Stattdessen helfen die Jugendlichen ihren Eltern auf dem Feld, arbeiten als Wanderführer oder in Restaurants und Unterkünften. Bei den Hmong und Dao ist es Tradition, früh zu heiraten. Mit 14 oder 15 zieht eine junge Frau in der Regel zu ihrem Ehemann und gründet eine eigene Familie. Ihre Schullaufbahn ist damit automatisch beendet.

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Ich besuche insgesamt vier Schulen in Sapa und den umliegenden Bergdörfern. Überall erlebe ich engagierte Lehrerinnen und Lehrer, die ihre Schüler nach bestem Wissen und Gewissen unterrichten. Allerdings kommen die Lehrkräfte aus allen Teilen des Landes. Viele würden lieber in der Stadt arbeiten, haben aber keine andere Stelle bekommen. Sie sprechen weder die Muttersprache der Kinder, noch haben sie einen direkten Bezug zu ihrer Geschichte. In den Klassenräumen hängen zwar teilweise traditionelle Gewänder der Hmong und Dao an den Wänden, aber in den Schulbüchern spielt die Kultur der Bergvölker keine Rolle. Dabei wären für die Kinder Lehrmittel in ihrer Muttersprache und mit einem Bezug zu ihrer Lebenswelt sicher hilfreich.

Dass das Wunschdenken ist, merke ich spätestens, als ich von einer Lehrerin nach Stiften gefragt werde. Offenbar mangelt es schon an der Grundausstattung. Leider habe ich keine Stifte dabei, die ich der Schule schenken könnte. Stattdessen werfe ich ein paar Dong in eine Spendenbox und nehme mir vor, bei meinem nächsten Schulbesuch daran zu denken.

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Auf dem Rückweg erzählt mir eine junge Mutter, die selbst zum Stamm der Hmong gehört, von ihren Kindern. Die beiden Mädchen sollen nicht auf die Grundschule gehen, die ich gerade gesehen habe und die nur von Hmong-Kindern besucht wird. Der Grund: Die Schüler dürfen keine Schulbücher oder Hefte mit nach Hause nehmen, da die Sachen dort zu oft kaputt gehen. Vermutlich weil die Kinder keinen richtigen Platz zum Lernen haben oder die Eltern nicht genug darauf achten. Die Frau möchte ihre Kinder auf eine bessere Schule schicken. Aber das sei schwer, sagt sie. Die Schulkleidung und die Bücher seien teuer und außerdem müsse man die richtigen Leute kennen, um an der Schule einen Platz zu bekommen.

Viele Hindernisse auf dem Weg zu einer besseren Schulbildung.