Aserbaidschan: Kampfsport als Leidenschaft

Rufat ist Boxtrainer: Er ist ziemlich durchtrainiert und ziemlich sympathisch – wenn er nicht gerade einen rechten Cross schlägt. Ein „Cross“ im Boxen bedeutet, dass die Schlaghand (In den meisten Fällen: Die rechte Hand) vom eigenen Kinn auf einer geschraubten Linie über den Arm des Gegners ins Ziel geführt wird. Rufats Cross kommt gerade ziemlich schnell, ziemlich hart und ziemlich geschraubt in Richtung Ziel geschossen: Das Blöde für mich: Das Ziel ist mein Gesicht.

Blaue Flecken gehören hier dazu

Box-Tradition: Aserbaidschanische Mannschaft 1928

Ich gehe auch in Deutschland boxen. Ich mache das seit der Uni. Ich bin ein ziemlich defensiver Boxer, ich will meinen Gegner ermüden, im Ring technisch auskontern. Im Fachjargon nennt man das: „Ausboxen“. Seit ein paar Wochen komme ich zu Rufat ins Training in ein Fitnessstudio in Baku. Die Gruppe ist klein, sechs, sieben Leute. Die Aserbaidschaner finden mich nett, meinen Boxstil finden sie komisch.

Das Training dauert eine Stunde: Kurzes aufwärmen, ein paar technische Übungen, nach einer Viertelstunde heißt es dann: Handschuhe an, Mundschutz rein und los geht das muntere Sparring (Trainingsboxen): Jeweils drei Minuten fliegen in verschiedenen Paar-Kombinationen die Fäuste, spätestens nach einer halben Stunde sind alle platt und machen trotzdem weiter: Blaue Flecken und Kopfschmerzen sind Teil des Programms.

 Aserbaidschan spitze beim Kampfsport

Sonderbriefmarke Aserbaidschan für Olympische Spiele in Rio 2016: Boxen, Ringen, Gewichtheben

Ich treffe mich mit Jeyhun zum Abendessen. Jeyhun ist einer meiner Trainingspartner. Er ist zehn Jahre älter und 20 Kilo schwerer als ich. Wir gehen in ein georgisches Restaurant: Maultaschen, Käse, Wein, viel Brot, wenig Salat. Jeyhun klärt mich auf: „Weißt du, kämpfen und damit auch Kampfsport haben bei uns im Kaukasus einfach Tradition. Schau Dir die Erfolge der Sowjetunion früher in diesen Sportarten an. Auch damals kamen viele Kämpfer aus dem Kaukasus.“

In der Tat: Neben Fußball sind es in Aserbaidschan vor allem Kampfsportarten, die die Menschen begeistern. Diese Leidenschaft schlägt sich im wahrsten Sinne des Wortes auch in Zahlen nieder: Von den 43 Medaillen, die das Land bei Olympischen Spielen bisher gewonnen hat, sind alleine 37 aus Kampfsportarten hervorgegangen: Ringen, Judo, Taekwondo und Boxen.

Die Zahl ist ziemlich beeindruckend, wenn man bedenkt, dass Aserbaidschan, in Größe und Einwohnerzahl etwa vergleichbar mit Österreich, erst seit 1996 als unabhängiges Land an den Olympischen Spielen teilnimmt.

Jeyhun ist stolz darauf, muss aber auch ein bisschen selbstironisch grinsen: „Manchmal fände ich es schon besser, wenn wir mehr im Hirn, als in den Armen hätten. So wie ihr in Deutschland. Aber manche Dinge kann man sich wohl nicht aussuchen“.

Zum Schluss gibt’s ein dickes Lob

Zurück beim Training, beim Sparring mit Rufat, kann ich mir eine Sache auch nicht aussuchen: Dass er aufhört, diesen vermaledeiten rechten Cross zu schlagen. Endlich, nach drei unendlich langen Minuten, erlöst mich der Piepser der Stoppuhr, ist der Spaß für heute vorbei.

Ich bin gerade noch dabei in gleichem Maße erschöpft wie erleichtert zu sein, dass ich das Ganze ohne größere Blessuren überstanden habe, da sagt Rufat zu mir: „Weißt du, ich bin ehrlich froh, dass du da bist. Dann sehen die Jungs hier mal, dass es auch andere Boxstile gibt, außer dem bloßen Hau drauf“. Für mich ist es das Kompliment der Woche! Wenn er nicht gerade seinen rechten Cross schlägt, ist er eben ziemlich sympathisch: Rufat, der durchtrainierte Boxtrainer.

Gute Stimmung nach dem Training: Bei Rufat, Autor, Jeyhun, Orhan, Kerim (von links)